# taz.de -- Massaker an Zivilisten in Afghanistan: Die Geduld ist am Ende | |
> In Afghanistan herrscht Wut über das Massaker eines US-Soldaten an 21 | |
> Zivilisten, aber die Lage im Land ist ruhig. Die Taliban kündigen Rache | |
> an. | |
Bild: Innenministerium und Geistliche in Afghanistan rufen zur Ruhe auf. | |
DUBAI taz | Nach dem Amoklauf eines US-Soldaten in einem Dorf im Süden | |
Afghanistans wächst die Angst vor Racheakten. Die aufständischen Taliban | |
schworen am Montag, den Tod jedes einzelnen Opfers der Bluttat zu | |
vergelten. Das afghanische Parlament forderte, den Täter vor ein | |
afghanisches Gericht zu stellen. | |
Am Sonntag hatte ein US-Soldat unweit seiner Militärbasis westlich der | |
Stadt Kandahar offenbar wahllos mindestens 16 Menschen – darunter viele | |
Kinder – in ihren Häusern erschossen. Erst Ende Februar hatten US-Militärs | |
auf einem Stützpunkt in Afghanistan versehentlich Exemplare des Korans | |
verbrannt. Bei anschließenden antiwestlichen Protesten im ganzen Land kamen | |
mindestens 40 Menschen ums Leben – auch sechs US-Amerikaner wurden getötet. | |
Die USA und die Nato haben eine umfassende Untersuchung der Tatumstände | |
angeordnet und ihr Bedauern über den „schrecklichen Vorfall“ ausgedrückt. | |
Sie gehen bislang davon aus, dass es sich bei dem Todesschützen um einen | |
geistig verwirrten Einzeltäter handelt. Das afghanische Innenministerium | |
rief die Bevölkerung auf, die Ergebnisse der Untersuchung abzuwarten, | |
offenbar in Sorge, das Massaker könnte wieder eine blutige Protestwelle | |
nach sich ziehen. Auch Geistliche in Kandahar, der Geburtsstätte des | |
Taliban-Bewegung, riefen zur Ruhe auf. | |
Vereinzelt kam es jedoch vor Einrichtungen der US-Armee zu Demonstrationen. | |
Doch insgesamt schienen – anders als bei der Koranverbrennung – die Appelle | |
von Politikern und Religionsführern die Wut der Bevölkerung im Zaum zu | |
halten. „Die Menschen sind erbost, aber was nützt der Protest?“, sagte | |
Kandahars Gouverneur Turjalai Wesa. „Davon werden die Opfer nicht wieder | |
lebendig.“ | |
## Spekulationen über die Tatumstände | |
Die „amerikanischen Terroristen“ würden sich für ihr Verhalten | |
entschuldigen wollen, indem sie den Täter als verrückt darstellten, | |
erklärten die radikalislamischen Taliban auf ihrer Website und kündigten | |
Rache an. Das afghanische Parlament verurteilte die Tat und brach seine | |
Sitzung aus Protest ab. Die Abgeordneten forderten, den Täter statt vor ein | |
US-Militärgericht vor afghanische Richter zu stellen. Die Geduld der | |
Afghanen mit den Nato-Truppen sei zu Ende, warnten sie. Staatspräsident | |
Hamid Karsai sagte, die Tat sei „unverzeihbar“ und „mit Absicht“ gesche… | |
Der Unmut in der Bevölkerung über nächtliche Razzien und die Tötung von | |
Zivilisten ist groß. Seit Langem fordert Präsident Karsai ein Ende | |
nächtlicher Hausdurchsuchungen durch ausländische Truppen, die nach | |
Aufständischen suchen. Die USA und Afghanistan verhandeln zurzeit über ein | |
Militärabkommen für die Zeit nach 2014, wenn die Nato ihre Kampftruppen vom | |
Hindukusch abgezogen hat. Das Abkommen, das den Verbleib von US-Basen | |
vorsieht, wird bei der afghanischen Bevölkerung jedoch mit großem Argwohn | |
gesehen. Der Amoklauf könnte die weiteren Verhandlungen zwischen den | |
Staaten erschweren. | |
In Afghanistan reißen die Spekulationen über die Tatumstände nicht ab. | |
Einige Augenzeugen berichten von einer Gruppe betrunkener US-Soldaten, die | |
im Morgengrauen ihre Basis im Pandschwaji-Distrikt verlassen hätten, um im | |
nahen Dorf Sangabad systematisch auf Menschenjagd zu gehen. Andere sprachen | |
hingegen von einem Einzeltäter mit einer Kalaschnikow und aufmontiertem | |
Raketenwerfer. | |
Der Distrikt, eine frühere Hochburg der Taliban, ist seit Jahren | |
Kriegsschauplatz zwischen den Taliban und den Nato-Truppen. Die | |
Sicherheitslage ist prekär. Anfang März wurden zwei US-Soldaten von | |
Aufständischen erschossen. Im Februar starben drei US-Soldaten bei der | |
Explosion einer Mine. | |
Das Massaker von Sangabad könnte ein Wendepunkt für den Krieg der Nato am | |
Hindukusch bedeuten und den Abzug der Truppen beschleunigen. Ein ähnlicher | |
Vorfall im Irakkrieg 2005, als amerikanische Soldaten in der Stadt Haditha | |
26 unbewaffnete Zivilisten – darunter viele Frauen und Kinder – auf | |
grausame Weise töteten, wurde einer der wichtigsten Beweggründe der USA, | |
die Truppen aus dem Irak abzuziehen. Die Tötungen von Haditha wurden auch | |
mit dem Massaker in My Lai während der Vietnamkriegs verglichen, das zum | |
Symbol für die Menschenrechtsverletzungen der Amerikaner wurde. | |
12 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Agnes Tandler | |
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