# taz.de -- Proteste in Afghanistan: Nato zieht Berater aus Ministerien ab | |
> Nach der Tötung von zwei US-Offizieren im afghanischen Innenministerium | |
> zieht auch Deutschland Mitarbeiter ab. Präsident Karsai ruft erneut zur | |
> Ruhe. | |
Bild: Kontrollposten der Polizei am Sonntag in Kabul. | |
KABUL taz | Der Schock in Afghanistan ist groß: Die Nato zieht | |
vorübergehend alle ausländischen Berater aus der afghanischen Regierung ab, | |
nachdem ein Polizist in Kabul zwei US-Offiziere im streng gesicherten | |
Kontrollraum des Innenministeriums erschossen hatte. | |
Der Bluttat gingen mehrtägige gewalttätige Proteste in afghanischen Städten | |
voraus. Sie richteten sich gegen die Verbrennung von Koran-Exemplaren durch | |
US-Militärs. | |
Am Sonntag wurden bei Protesten vor einem US-Stützpunkt in Kundus sieben | |
US-Soldaten verletzt, als Demonstranten einen Sprengsatz warfen. Die | |
Proteste ebbten am Sonntag jedoch insgesamt ab. | |
Das streng abgeriegelte Innenministerium im Zentrum Kabuls gleicht einem | |
Militärhauptquartier. Von hier aus werden Einsätze im ganzen Land | |
koordiniert - auch gegen die Demonstranten, die seit Dienstag gegen die | |
angebliche Koran-Schändung der Nato-Truppen auf die Straßen gingen. | |
## Todesschüsse im Ministerium | |
Bei den Protesten kamen bislang rund 30 Menschen zu Tode, Hunderte wurden | |
verletzt. | |
Ein 25-jähriger Polizist, nach dem inzwischen gefahndet wird, hatte am | |
Samstag offenbar mit seiner Dienstwaffe den zwei US-Militärberatern von | |
hinten in den Kopf geschossen. Beobachter gehen davon aus, dass die | |
aufständischen Taliban den Täter eingeschleust oder indoktriniert hatten. | |
Die Nato zog darauf Hunderte Berater aus der Regierung ab. Nato-Sprecher | |
Carsten Jacobson erklärte, es sei ein "logischer und notwendiger Schritt", | |
für die Sicherheit "unseres Personals" zu sorgen. | |
Als Reaktion auf die Eskalation der Gewalt zog am Sonntag auch die | |
Bundesregierung ihre Berater aus den Behörden im Raum Kabul ab. Es handele | |
sich um etwa 50 Personen, teilte das Entwicklungsministerium in Berlin mit. | |
Sie sollen erst wieder auf ihre Posten zurückkehren, wenn die Tötung von | |
zwei US-Soldaten im afghanischen Innenministerium aufgeklärt ist. | |
## Taliban rühmen sich der Tat | |
Ein Taliban-Sprecher sagte, die Tötung der Amerikaner sei Rache für die | |
Koran-Verbrennung der US-Truppen gewesen. Präsident Hamid Karsai rief zur | |
Ruhe auf. Man dürfe den "Feinden des Friedens" nicht erlauben, die Proteste | |
zu missbrauchen, sagt er. | |
Der Schritt der Nato ist ein schwerer Rückschlag für die | |
Wiederaufbaubemühungen des Landes. Auch mehr als zehn Jahre nach dem Sturz | |
der Taliban bekleiden ausländische Spezialisten wichtige Funktionen in den | |
Ministerien. | |
Die Kommandozentrale des Innenministeriums ist gewöhnlich nur für einen | |
kleinen Kreis von Experten zugänglich. Die Tötung der Offiziere zeigt | |
erneut, wie scheinbar mühelos es den Taliban gelingt, selbst hierhin | |
vorzudringen. | |
## Tatort eigentlich nur schwer zugänglich | |
Die Tat schürt auch Angst vor einem neuen Bürgerkrieg, wenn die | |
Nato-Kampftruppen sich bis 2014 vom Hindukusch zurückziehen. Die | |
Aufständischen sind seit Monaten dabei, die Regierung zu schwächen, indem | |
sie hochrangige Politiker und Polizeiführer systematisch töten. | |
Einwohner in Kabul zeigten sich entsetzt über die sinnlose und brutale | |
Gewalt im Zuge der Koran-Proteste. "Das Land hat nichts Besseres verdient", | |
sagte ein afghanisch-amerikanischer IT-Spezialist, der für das | |
Innenministerium arbeitet. Die Demonstranten seien "Minderbemittelte, die | |
nicht einmal den Koran lesen könnten". Afghanistan habe seine große Chance | |
verspielt, mit der Hilfe des Westens ein fortschrittliches, modernes Land | |
zu werden. | |
Die Unruhen hatten am Dienstag begonnen, nachdem afghanische Arbeiter | |
brennende Koran-Ausgaben auf einem Müllplatz des US-Stützpunkts Bagram, | |
etwa 60 Kilometer von Kabul entfernt, gefunden hatten. | |
Den heiligen Koran zu beschädigen gilt im Islam als schweres Vergehen. Die | |
Exemplare waren wahrscheinlich irrtümlich in die Verbrennungsanlage | |
geworfen worden. Viele Afghanen glauben jedoch an eine Provokation. Die | |
Taliban riefen dazu auf, Ausländer zu töten und anzugreifen, um die | |
Schändung des Korans zu rächen. Wenig später erschoss ein afghanischer | |
Soldat in der östlichen Provinz Nangarhar zwei US-Soldaten. | |
26 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Agnes Tandler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Massaker an Zivilisten in Afghanistan: Die Geduld ist am Ende | |
In Afghanistan herrscht Wut über das Massaker eines US-Soldaten an 21 | |
Zivilisten, aber die Lage im Land ist ruhig. Die Taliban kündigen Rache an. | |
Mord an Zivilisten in Afghanistan: Einzeltäter, aber kein Einzelfall | |
Der US-Soldat, der in Afghanistan 16 Zivilisten tötete, handelte offenbar | |
allein. Er kam von einer US-Militärbasis, wo auch das so genannte „Kill | |
Team“ stationiert gewesen war. | |
Nach dem Massaker in Afghanistan: Taliban künden Vergeltung an | |
Angela Merkel hat bei einem Kurzbesuch in Afghanistan Zweifel am | |
Abzugstermin der Nato 2014 geäußert. Kabul sieht die strategische | |
Partnerschaft mit den USA gefährdet. | |
Merkel macht Stippvisite in Afghanistan: Die Kanzlerin wackelt | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kurzfristig die deutschen Truppen in | |
Afghanistan besucht. Dort muss sie sich zum Abzug äußern - es wirkt | |
unsicher. | |
Frauen in Afghanistan: Religionsrat greift Frauenrechte an | |
Der Ulema-Rat will Frauen verbieten, ohne Begleitung männlicher Verwandter | |
Bus zu fahren. Auch sollen sie nicht mehr mit Männern in einem Büro | |
arbeiten. | |
Anschläge in Afghanistan: Bomben und Gift | |
Ein Flughafen in der afghanischen Provinz Nagarhar ist Ziel eines | |
Selbstmordanschlages geworden. Auf einer nahegelegenen ISAF-Basis wurde | |
vergiftetes Essen gefunden. | |
Kommentar Afghanistan: Leichtes Spiel für Taliban | |
Die internationale Isaf-Truppe zieht alle Mitarbeiter aus den Institutionen | |
Kabuls ab. Dabei ist die afghanische Regierung auf diesen Rückhalt | |
angewiesen. | |
Bundeswehr räumt Lager in Afghanistan: Ab nach Kundus, so schnell es geht | |
Nach Steinwürfen gibt die Bundeswehr vorzeitig ein Feldlager in Talokan | |
auf. Die Regierung spielt den Vorfall herunter, die Afghanen sind | |
verwundert. | |
Kommentar Afghanistan: Mission Eigensicherung | |
Der Kommandant bezeichnet den Abzug als falsch. Die Flucht aus Talokan | |
steht für die Versäumnisse der Bundeswehr und die Fehler der deutschen | |
Afghanistanpolitik. | |
Ausschreitungen in Afghanistan: Wut auf den Westen | |
Den vierten Tag in Folge sterben Menschen bei Protesten gegen die | |
Koranverbrennungen. Viele Afghanen fürchten eine Eskalation der Gewalt. | |
Koran-Verbrennungen in Afghanistan: Die Proteste gehen weiter | |
Bei gewalttätigen Demonstrationen gegen Verbrennungen von Koran-Ausgaben | |
durch US-Soldaten sterben erneut mehrere Menschen. Obama entschuldigt sich. | |
Kommentar Proteste Afghanistan: Arroganz des strauchelnden Imperiums | |
Der Chef der US-Truppen in Afghanistan hat sich für die Koranverbrennung | |
entschuldigt. Das ist gut. Der Glaubwürdigkeit der Isaf-Soldaten bringt das | |
wenig. |