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# taz.de -- Ausschreitungen in Afghanistan: Wut auf den Westen
> Den vierten Tag in Folge sterben Menschen bei Protesten gegen die
> Koranverbrennungen. Viele Afghanen fürchten eine Eskalation der Gewalt.
Bild: Polizisten greifen während der Proteste in Afghanistan ein.
"Tod den Amerikanern", ruft ein junger Demonstrant. Trotz der eisigen Kälte
sind erneut tausende Menschen in Afghanistan auf die Straße gezogen, um
gegen die Koranverbrennung auf dem Militärstützpunkt in Bagram zu
protestieren. Am Freitag kamen dahei mindestens zehn Menschen ums Leben,
Dutzende wurden verletzt. Erstmals waren Tote auch in Westafghanistan zu
beklagen.
Anfang der Woche hatten afghanische Arbeiter auf einer US-Militärbasis
brennende Koranausgaben gefunden. Sie sollen Gefangenen abgenommen worden
sein. Die Taliban hatten die Afghanen daraufhin dazu aufgerufen, Angehörige
der Isaf-Truppen "zu töten und gefangen zu nehmen".
Dazu kam es bis zum frühen Abend zwar nicht, dennoch sind viele Menschen
trotz der Entschuldigungen der USA immer noch aufgebracht. Neben dem Ärger
über die Koranschändungen ist auch es viel aufgestaute Frustration, die
sich am Freitag Luft macht.
## Niemand hört auf uns
Die Bevölkerung leidet unter dem härtesten Winter seit 15 Jahren; die
Preise für Brennholz, Kochgas und Benzin sind explodiert. Das trifft vor
allem die arme Bevölkerung. Doch nicht alle unterstützen die Proteste auf
der Straße. "Diese Demonstrationen bringen uns doch gar nichts", sagt Jan
Mohammed, ein 38-jähriger Taxifahrer aus der Gegend von Karta-i-Naw, im
Osten Kabuls. "Niemand hört auf uns. Wir werden getötet, verletzt, und es
nützt nichts." Der junge Mann ist besorgt über die Ausschreitungen der
letzten Tagen, bei denen mindestens 16 Menschen starben.
Er hat Angst vor Selbstmordattentätern, die sich unter die Menschenmenge
mischen könnten, und er mag es nicht, dass Demonstranten auch Läden
plündern und Autos und andere Sachen mutwillig zerstören. "Die Politiker
sollten demonstrieren", schlägt Mohammed vor. Es habe keinen Sinn, sich von
der Polizei verprügeln zu lassen.
## Respektvoll und friedlich
Maulana Din Khabar, Geistlicher und Religionsgelehrter in einer Moschee im
Bagrami-Distrikt von Kabul, sieht das ähnlich: "Wenn Demonstrationen zu
Ausschreitungen werden, ist das schlecht für jeden. Der Koran wurde von
Amerikanern verbrannt, und nun schießen muslimische Polizisten auf
muslimische Demonstranten."
Damit vergrößere sich der Schaden noch. Der Islamlehrer ist vorsichtig mit
seinen Worten: Als Religionsführer werde er niemals die Gläubigen in seiner
Moschee auffordern, an solchen Demonstrationen teilzunehmen. Jeder habe das
Recht, seine Meinung kundzutun, aber in "respektvoller und friedlicher
Weise", meint der 49-Jährige.
Die Bevölkerung gehe nicht auf die Straße, wenn die aufständischen Taliban
Moscheen oder Schulen bombardierten und dabei Exemplare des Koran
zerstörten, kritisiert Fauzia Kufi, eine unerschrockene Politikerin aus
Kabul. Die Parlamentarierin wünscht eine umfassende Untersuchung der
Umstände der Koranverbrennung in Bagram. "Warum haben die afghanischen
Reinigungskräfte dies nicht schon früher an ihre amerikanischen
Vorgesetzten gemeldet?", fragt sie.
## Klare Provokation
Buchhändler Haji Ahmend, der neben dem Koran religiöse DVDs verkauft, hält
den Umgang mit dem Koran durch die US-Soldaten in Bagram ganz klar für eine
Provokation. Alle religiösen Schriften seien den Menschen von Gott gegeben
worden. "Ich würde so etwas auch nie mit einer Bibel machen", versichert
Ahmend.
Nachdem die Amerikaner den Koran in Bagram verbrannt hatten, hätten sie
nicht versucht, die Spuren ihrer Tat zu verwischen. "Sie haben es so
angestellt, dass die muslimischen Arbeiter in Bagram es entdecken mussten",
sagt er. "Sie wollten uns wütend machen."
Die Ausländer in Afghanistan sollten die Sitten des Landes respektieren,
meint Haji Ahmed ernst. "Sie sagen, dass sie hier sind, um uns zu helfen."
Doch dann sollten sie nicht solche Dinge tun, wie den Koran zu verbrennen.
"Wenn wir Afghanen bei jemandem zum Mittagessen eingeladen sind, dann
bringen wir nicht die Küche durcheinander."
Dass Talibankämpfer den Koran nutzen, um geheime Nachrichten an Gefangene
weiterzuleiten, will Ahmned nicht ausschließen. Doch er beharrt darauf,
dass auch dies nicht richtig sei. "Der Koran sagt, wir sollen in Frieden
leben. Wenn die Menschen hier danach leben würden, hätten wir alle diese
Probleme nicht."
Mit Material von Reuters
24 Feb 2012
## AUTOREN
Agnes Tandler
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