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# taz.de -- Neue Bücher zur Buchmesse: Das Ende des Geheimnisses
> Der Philosoph Byung-Chul Han nimmt die freiwillige Selbstauslieferung und
> -ausbeutung der „Transparenzgesellschaft“ in den Blick.
Bild: Karl-Henning Seemanns "Lauschender" beim Versuch, für Transparenz zu sor…
„Lieber Christian, so geht Transparenz“, hieß es zu Beginn des Jahres auf
dem Werbeplakat eines Berliner Dessousladens an die Adresse des damals noch
amtierenden Bundespräsidenten Wulff gerichtet – daneben das Bild einer
durchscheinend gewandeten Frau.
Ein grober Witz, den der Philosoph Byung-Chul Han kaum zum Lachen finden
dürfte, vermischen sich in dieser Botschaft doch gleich mehrere Aspekte von
Transparenz, die er in seinem Buch „Transparenzgesellschaft“ kritisiert.
Da wäre zunächst das Insistieren auf Transparenz im politischen Raum, das
auch der frühere Bundespräsident, zumindest nominell, für sich in Anspruch
genommen hatte. Han allerdings gibt zu bedenken, dass Politik als
strategisches Handeln stets Geheimnisse erfordere: „Eine totale Transparenz
lähmt sie.“ Transparenz diene vielmehr dazu, das bestehende System zu
stabilisieren.
Das klingt erst einmal überraschend. Wikileaks oder die Piratenpartei
hatten immerhin behauptet, Transparenz sei ein sinnvolles Mittel zur
Gestaltung von Demokratie. Han hingegen bescheidet die Piraten knapp mit
dem Hinweis, sie seien als „Anti-Partei“ überhaupt „nicht in der Lage,
einen politischen Willen zu artikulieren und neue gesellschaftliche
Koordinaten herzustellen“. Denn: „Ganz transparent ist nur der
entpolitisierte Raum.“
## Warenförmige, pornografische Oberflächen
Im Zwang zur Transparenz manifestiert sich für Han zudem eine
„Positivgesellschaft“, die jede Form der Negativität ablehnt – wie den v…
Facebook beharrlich verweigerten „Dislike“-Button.
Denn mit dem geriete die Kommunikation ins Stocken und ließe sich nicht
mehr ökonomisch verwerten. Genau darum aber geht es der beschleunigten
Information: Im Zeitalter von Facebook werde sogar das Antlitz des Menschen
als Bild warenförmig und damit zu einer ausgestellten Oberfläche, die bloß
noch pornografisch sei.
Han dekliniert das Phänomen Transparenz unter Stichwörtern wie
„Beschleunigungsgesellschaft“, „Intimgesellschaft“ oder
„Kontrollgesellschaft“ durch, wobei sein Tenor stets der gleiche bleibt:
Transparenz führt zu „obszönen“ Erscheinungen wie Hyperaktivität,
Hyperproduktion und Hyperkommunikation oder reduziert die Öffentlichkeit
auf einen bloßen „Ausstellungsraum“ fernab gemeinsamen Handelns. Seine
Beobachtungen sind als Gesellschaftskritik oft zutreffend, in ihrer
quasi-apokalyptischen Aneinanderreihung mitunter aber etwas fugenlos
kulturpessimistisch.
## Selbstkontrolle der Leistungsgesellschaft
Mit seiner Transparenzkritik knüpft Han an seinen vor zwei Jahren
erschienenen Band „Müdigkeitsgesellschaft“ an, in dem er eine viel
beachtete Kritik an der Leistungsgesellschaft formulierte: Auch Transparenz
läuft bei ihm am Ende auf eine neue Form der Selbstkontrolle der
Leistungsgesellschaft hinaus, auf ein „aperspektivisches Panoptikum“.
Mit diesem „digitalen Panoptikum“ von heute zitiert Han das gleichnamige
Gefängnismodell des Philosophen Jeremy Bentham, in dem die Gefangenen dem
unsichtbaren Blick eines Wächters im Zentrum einer kreisförmigen Anlage
ausgeliefert sind und dadurch kontrolliert werden. Mittlerweile jedoch
würden die Bewohner des Panoptikums – der sozialen Netzwerke etwa – selbst
an ihrem unsichtbaren Gefängnis mitarbeiten, sich dazu freiwillig entblößen
und einander kontrollieren.
Transparenz ist in dieser Konstellation kein moralischer, sondern ein rein
ökonomischer Imperativ: „Ausleuchtung ist Ausbeutung“. Das Soziale wird so
ausgebeutet und zu einem „funktionellen Element des Produktionsprozesses
degradiert und operationalisiert“. Freiheit endet für Han in Kontrolle.
Sein Buch ist ein entschiedenes Plädoyer gegen die universalisierte
Entblößung.
Byung-Chul Han: "Transparenzgesellschaft". Matthes & Seitz Verlag, Berlin
2012, 96 Seiten, 10 Euro
16 Mar 2012
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
Tim Caspar Boehme
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Philosophie
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