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# taz.de -- CocoRosie in Hamburg: Gott ist weiblich und tanzt mit dir
> Die Band CocoRosie ist zurück: Statt einer CD gibt es vier Produktionen
> aus den Bereichen Tanz, Musik und Film. Premiere war am Wochenende auf
> Kampnagel in Hamburg.
Bild: Die Schwestern Sierra und Bianca Casady als CocoRosie.
„Weltpremiere“ ist ein starkes Wort. Es kommt an jenem Abend aus dem
Lautsprecher der Hamburger Spielstätte Kampnagel, um die sehr zahlreich
erschienenen, zum Teil lustig angezogenen Fans von CocoRosie dazu zu
bewegen, ihre Sitzplätze einzunehmen. Die Weltpremiere des
Tanztheaterstückes „Nightshift“ beginne um 20 Uhr, sagt die Stimme aus dem
Lautsprecher, danach gebe es eine Umbaupause und dann folge die
Konzert-Show „Die Achte Nacht“.
Der Doppelschlag aus Tanztheater und Konzert wird die Fans quantitativ auf
jeden Fall zufrieden stellen, eigentlich wäre jedes der beiden Programme
mit ihren jeweils rund eineinhalb Stunden Dauer schon abendfüllend. Aber
die beiden Schwestern Sierra und Bianca Casady, die zusammen CocoRosie
sind, scheinen einen kreativen Lauf zu haben: Neben dem Tanztheaterstück
„Nightshift“ und der Konzert-Show „Die Achte Nacht“ haben sie noch die
Pop-Oper „Soul Life“ und das Film-Projekt „Harmless Monster“ auf die Be…
gestellt. Während auf Kampnagel nur zwei der vier neuen Produktionen
gezeigt wurden, wird es das volle Programm ab Ende April auf dem
Donaufestival im österreichischen Krems geben.
Zunächst ist festzuhalten: CocoRosie haben ihr Betätigungsfeld ausgeweitet.
Es geht bei weitem nicht mehr nur um Musik. Dementsprechend haben sie in
den vergangenen zwei Jahren auch keine Platte mehr veröffentlicht. Und
dementsprechend steht bei der Tanzperformance „Nightshift“ die Musik im
Dienst des Tanzes und nicht anders herum.
## Es geht um Einsamkeit
„Nightshift“ ist eine märchenhaft entrückte Choreographie, die in einer
schwer zu deutenden Szenenfolge die Geschichte eines jungen Mädchen
erzählt. Das Mädchen ist ein Waisenkind, begegnet verschiedenen kruden
Gestalten und wächst zu einer Totengräberin heran. Grundsätzlich ginge es
in der Geschichte um das Thema Einsamkeit, sagt Bianca Casady. Die Welt des
Mädchens mit ihrem weißen Kleid und ihrer weißen Gesichtsmaske ist die
leere, dunkle Bühne. Das Mädchen wird abgeholt von pharaonenhaften Soldaten
mit goldenen Gewändern und Plateauschuhen, trifft Jungs, die auch
Gesichtsmasken tragen und eine Vogelscheuche, die lebendig wird und wie
Christus vom Kreuz steigt.
Getanzt wird zu den fragilen Klängen von Gitarre, Bass, Cello und
Klarinette. Der Groove kommt mitunter von leeren Flaschen, auf denen mit
Kleiderbügeln getrommelt wird. Die für CocoRosie typischen schweren Beats
fehlen, dafür gibt es eine starke Dosis CocoRosie-Mystik: Die Kostüme
variieren zwischen Gebrüder Grimms Märchen und George Orwells „1984“, die
Bewegungen zwischen eurythmischem Ausdruckstanz und Robotern aus einem
frühen Stadium der Informatik. Tanz-Star Leiomy Maldonado legt ein Solo auf
einem überdimensionalen Fliegenpilz hin.
## Irgendwann wird's langweilig
Ab und zu gibt es wandfüllende schwarz-weiß-Projektionen, die einen
nordischen Küstenstreifen zeigen oder eine raffiniert verzerrte
Live-Übertragung des aktuellen Bühnengeschehens. Die Stimmung ist
gothic-mäßig gedämpft, die Bilder wirken wie die Pop-Variante eines
düsteren 20er-Jahre-Cabarets. Die Ästhetik ist in sich stimmig. Irgendwann
aber nervt das Verrätselte. Irgendwann wird's langweilig.
Dieses Problem hat die Konzert-Show „Die Achte Nacht“ nicht. Im Grunde
handelt es sich dabei nicht um eine Show, sondern um ein Konzert, das die
beiden CocoRosie-Schwestern unter anderem mit den traditionellen indischen
Musikern von Rajasthan Roots und dem Beat Box-Meister Tez machen. CocoRosie
tragen dabei steinzeitartige Oberteile aus Fell zu Rock und
Herrenunterhose. Die anderen Musiker tragen die Kleider ihrer jeweiligen
Kultur, was mitunter auch exotisch wirkt.
Der schwere Beat ist zurück. Auf dessen Grundlage machen CocoRosie eine auf
Trance zielende Variante ihres Weird Folk: Die Musik arbeitet mit der
Wiederholung einfacher musikalischer Muster, die alle Beteiligten mit
großer Hingabe beisteuern. Dazu tanzen die CocoRosie-Schwestern mit seligem
Lächeln über die Bühne, als ginge es um ein Beschwörungsritual positiver
Energien. Tatsächlich gibt es den Zeitpunkt, an dem das Publikum von den
Sitzen springt und mittanzt.
Bianca Casady greift sich einen schwarz gekleideten Hornbrillenträger und
streichelt ihm beim Paartanz den Rücken, der indische Gitarrist heizt die
Menge an und Sierra Casady hat den Blick verzückt gen Himmel gerichtet,
weil von da alles Gute kommt. Der Titel „Die Achte Nacht“ soll die Frage
stellen, was Gott in der achten Nacht getan hat, nachdem er sieben Tage
lang die Welt erschuf. Die Antwort, die CocoRosie geben, lautet: Gott ist
ein kosmopolitisch lebender Hippie. Er ist frei. Und er ist weiblich: „God
has a voice. She speaks through me.“
25 Mar 2012
## AUTOREN
Klaus Irler
## TAGS
Neues Album
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