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# taz.de -- West-Ost-Theater: Vereinigte Individualisten
> In ihrem Stück "Schubladen" graben die Performerinnen von She She Pop in
> ihren Biographien, um das Verhältnis von Ost- und Westdeutschen zu
> erhellen. Entstanden ist ein ebenso schlauer wie amüsanter Abend auf
> Kampnagel in Hamburg.
Bild: Um sich selbst gedreht: Das She She Pop-Stück "Schubladen" auf Kampnagel
HAMBURG taz | Was die Ausstattung betrifft, ist die Aufführung des She She
Pop-Stückes „Schubladen“ eine übersichtliche Angelegenheit. Auf der
Kampnagel-Bühne stehen drei Tische mit jeweils zwei Bürodrehstühlen. Vor
den Tischen stehen ein paar Schubladen voll mit Büchern, Videos und
Kassetten. Hinter den Tischen ist eine Leinwand, auf die der
Gemeinschaftsraum eines Freizeitheims projiziert wird. Das war‘s.
Und das reicht auch bei diesem Stück, das nicht eine Geschichte erzählt,
sondern sechs Geschichten und das nicht aus Handlungen besteht, sondern aus
Erinnerungen. An den drei Tischen sitzen sich jeweils zwei Frauen
gegenüber. Jedes Paar besteht aus einer Frau, die in Westdeutschland groß
geworden ist und einer Frau, die in Ostdeutschland groß geworden. Die
Frauen sind zwischen Mitte 30 und Mitte 40, haben also ihre Kindheit und
Jugend in zwei Ländern mit zwei verschiedenen Gesellschaftssystemen
verbracht. Nun sitzen sie da und erzählen sich ihre Kindheit und Jugend, um
sich kennenzulernen – und um herauszubekommen, wo die Unterschiede zwischen
West- und Ostfrauen liegen.
Bei ihren Berichten über ihre Eltern, ihre Kindheit, ihre erste
Konfrontation mit dem jeweils anderen Land greifen die sechs Performerinnen
von She She Pop auf ihre eigenen Biographien zurück. Nichts, das ist
zumindest die Behauptung, ist hier erfunden, alles sind echte Erinnerungen,
belegt beispielsweise durch Bücher oder Platten, die man damals gelesen
oder gehört habe und die nun hervorgeholt werden.
Über die zwei Stunden des Abends erfährt man damit einiges über die sechs
Frauen: wie die eine vom Berliner Fernsehturm aus sehnsüchtig in den Westen
blickte, während die andere auf einer Aussichtsplattform im Harz zehn
Pfennig in ein Fernrohr wirft, um in die DDR zu schauen. Wie die eine als
68er-Kind im Westen vor lauter antiautoritärer Erziehung lange keinen
Wettbewerb mitmachte, während die andere im DDR-Schuldrill Urkunde um
Urkunde sammelte. Und wie das war mit der ersten und zweiten Liebe und der
Popmusik und den Drogen und den Reisen und dem Fall der Mauer und so
weiter.
Die Selbstbespiegelung der Performerinnen dient dazu, das gegenseitige
Verhältnis zu klären: Die Frauen reiben sich aneinander, verstehen sich
falsch, foppen sich, feiern ihre Klischees. Vor allem aber zeigt sich im
Zuge der Selbstbespiegelung die große Gemeinsamkeit zwischen West und Ost:
Alle sechs Frauen fragen sich, wie sie wurden, was sie sind. Alle sechs
denken über die eigene Identität nach, weil sie ihre Identität nicht
einfach übernommen, sondern selbst erarbeitet haben. Allen sechs ist ihre
Beschäftigung mit sich selbst wichtiger als materieller Erfolg.
Den Performerinnen gelingt es, die persönliche Frage nach der eigenen
Biographie zu verzahnen mit der allgemeinen Frage nach dem Verhältnis von
West- und Ostdeutschen. Den eigenen Puls zu fühlen heißt hier nicht, den
Rest der Welt zu vergessen. Das muss man erst mal hinkriegen. She She Pop
ist es auf eine ebenso amüsante wie schlaue Art und Weise gelungen.
## Weitere Vorstellungen: Sa, 24. 3., So, 25. 3., Mi, 28. 3. und Do, 29.
3., je 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Hamburg
23 Mar 2012
## AUTOREN
Klaus Irler
Klaus Irler
## TAGS
Politisches Theater
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