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# taz.de -- Festival für freies Theater: Die Impulsgeber
> Das freie Theater ist der Ort, an dem sich das Theater weiterentwickelt.
> Sechs von einer Jury ausgewählte freie Produktionen zeigt ab 6. Oktober
> das Best Off-Festival in Hannover.
Bild: Die Gruppe unitedOFFproductions lässt Leute aus ihrem Umfeld über das T…
HAMBURG taz | Sie haben wieder am Nachtschlaf gespart, um rechtzeitig
fertig zu werden: Die Bühnenbildnerin, die zudem für die Kostüme, das
Licht, die Requisiten und die Pressearbeit zuständig ist; der Regisseur,
der selbst mitspielt; die Schauspieler, die das Stück gemeinsam mit dem
Regisseur entwickelt haben. Nur am Abend vor der Premiere sind sie alle
rechtzeitig ins Bett gegangen. Weil Augenränder nicht zum Text passen
würden.
So oder so ähnlich läuft es immer, wenn eine freie, also vom örtlichen
Stadt- oder Staatstheater losgelöste Gruppe Theater macht. Es mangelt immer
an Geld und Zeit und nie an Leidenschaft. Es geht nie um Routine, aber
meist darum, etwas auszuprobieren. Die Belohnung ist im Fall des Gelingens
der Beifall des Publikums. Im Fall des Scheiterns bleibt zumindest die
Erkenntnis, was beim nächsten Mal anders laufen muss.
Die sechs Produktionen, die beim "Best Off"-Festival Freier Theater gezeigt
werden, sind alle nicht gescheitert: Sie wurden aus über 60 Bewerbungen
ausgewählt. Zu sehen sind sie von Donnerstag bis Samstag im Ballhof in
Hannover. Neben den Aufführungen gibt es Vorträge und Diskussionen, etwa
über die Entwicklungen des Kindertheaters oder über die Produktionsformen
des Freien Theaters.
Letztere sind für die freien Theater Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil
die freien Theater meist unter prekären Bedingungen arbeiten: Leute, die in
den meisten Fällen studiert haben, hangeln sich von Projekt zu Projekt und
rechnen lieber nicht aus, wie hoch ihr Stundenlohn ist. Segen, weil die
Produktionsformen dazu führen, dass sich das Theater als Kunstform in der
freien Szene weiterentwickelt.
Längst haben die subventionierten Häuser das freie Theater als Impulsgeber
und Talentschmiede erkannt. Die Grenze zwischen beiden Bereichen ist
durchlässig geworden: Kaum einer der überregional gefragten Regisseure hat
seine Karriere an einem Stadttheater begonnen, fast alle kommen aus der
freien Szene - und manche möchten am liebsten dahin zurück.
Die Kreativität der freien Szene entsteht aus der Hinwendung zu aktuellen
Stoffen, aus der Neugier auf neue Theaterformen und aus der Flexibilität
der Teams: Da dürfen alle erst mal alles, so lange die Idee gut ist.
Zuständigkeiten werden nicht festgeklopft, sondern ständig neu definiert.
Probepläne hängen nicht von den geregelten Arbeitszeiten tariflich
bezahlter Mitarbeiter ab. Hierarchien sind flach. Die Entscheidung für oder
gegen ein Stück kann auch kurzfristig getroffen werden. Und Klassiker
müssen nicht aus einer Pflicht heraus gespielt werden - wenn man trotzdem
mal einen macht, dann deswegen, weil es einen guten Grund gibt.
Die Produktionsweise hat einen direkten Einfluss auf die Ästhetik. Statt
dramenbasierter Inszenierungen gibt es Aufführungsformate wie die
Performance oder die Show: Die Hildesheimer Gruppe machina eX
beispielsweise überträgt in dem Stück "15.000 Gray" die Prinzipien eines
Computerspiels auf die Bühne - die Zuschauer werden zu Spielern und
entscheiden selbst, wie es weitergeht.
Außerdem wird im freien Theater gerne in dokumentarischen Formaten das
Leben in der Gegenwart erhellt - häufig liegt diesen Inszenierungen eine
Recherche im journalistischen Sinn zu Grunde. Die Braunschweiger Gruppe
unitedOFFproductions beispielsweise bringt Menschen aus dem Umfeld der
Gruppen auf die Bühne, um über ihre Wünsche und Realitäten beim Thema
Familie zu sprechen. Die hannoversche Gruppe Fräuleinwunder AG wiederum hat
sich auf die Spurensuche nach der Geschichte ihrer Familien gemacht und ist
dazu quer durch Europa gereist. Herausgekommen sind dabei Geschichten von
Aufbrüchen und Neuanfängen und die Erkenntnis, dass "unsere kulturelle
Identität seit jeher von Ein- und Auswanderung geprägt ist".
Die freien Gruppen sind auf Subventionen angewiesen, um überleben zu
können. In Niedersachsen sind die beiden wichtigsten Förderer für das freie
Theater das Land und die Stiftung Niedersachsen. Im Jahr 2011 kommen vom
Land 911.000 Euro und von der Stiftung Niedersachsen 500.000 Euro an
Förderung - macht insgesamt rund 1,4 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die
drei Staatstheater in Hannover, Braunschweig und Oldenburg bekommen vom
Land Niedersachsen im Jahr 2011 zusammen rund 100 Millionen - den Ausgleich
der Tarifsteigerungen noch nicht eingerechnet.
Nun sind die Strukturen eines festen Hauses schwer zu vergleichen mit den
Strukturen der freien Szene. Trotzdem steht das Verhältnis der Zahlen zur
Diskussion. "90 Prozent der öffentlichen Gelder fließen ins
Stadttheatersystem, aber nur zehn Prozent der Innovation stammen von dort",
sagt beispielsweise Matthias von Hartz, der zuletzt das Sommerfestival der
Hamburger Spielstätte Kampnagel kuratierte und ab 2013 für die Berliner
Festspiele arbeitet.
Die Stiftung Niedersachsen stellt übrigens zusätzlich zu den 500.000 Euro
Projekt- und Festivalförderungsmitteln für das Festival Best Off 200.000
Euro zur Verfügung. Jede der sechs teilnehmenden Gruppen erhält davon ein
Preisgeld von 10.000 Euro. Außerdem wird eine Festivaljury eine
Inszenierung auswählen, die zusätzlich entweder 5.000 Euro oder eine
Gastspielförderung erhält.
Für die freien Gruppen bedeuten die vergleichsweise geringen Summen einen
Geldsegen, der ihnen ermöglicht, die nächsten Projekte anzupacken. Denn
umsonst ist die Freiheit auch im freien Theater nicht zu haben.
## : Do, 6. 10. - Sa, 8. 10., Ballhof Eins, Ballhofplatz und Ballhof Zwei,
Knochenhauerstraße
5 Oct 2011
## AUTOREN
Klaus Irler
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