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# taz.de -- Motivationsschlager als Theaterstoff: „Aber bitte mit einem Läch…
> Thomas Ebermann, einst linker Frontmann der Grünen, präsentiert am
> Freitag in Hamburg seine Kapitalismuskritik. Sie kommt als Revue über
> Firmenhymnen daher.
Bild: Musikalische Motivation: Können Firmenhymnen Streiks vermeiden?
„Wer so was aus vollem Herzen mitsingen kann, ist für uns verloren“, sagt
Thomas Ebermann und zündet sich noch eine Zigarette an. Aus den Boxen
seiner Kompaktanlage singt Schorsch Kamerun zu unmotiviert vor sich hin
dümpeldem Minimal Techno: „An einem Tag wie heut’ ist Leben schön und ich
möcht’ auch gern zur Arbeit gehen / … / An so ’nem Tag wie heut’ ist a…
drin / mein Chef, der steht zu mir, weil ich bin, wie ich bin. / Und er
baut auf mich, das bringt uns alle gut drauf.“
Was der Goldene-Zitronen-Sänger da so missgestimmt anstimmt, ist kein
sarkastischer Kommentar seiner Band, sondern die ernst gemeinte Firmenhymne
der Kaufland-Kette. Geschrieben hat das skurrile Stück ein eifriges
Aufsichtsratsmitglied, mehrmals am Tag müssen die Warenhaus-Mitarbeiter das
bedrohliche Geträller in den Filialen über sich ergehen lassen: „Also raus
damit, wenn’s was zu sagen gibt, aber bitte mit Respekt und einem Lächeln
im Gesicht /… / Ein Lächeln ist billig, kostet gar kein Geld, und erobert
dir trotzdem die Kundenwelt.“ Wehe, wer da nicht mitlächelt.
Eingesungen hat Schorsch Kamerun das perfide Motivationslied, das seine
Bandkollegen Ted Gaier und Thomas Wenzel neu arrangiert haben, für
Ebermanns Debüt als Theaterautor. Erfahrungen als Bühnen-Künstler hat er in
den letzten Jahren jede Menge gesammelt mit seiner monatlichen „Vers- und
Kaderschmiede“, in der er mit prominenter Unterstützung in szenischen
Lesungen vergessene, an den Rand gedrängte, verwegene, revolutionäre oder
einfach brillante Literatur auf die Bühne bringt, die ihm ans Herz
gewachsen ist: Erich Mühsams Tagebücher, ein Abend für die jüdischen
Künstler aus Czernowitz oder Walter E. Richartz’ „Büroroman“, in dem si…
die Büroinsassen im aberwitzigen Stumpfsinn des Büroalltags der 70er
allmählich zugrunde richten.
Auch Ebermanns Stück „Der Firmenhymnenhandel“, das am Freitag in Hamburg
auf Kampnagel Premiere feiert und im Verbrecher Verlag als Textbuch nebst
CD erscheint, dreht sich um Zumutungen am Arbeitsplatz. Aber auch um die
Verrenkungen des Künstlers im Angesicht des Geschäfts und die merkwürdigen
Konsequenzen einer Welt, in der Selbstverwirklichung und Arbeit, Freiheit
und Zwang nicht mehr zu unterscheiden sind.
## Juniorchefin mit Glaubenssätzen
Die nach rebellischen Jahren in den Schoß der Familie zurückgekehrte
Junior-Chefin modernisiert gerade den vom patriarchalischen Vater bisher
altbacken geführten mittelständischen Glashersteller und ist überzeugt, mit
Self-Empowerment, Top-Quality-Management, 360-Grad-Feedback und allerhand
anderen Glaubenssätzen aus der Managementliteratur „wirklich einiges
umkrempeln, entstauben“ zu können.
Dazu soll nun auch ein Motivationssong kommen, der lethargische Mitarbeiter
auf Trab bringt. Den spendieren sich immer mehr Firmen. Mehr als 200 der
pathetischen Aktivierungslieder hat der Tübinger Kulturwissenschaftler Rudi
Maier, der als MC Orgelmüller bei seinen Lecture Performances selbst
Firmensongs in die Tasten seiner Heimorgel haut, für seine Studien über das
hierzulande noch junge Phänomen gesammelt.
Keine leichte Aufgabe, nicht jeder rückt die musikalische „interne
Kommunikation“ freigiebig heraus. Denn das, was professionelle
Firmenhymnenhändler wie die Herforder Audio-Marketing-Agentur Ladage Media
auf CDs brennen, um Herzen an Fließband und Bürocomputer zu entflammen, ist
musikalisch im besten Fall grenzwertig und textlich meist grotesk:
Schlager, Rocksong, Rap oder Gospel gewordene Managementliteratur, die
ungeschickt verblümt vermittelt, was die Unternehmensleitung erwartet.
Und anders als in den USA oder Japan, wo die Hymnen längst zum festen
Repertoire betriebswirtschaftlicher Menschenführung gehören, ist man sich
hier noch unsicher, ob die öffentliche Zurschaustellung der von oben
verordneten „Corporate Culture“ wirklich so sympathisch rüberkommt, wie die
Herforder Marken-Emotionalisierer im Internet verkünden.
## Hymnen mit knallhart kalkuliertem Hintergrund
Was, wenn die als Freund, Familienmitglied und Zukunftsgestalter
angerufenen Angestellten das Firmen-Liedgut subversiv wenden oder ein
sozialmedialer Shitstorm sich plötzlich über die ungeschickten Reime lustig
macht?
Dabei haben die Firmenhymnen einen knallhart kalkulierten Hintergrund. Vor
allem da, wo es mit der inbrünstig besungenen Begeisterung nicht so weit
her ist, muss die Belegschaft antreten, um im mobilen Studio in der
Werkshalle die neue Hymne zu intonieren: Jeder fünfte Arbeitnehmer habe in
Deutschland längst „innerlich gekündigt“, weise keine emotionale Bindung
ans Unternehmen auf und verhalte sich am Arbeitsplatz destruktiv, warnt das
Beratungsunternehmen Gallup in seinem Engagement Index für 2010: So
entstehe ein volkswirtschaftlicher Schaden von bis zu 125 Milliarden Euro.
Wofür sich Ebermann interessiert, ist aber der Schaden, den die neuen
Machtformen und Arbeitsregime, deren Ausdruck die ungeschickten
Betriebsschlager sind, bei jenen verursachen, die den Chef fortan als
Kumpel und den Kollegen als Familienmitglied zu behandeln haben.
Dabei gibt es durchaus Unterschiede, was das Kostenbewusstsein angeht: Das
passende Lied soll der Junior-Chefin ein junger Firmenhymnenhändler
verkaufen, ihr ehemaliger Schwarm aus Studentenzeiten, als beide für sich
noch eine ganz andere Zukunft erträumt hatten und gemeinsam die Welt aus
den Angeln heben wollten. Dass daraus nichts geworden ist, damit haben die
Jungunternehmer aber nicht wirklich ein Problem: Wer Geld verdienen muss,
muss Konzessionen machen und sich mit den neuen Verhältnissen arrangieren.
## Chefkomponist in der Krise
Nicht so richtig Schritt halten auf dem Weg in den neuen Geist des
Kapitalismus will hingegen des Hymnenhändlers Chefkomponist, der wieder
einmal eine Krise hat, sich von seinen „subversiven Sehnsüchten“ nicht
verabschieden kann und den Geschäftsabschluss mit Zitaten aus Adornos und
Horkheimers Kulturindustriethesen, Herbert Marcuses eindimensionalem
Menschen, Ulrich Bröcklings Soziologie des unternehmerischen Selbst oder
Alain Ehrenbergs Selbstmanagement-und-Depression-Studie gefährdet.
Und auch der alte Patriarch traut der totalen Mobilmachung des
Humankapitals und dem neuen Soundtrack zur kapitalistischen
Selbstausbeutung noch nicht über den Weg und kann sich nicht wirklich für
eine der angebotenen Hymnen begeistern.
Dabei können die Jungunternehmer mit prominenten Interpreten aufwarten.
Denn das Renommee, das sich Ebermann in der Kulturszene verdient hat, kommt
ihm nun beim Theatererstling zugute: Auf der Bühne stehen mit Robert
Stadlober und Pheline Roggan als Hymnenhändler und Junior-Chefin zwei
prominente Schauspieler, die schon oft auf der Vers- und
Kaderschmiedenbühne saßen, Tillbert Strahl-Schäfer mimt den Chefkomponisten
und Rainer Schmitt den Senior-Chef.
Für Aufsehen dürften zudem die illustren musikalischen Gäste sorgen, die
auf der Leinwand von Gaier und Wenzel neu arrangierte „Corporate Anthems“
spielen. Gilla Cremer besingt als Hildegard-Knef-Reinkarnation die schöne
neue Internetwelt von 1&1, Rocko Schamoni zu Jazz von Dieter Glawischnig
das „definitive Dabeisein im neuen System“ beim Bosch Car Service,
Bernadette La Hengst auf schmissigem Schlagertechno das „Superteam“ von VW
„auf der Straße der Zukunft“ oder Ja, Panik den schmalzigen
Teambildungssong „Mit dieser Idee“ des Multi-Technologiekonzerns 3M.
Dazu kommen unter anderem Thomas Pigor und Lisa Politt, Jens Rachut und
Honigbomber, Kristof Schreuf, Melissa Logan, Nina Petri, Gustav Peter
Wöhler, Horst Tomayer, Harry Rowohlt und Tocotronic-Sänger Dirk von
Lowtzow.
## Singen mit dem Publikum
Am Ende kommt es dann doch zum Geschäftsabschluss. Offen bleibt aber, was
danach kommt: Im Skript diskutieren die Schauspieler noch ganz
Flache-Hierarchie-konform, wie man das Stück nun zu Ende bringen kann. Und
kommen schließlich nur auf die Idee, gemeinsam mit dem Publikum, natürlich,
eine Firmenhymne zu singen.
Aber bis zur Premiere kann sich das auch ändern. Denn genau da treffen sich
linkes Selbstverständnis und die neue Managementrhetorik eben immer wieder:
sein erstes Theaterstück einfach autoritär durchdrücken will Thomas
Ebermann nicht. Dafür gibt es von den anderen viel zu viel zu lernen: ein
Leben lang.
5 Mar 2012
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Schauspieler
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