# taz.de -- Hintergrund des Putsch in Mali: „Genug ist genug“ | |
> Der Putsch war eine „Implosion des Regimes“, sagt Henner Papendieck, | |
> Gründer des Entwicklungsprogramms „Mali-Nord“. Dass die Soldaten selber | |
> regieren wollen, glaubt er nicht. | |
Bild: In der Hauptstadt wurden die Soldaten für den Putsch gefeiert. | |
taz: Am 21. März hat es in Mali einen Militärputsch gegeben. Kam das | |
überraschend? | |
Henner Papendieck: Ich habe mich gefragt, ob die Putschisten am Morgen des | |
21. März schon wussten, ob sie am Abend putschen würden. Ich denke, es war | |
eher die Implosion eines Regimes, das sich überlebt hatte. Auslöser war der | |
Besuch des Verteidigungsministers am Vormittag in einer Kaserne. Er wollte | |
die Soldaten in den Norden schicken, in das Kriegsgebiet, wo die | |
Tuareg-Rebellenarmee MNLA (Nationalbewegung zur Befreiung von Azawad) auf | |
dem Vormarsch ist. Viele von ihnen hatten das aber gerade erst erlebt und | |
sagten: Genug ist genug. Wir haben keine Waffen und keine Munition. Wir | |
haben keine Lust, Kanonenfutter zu werden. | |
Dabei haben doch die USA die malische Armee unterstützt, zum Kampf gegen | |
Islamisten. | |
Ich erinnere mich, dass in Timbuktu Flugzeuge direkt aus Frankfurt ankamen. | |
Es waren Spezialeinheiten, die mit der Armee Übungen zur | |
Terrorismus-Bekämpfung machten. Aber wenn die Spezialkräfte ankamen, wo sie | |
die Terroristen vermuteten, waren diese schon von Verwandten aus der | |
Antiterroreinheit vorgewarnt worden. So hat man nicht viele gefunden. | |
Wer sind die Putschisten? | |
Das sind die einfachen Soldaten und die Unteroffiziere. Am Tag nach dem | |
Putsch gab es den ersten Fernsehauftritt. Der war sehr unbeholfen. Ich | |
hatte den Eindruck, selbst der Name „Nationalkomitee zur Aufrechterhaltung | |
der Demokratie und zur Wiederherstellung des Staates (CNRDRE) war erst am | |
Nachmittag festgelegt worden. Die konnten weder die Abkürzung noch den | |
Namen richtig aussprechen. Das ist Mannschaftsniveau. | |
Könnte diese Gruppe nun Mali auch regieren? | |
Nein, das denke ich nicht. Sie wäre überfordert. Die Soldaten wollten nur, | |
dass mit dem alten Regime Schluss ist. Der gestürzte Präsident Amadou | |
Toumani Touré (ATT) hat ja am Ende nur noch Verzweiflungstaten begangen. So | |
hat er einem Großhändler Geld gegeben, der damit Waffen und Munition kaufen | |
sollte. Die sind offenbar nie angekommen. Es entstand der Eindruck, alle | |
bereichern sich und die Soldaten werden geopfert. Wenn diese Gruppe sich | |
zutraut, Mali zu regieren, bewiese das einen großen Mangel an | |
Einsichtsfähigkeit. Ich glaube aber, Amadou Haya Sanogo (Präsident des | |
Nationalkomitees) möchte eine Regierung der nationalen Einheit bilden und | |
ehrliche Wahlen veranstalten. | |
Entscheidend ist auch, wie die Tuareg-Rebellion im Norden beendet werden | |
kann. | |
Es muss zu einem Waffenstillstand kommen. Jetzt gibt es zumindest einen | |
Verhandlungspartner ohne Scheuklappen. ATT hat immer geglaubt, die Ifoghas | |
(Tuareg des Adrar) seien sein Hauptfeind, und hat alle gegen sie | |
mobilisiert. Jetzt scheint mir das sehr viel neutraler. Die Leute des | |
CNRDRE scheinen mir relativ nüchtern, und sie wollen ihre Soldaten nicht | |
verheizen. | |
Die erste Tuareg-Rebellion hat es allerdings schon vor ATTs Amtszeit | |
gegeben. Könnten die wirklichen Ursachen noch viel weiter zurückliegen? | |
Ja. Als die Unabhängigkeit kam, hatte Mali das französische Kolonialerbe | |
eines Zentralstaats, der von einem klugen und starken Mann regiert werden | |
soll. Stammeszugehörigkeiten sollten überwunden werden. Nomaden passten | |
überhaupt nicht in dieses Konzept. Sie galten quasi als Landstreicher. | |
Vielleicht muss man ganz neu über mögliche Autarkiemodelle und | |
Autonomiemodelle nachdenken. | |
Wie sieht die Lage im Norden derzeit aus? | |
Der Norden ist dabei, an die Rebellen zu fallen. Die Stadt Kidal ist | |
umstellt. Bei Gao und Timbuktu ist die Frage, ob die MNLA die Städte | |
einnehmen will. | |
Haben die Putschisten Unterstützung, oder wächst jetzt doch zunehmend | |
Kritik? | |
Ich habe Mali als ein verblüffend arrangierfreudiges Land kennengelernt. | |
Menschen wechseln problemlos von heute auf morgen die Seite. Man schaut | |
jetzt in Bamako, wie die Sache ausgeht, und meldet sich zwischenzeitlich | |
schon einmal bei Herrn Sanogo, um zu signalisieren, man könne bei der | |
Lösung vielleicht behilflich sein. | |
Wie könnte die internationale Gemeinschaft mit dem Putsch umgehen? | |
Sie kann nicht sagen: Die Putschisten haben die Macht, und wir brechen alle | |
Gespräche ab. Man wird sich eine Hintertür offen lassen. Denn an Mali gibt | |
es große Interessen. Wer will denn, dass die Tuareg-Rebellion völlig | |
gewinnt? Dass al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) ungestört agieren | |
kann? Vernünftig wäre es, wenn man eine Lösung bis Ende des Jahres | |
anstrebte. Erst einmal hängt aber alles davon ab, was bei den Verhandlungen | |
zwischen Nationalkomitee und den Rebellen herauskommt. | |
30 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sanktionen gegen Mali: Die Unsicherheit nach dem Putsch | |
Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas hat ihre Drohungen wahr | |
gemacht und Sanktionen gegen Mali verhängt. Die Menschen befürchten | |
Schlimmes. | |
Tuareg-Rebellen verkünden Sieg: Malis Armee streckt die Waffen | |
Kidal, Gao, Timbuktu: Alle Städte im Norden Malis fallen an die Rebellen. | |
Die bedrängten Putschisten in Bamako sagen die Rückkehr zur Verfassung zu. | |
Bürgerkrieg in Mali: Timbuktu vollständig eingenommen | |
Die malischen Rebellen haben nach eigenen Angaben Timbuktu vollständig | |
eingenommen. Einwohner berichten von vereinzelten Plünderungen in mehreren | |
Stadtteilen. | |
Kommentar Sanktionen gegen Mali: Die Drohungen nutzen nicht | |
Sollten die Drohungen der Ecowas gegen die Putschisten in Mali wahr gemacht | |
werden, wird das Land erst recht in die Krise schlittern. | |
Nach dem Putsch in Mali: Nachbarstaaten stellen Ultimatum | |
Wenn die Putschisten die Macht nicht bis Montag abgeben, drohen Sanktionen: | |
Handel soll blockiert und Konten gesperrt werden. Tuareg-Rebellen erobern | |
Stadt im Norden. | |
Nach dem Putsch in Mali: Jeder will schimpfen und fluchen | |
Westafrikanische Regerungen drohen, mit militärischen Mitteln gegen die | |
Putschisten in Mali vorzugehen. In der Hauptstadt dagegen werden sie | |
gefeiert. | |
Mali nach dem Militärputsch: An Machthabern wird erste Kritik laut | |
In der Hauptstadt Bamako ist das Militär kaum noch präsent. Allerorten wird | |
spekuliert, wie es weitergehen könnte. Der Umsturz wird international | |
verurteilt. | |
Umsturz in Mali: Geputscht wird anderswo | |
Der Putsch könnte Bewegung in die Tuareg-Rebellion im Norden Malis bringen. | |
Doch viele plagen andere Sorgen – die Hungerkrise geht weiter. | |
Putsch in Mali: Soldaten übernehmen selbst | |
Soldaten in Mali haben genug von der Unfähigkeit des Staates, die Tuareg | |
und Islamisten zu befrieden. Jetzt haben sie offenbar geputscht. |