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# taz.de -- Prozess gegen kino.to: Der Coder packt aus
> Bastian P. war ein Schüler als er auf Dirk B. traf, den Kopf von kino.to.
> Er wurde zu seinem wichtigsten Techniker. Jetzt steht er vor Gericht –
> und redet.
Bild: Those where the days...
Der junge Mann, der es Millionen Deutschen jahrelang ermöglicht hat,
kostenlos Lieblingsserien und neueste Kinofilme im Netz zu sehen, sitzt an
diesem Morgen sehr still und etwas bleich vor der Wirtschaftskammer des
Leipziger Landgerichts und dreht einen Stift zwischen seinen Fingern. Seine
Lippen zucken. Bastian P. hat die Codezeilen für das Portal kino.to
programmiert.
Zwischen dem 1. Januar 2009 bis zum 8. Juni 2011 soll er insgesamt
1.110.543 Links zu urheberrechtlich geschützten Werken zugänglich gemacht
haben. So wirft es ihm die Staatsanwaltschaft vor.
Bastian P. will an diesem Freitag aussagen. Er redet sehr ausführlich, aber
zögernd und so leise, dass seine Stimme nur schwer zu verstehen ist. P.
nimmt Psychopharmaka. Die Festnahme im vergangenen Juni, die folgende Haft,
haben ihm zugesetzt.
Es spricht ein junger Mann, 29 Jahre alt, der erst 2.500, dann 50.000,
zuletzt 30.000 Euro im Monat dafür überwiesen bekam, dass er die Technik
des Portals am Laufen hielt. kino.to bot Links zu Kinofilmen und vor allem
Serien. Die Dateien selbst lagen auf den Servern so genannter Filehoster.
## Maschinengewehre in der Grauzone
P. sagt, er sei davon ausgegangen, sie operierten in einer rechtlichen
Grauzone, weil sie ja nur die Links zu den Raubkopien sammelten. Dass die
Staatsanwaltschaft das anders sah, wurde ihm so richtig wohl erst im Moment
seiner Festnahme bewusst, als das Sondereinsatzkommando kam.
„Maschinengewehren kann man nicht so viel entgegensetzen. Da war die
Grauzone wohl doch nicht existent“, sagt er.
Da hatte er vierzig Stunden nicht geschlafen, Marihuana geraucht, und die
Server von Russland nach Tschechien verlegen lassen, weil irgendetwas nicht
stimmte und ein Großteil der Server tot aussah. Die Gesellschaft zur
Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, ein Arm der deutschen
Filmwirtschaft, die das Verfahren angeschoben hat, ermittelte da schon eine
Weile. Ines, eine Wirtschafts-Sonderermittlungseinheit aus Sachsen, auch.
## Keine Kinderpornografie, keine russischen Filme
P.s Aussagen zeichnen ein klares Bild der Struktur von kino.to. Der Chef,
Dirk B., der auch bald vor dem Leipziger Gericht stehen dürfte,
beschäftigte P. als Programmierer, schon als der noch zur Schule ging,
damals für seine Seite saugstube.to. Ein anderer Mitarbeiter der kleinen
Firma organisierte die Server, die sich erst in den Niederlanden befanden
und dann in Russland. Es gab einen Webdesigner und einen
Hauptadministrator, außerdem Uploader, die die Filme hochluden.
Mehrere andere agierten als Freischalter, die die Qualität der Filme
sicherstellen sollten und dafür sorgen, dass weder Kinderpornografie, noch
Pornos, noch russische Filme angeboten wurden – eine Bedingung des
russischen Serverbetreibers. Dirk B. besorgte Werbung, die viel Geld
brachte. Bastian P. soll mehr als eine Million Euro eingenommen haben. Auf
einem den beschlagnahmten Konto fanden die Ermittler 2,5 Millionen Euro.
Er habe ein Eigenheim gewollt, sagt P.. Vor der Verhaftung lebte er mit
seiner taiwanesische Freundin und ihrem Kater zusammen, „unser Sohn“.
## Auf der Hochzeitsreise noch im Dienst
kino.to sei ein 24-Stunden-Job gewesen: „Wenn ich um acht Uhr ins Kino
gehen wollte und die Seite brach zusammen, das ging gar nicht.“ Der
Hauptadministrator, Martin S., habe selbst von seiner Hochzeitsreise aus
Dinge geregelt. S., gelernter Kfz-Mechaniker und der Schwager von
kino.to-Chef B., war Ende 2011 vom Amtsgericht Leipzig zu drei Jahren Haft
verurteilt worden.
Auch einer der aktivsten Uploader von Filmen, der Beschaffer der Server und
der Webdesigner, sind vom Amtsgericht bereits verurteilt worden.
Amtsgericht und Landgericht arbeiten sich in der Struktur der Firma kino.to
nach oben vor. Am Ende wird das Verfahren gegen Dirk B. stehen, der teure
Wagen fuhr und die Seite auch vom spanischen Lloret de Mar aus managte.
Bastian P. scheint seine Aussage große Überwindung zu kosten. Der Richter
gibt sich sehr verständnisvoll, fast väterlich, mit milden Nachfragen, „ja,
hm, ja“.
## Coden für Zigaretten und Cola
P. beginnt als Gymnasiast, sich fürs Programmieren zu interessieren. Er
arbeitet in einem Computerladen und schreibt eine Spamschutzsoftware, die
er gratis anbieten will. Ein Freund empfiehlt ihm dafür die Seite
saugstube.to, wo Seite zum Download stehen oder als Emule- und
Torrent-Dateien angeboten werden. So lernt er irgendwann Dirk B. kennen. P.
geht zum Studieren nach Tübingen, Philosophie und Informatik.
Fürs Programmieren der ersten Version von kino.to habe er 500 Euro
bekommen, sagt er. Dazu: Zigaretten und Cola. Die Seite wächst schnell. P.
muss kino.to für die hohen Zugriffszahlen rüsten, muss später Angriffe von
Konkurrenzseiten abwehren, Werbung einbinden.
Von Dirk B., dem Chef, fühlt er sich nicht ausreichend gewürdigt. Es gibt
zwar 2.500 Euro im Monat, aber B. zahlt oft erst, wenn er ihn mehrfach
auffordert. Bastian P. verliert seine Amazon-Kreditkarte.
P. ist mit vielem nicht zufrieden, auch nicht mit dem lahmen Rechenzentrum
in Russland. Aber er hat da wenig zu sagen. „Ich musste mit dem arbeiten,
was ich in die Hand bekommen habe“.
## Nebliger Vertrag
Irgendwann schließt Dirk B. einen Vertrag mit Bastian P. Er habe wohl die
Verantwortung auf ihn abwälzen wollen, für den Fall der Fälle. 50.000 Euro
werden P. zugesichert, sie unterschreiben die Sache bei einem Anwalt.
Natürlich haben die genauen Konditionen mit seiner wirklichen Arbeit wenig
zu tun.
Die Mitarbeiter von kino.to besprechen sich in Skype-Sitzungen. Besonders
als sie dann einmal erpresst werden. Jemand meldete sich und sagte, erzählt
P., er habe Rechnungen und Belege, um sie auffliegen zu lassen. Er
forderte, dass eine bestimmte Person mehr Filme uploaden dürfe und einige
Freischalter wieder eingestellt würden.
„Also nach der Erpressung hatten wir auf jeden Fall große Panik.Wir wussten
immer noch nicht: Ist das jetzt legal die Seite. Uns war schon immer klar,
das der Zusammenschluss aus Hoster und Seite nicht legal sein kann. Aber
die Seite? Das wussten wir nicht“, sagt P. Er dreht die ganze Zeit einen
Stift in den Händen, manchmal krampfen sich seine Finger in den Block, der
vor ihm liegt.
## Trauerfeiern in Schulen
Welche Rolle kino.to in Deutschland gespielt hat, erzählt dann der geladene
Sachverständige Thomas Hösl. 200.000 Unique User habe das Portal in den
Spitzenzeiten verzeichnet, vier Millionen Hits. Als es abgeschaltet war,
habe er Trauerfeiern in Schulen erlebt, Schweigeminuten. Drei, vier, fünf
Serien hätten die Nutzer, die zwischen 14 und 25 Jahren alt gewesen seien,
manchmal angesehen.
Bei den Auswertungen der Seite habe der Angeklagte ihn unterstützt. „Herr
P. war jederzeit absolut hilfsbereit.“ Dass er das auch bleiben will,
rechnet ihm der Richter hoch an, empfiehlt schon am zweiten Verhandlungstag
Strafmilderungen und der Staatsanwalt ist einverstanden, P. zum Kronzeugen
zu machen, der für seine umfassende Aussage einen Strafnachlass bekommen
könnte.
Die Maximalstrafe läge bei 15 Jahren Haft. Vermutlich aber wird das Urteil
deutlich niedriger ausfallen. Die Richter dürften allerdings auch nicht das
Maß von drei Jahren unterschreiten, zu denen das Amtsgericht Leipzig andere
kino.to-Mitarbeiter mit weniger verantwortungsvollen Aufgaben verurteilte.
Was er dann machen will? Weiterstudieren, sagt P, irgendwie, auch wenn es
jetzt ein Bachelor sei, kein Diplom mehr. Es werde nach dem folgenden
Zivilverfahren ja sicher schwer verschuldet sein. „Ich weiß nur, dass ich
von vorne anfangen muss.“
30 Mar 2012
## AUTOREN
Johannes Gernert
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