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# taz.de -- Wahlkampf in Frankreich: Die Jugend mag es radikal
> Bei den jüngsten Wählern liegt Marine Le Pen von der Front National noch
> vor Hollande und Sarkozy. Ihre Sprüche über Finanzmärkte und Ausländer
> kommen an.
Bild: Marine Le Pens Systemkritik tönt manchmal fast linksradikal.
PARIS taz | Der französische Front National (FN) liebt die Herausforderung.
Sitz und Wahlhauptquartier hat die rechtsextreme Partei mitten im
„Feindesland“, in einem von den Kommunisten (PCF) regierten roten Pariser
Vorort. Wer hier in Nanterre das Sagen hat, lässt sich an den Straßennamen
auf dem Weg zum Sekretariat des FN ablesen: Vom Bahnhof führt zuerst die
nach einem ehemaligen Kommunistenchef benannte Rue Maurice Thorez durch den
historischen Stadtkern, man stößt auf den Boulevard Stalingrad und die Rue
Waldeck-Rochet, ein anderer PCF-Vorsitzender, und überquert dann die Avenue
Vladimir Lénine.
Die FN-Zentrale befindet sich weiter südlich in einem Wohnquartier an der
Rue des Suisses, in einem von mehreren Videokameras überwachten modernen
Bürogebäude.
Als Antwort auf die „Provokation“ des FN wollte der heutige Bürgermeister
von Nanterre die Straße vor dem FN-Büro umbenennen und sie zum Gedenken an
den jungen Marokkaner Brahim Bouarram umtaufen, der am 1. Mai 1995 bei
einer Kundgebung von Jean-Marie Le Pen in die Seine geworfen worden war.
Das hat nicht geklappt.
Die Le-Pen-Partei legt Wert auf Diskretion. Weder die Parteifahne, eine
blau-weiß-rote Trikolore mit einer Flamme, noch Wahlplakate oder
irgendwelche Slogans zieren die Fassade. Am Eingang stehen dafür mehrere
stämmige und misstrauisch blickende Männer.
## Sarkozy nutzen die Attentate
Die Kontrolle der Presseausweise ist obligatorisch vor der Pressekonferenz
der Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Laut Umfragen kann sie
derzeit mit 15 bis 18 Prozent der Stimmen rechnen, das ist weniger als noch
vor ein paar Monaten, als einige Waghalsige sogar prophezeiten, sie könne
anstelle des bisherigen Präsidenten Nicolas Sarkozy den Sprung in die
Stichwahl schaffen. Dieser hat aber viele Wähler, die er an die extreme
Rechte zu verlieren drohte, im Gefolge der Attentate von Toulouse mit dem
Versprechen, gegen den islamistischen Terrorismus und eine Bedrohung
traditioneller Werte vorzugehen, wieder hinter sich geschart.
Zugleich macht der Volkstribun Jean-Luc Mélenchon von der Linksfront der
FN-Kandidatin den Anspruch streitig, die einzige Alternative zum „System“
zu sein. Marine Le Pen gibt sich keinesfalls geschlagen und geht vor der
Auslandspresse, die sie eingeladen hat, gleich in die Offensive.
Sie habe den Medien einen „Scoop“ mitzuteilen, beginnt die Kandidatin ihre
Einleitung: Die anderen Kandidaten reden von allem Möglichen, nur nicht von
der Hauptsache, der Krise. Dabei sei die Finanzkrise keineswegs vorbei, das
Schlimmste stehe Frankreich im Gegenteil noch bevor, falls nicht das einzig
Richtige gemacht werde: Den Euro durch den Franc ersetzen und aus der
Währungsgemeinschaft austreten.
Sie sei darum von den zehn am 22. April Kandidierenden die Einzige, die
eine Lösung vorschlage, statt bloßes Sparen in verschiedenen Varianten zu
predigen. „Wir sind auf derselben Treppe wie Griechenland und Spanien, nur
noch nicht auf derselben Etage.“ Statt die Franzosen zu schützen, wie dies
seine Aufgabe wäre, habe der Staat das Geld der Bürger verschleudert und
den Banken 1.400 Milliarden Euro an Zinsen bezahlt. Diese Abhängigkeit von
den Finanzmärkten nennt sie einen „goldenen Faschismus“.
## „Anti-System-Kandidatin“
Diese radikalen Sprüche haben laut einer Umfrage von Le Monde ein
wachsendes Echo vor allem bei den Wählern zwischen 18 und 24 Jahren. In
dieser Kategorie liegt Marine Le Pen demnach mit einem Anteil von 26
Prozent knapp vor dem Sozialisten François Hollande mit 25, Sarkozy mit 17
und Mélenchon mit 16 Prozent. Das überrascht die FN-Chefin nicht, die sich
als „Anti-System-Kandidatin“ sieht. Auch hätten die Jungen wohl verstanden,
dass sie ehrlich und geradeheraus sei.
Eigenartig klingt diese scharfe Kritik an der Marktwirtschaft bei einer
Partei, die früher vor allem die Antikapitalisten bekämpft hat. Wie die
Linke fordert sie, der Staat müsse sich gegen die Banken durchsetzen. Sie
rechtfertigt ihre Kritik mit einem „wirtschaftlichen Patriotismus“ und
erwartet anscheinend vom Ausstieg aus dem Euro ein Wunder.
Ihre oft fast linksradikal tönende Systemkritik mixt sie mit dem
traditionellen Kreuzzug des FN gegen die Immigranten, die für die extreme
Rechte schon immer ein Grund allen Übels waren. Auf dem Arbeitsmarkt
wünscht sie eine strikte Bevorzugung von Einheimischen. Ausländer, die ihre
Stelle verlieren, müssten nach einer Übergangszeit in ihr Herkunftsland
zurückkehren. Marine Le Pen meint dazu: „Ich bin human im Unterschied zu
Regeln, die in anderen Ländern bereits existieren!“
Dem Kandidaten Sarkozy streitet Le Pen das Recht ab, überhaupt noch eine
strengere Einreisekontrolle oder Bekämpfung der illegalen Immigration zu
versprechen. „Die Franzosen haben nicht das Erinnerungsvermögen von
Goldfischen“, sagte sie, „sie werden sich an die verheerenden Ergebnisse im
Bereich der Arbeitslosigkeit, der Kaufkraft und der Kriminalität erinnern.“
Obwohl sie Hollande und Sarkozy nur als Kehrseiten derselben Medaille
betrachtet, hat sie offensichtlich mehr gegen Sarkozy, der ihr die Wähler
abspenstig machen will. Im Falle eines Wahlsiegs schließt sie eine Allianz
mit der UMP oder anderen Parteien aus. Sie möchte sie bloß mit denjenigen
regieren, die sich ihr „aus Liebe zu Frankreich“ anschließen und den
„schädlichen Ultraliberalismus und die Immigration“ ablehnen.
12 Apr 2012
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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