# taz.de -- Nach dem Putsch in Mali: Im Schatten der Islamistenfahne | |
> Die Berichte aus dem von Tuareg-Rebellen ausgerufenen Wüstenstaat zeugen | |
> von islamistischen Übergriffen. Auch die Versorgungslage scheint schlecht | |
> zu sein. | |
Bild: Frauen in Timbuktu warten auf die Verteilung von Lebensmitteln. | |
COTONOU taz | Issa Dicko wird mit jedem Tag besorgter, wenn er die | |
Nachrichten aus seiner Heimat hört. Der Targi stammt aus Timbuktu, der | |
historischen Stadt im Norden Malis, die nun zu „Azawad“ gehört. Das ist das | |
Territorium, das die Tuaregrebellenarmee MNLA (Nationalbewegung zur | |
Befreiung von Azawad) seit dem 6. April als ihren eigenen Staat bezeichnet. | |
Und genau aus dieser Gegend gibt es nun jeden Tag neue Schreckensmeldungen. | |
Zuletzt meldeten malische Zeitungen, in Gao hätten Bewaffnete beim | |
öffentlichen Gebiet zwei jungen „Dieben“ die Hände abgehackt. | |
Die Tuaregseparatisten der MNLA seien das kleinere Problem, findet Dicko. | |
Viel mehr sorgt sich der einstige Mitorganisator des legendären | |
Kulturfestivals „Festival au Désert“ nun um den Einfluss von Ansar Dine | |
(Verteidiger des Glaubens). Der Anführer dieser radikalen islamistischen | |
Gruppe, Iyad Ag Ghaly, ist ebenfalls Targi und war Rebellenführer der | |
ersten Stunde aus den 1990er Jahren. Jetzt sind seine Kämpfer, bis vor | |
Kurzem in Algerien basiert, in den Norden Malis eingerückt und haben sich | |
fest etabliert, vor allem in Gao. In den von Ansar Dine eroberten Gebieten | |
soll die Scharia besonders streng ausgelegt werden. | |
Issa Dicko empfindet das als einen großen Widerspruch. „Wir sind doch schon | |
Muslime“, sagt er. Die Tuareg hätten zwar immer wieder für Autonomie im | |
Norden gekämpft, aber nie für radikalen Islam. „Das ist eine neue Idee, und | |
viele Menschen sind damit überhaupt nicht einverstanden“, sagt er. | |
Zu der Spekulation, der Norden Malis werde nun endgültig zum Sammelbecken | |
von Terroristen, passt auch die Vermutung, dass Boko Haram dort Fuß gefasst | |
haben könnte. In Nigeria gilt die radikale Sekte seit Jahren als größtes | |
Sicherheitsrisiko und hat Hunderte von Menschenleben auf dem Gewissen. Boko | |
Harams Ziele sind denen von Ansar Dine ziemlich ähnlich. Vergangene Woche | |
sollen Mitglieder von Boko Haram in Gao gesichtet worden sein. | |
## Rechtsfreier Raum seit Jahren | |
An einen eigenen Boko-Haram-Flügel in Mali glaubt Hussaini Abdu, Leiter der | |
nichtstaatlichen Organisation ActionAid in Nigeria, nicht. „Allerdings ist | |
es sehr gut möglich, dass Mitglieder von Boko Haram in den vergangenen | |
Jahren in der Sahara ausgebildet worden sind“, sagt Abdu, der sich seit | |
Jahren mit Boko Haram befasst. Schuld daran habe Malis Regierung, die über | |
eine lange Zeit nichts dagegen unternommen hätte. „Der Norden ist seit | |
einigen Jahren zu einem rechtsfreien Raum geworden, in dem sich radikale | |
Gruppen gut ausbreiten konnten.“ | |
Dass die Angst vor radikalen Islamisten die eigentlich größere ist, denkt | |
auch Martha Mamozai. Die Deutsche ist seit 1996 mit einem Malier | |
verheiratet. Ihr Mann lebt derzeit in Douentza, südlich von Timbuktu, an | |
der Grenze zwischen Azawad und Mali. Fast täglich telefoniert sie mit ihm. | |
Das Handy sei das Einzige, was noch einigermaßen funktioniere. Doch der | |
Rest sei katastrophal. „Mein Mann erzählt, dass die Geschäfte geschlossen | |
sind. Es gibt keine Busse mehr, und der Bevölkerung gehen die Lebensmittel | |
aus.“ | |
Man helfe sich zwar gegenseitig, so gut es gehe, aber ganz besonders | |
betroffen seien die vielen Straßenkinder, die nichts mehr zu essen hätten. | |
Dazu kommt noch die großen Sorge, wie sich die Lage in den kommenden Wochen | |
entwickeln wird. „Die Menschen können Ansar Dine nicht einschätzen und sind | |
sehr verunsichert“, so Mamozai. | |
Um zumindest etwas zu tun, hat sie nun gemeinsam mit anderen ehemals oder | |
aktuell in Mali tätigen Deutschen einen Brief an Außenminister Guido | |
Westerwelle verfasst. Darin wird Deutschland aufgefordert, in Mali zu | |
vermitteln – „Deutschland war das erste Land, welches die Republik Mali | |
nach der Unabhängigkeit 1960 politisch anerkannte“, so der Brief. Auch bei | |
der Befriedung seitheriger Tuaregrebellionen in Mali hat Deutschland immer | |
wieder eine wichtige Rolle gespielt. „In der Region hat es viele Projekte | |
gegeben“, so Mamozai. „Man kann das nicht alles hängen lassen.“ | |
19 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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