# taz.de -- 48.-51. Tag Ruanda-Völkermordprozess: Patriotische Folklore im Aut… | |
> Der Einsatz von Hightech bringt die Kirche von Kiziguro in den | |
> Frankfurter Gerichtssaal. Bekannte des Angeklagten verfolgen einen | |
> „göttlichen Auftrag“ – er sei ein Opfer. | |
Bild: Der angeklagte Ex-Bürgermeister und vermeintliche Völkermörder vor dem… | |
FRANKFURT taz | Seit mehr als 190 Verhandlungsstunden versuchen die | |
Richterinnen und Richter des 5. Strafsenates herauszufinden, ob der Mann | |
auf der Anklagebank, Onesphore Rwabukombe, ein Völkermörder ist. Ob er, der | |
einstige Bürgermeister von Muvumba, für den Tod von über 1.200 Menschen auf | |
dem Kirchenareal von Kiziguro am 11. April 1994 verantwortlich ist. Ob er | |
sie töten ließ, weil sie Tutsi waren. Nur 314 sollen überlebt haben. | |
Die Beweislage ist schwierig. Die Bundesanwaltschaft ist vor allem auf | |
Aussagen der Überlebenden angewiesen, um eine Beteiligung des Angeklagten | |
zu belegen. Neun Zeugen sollen es nun sein, die „glaubhaft“ dessen | |
Anwesenheit beim Massaker schilderten. Vor allem sie müssten den Senat | |
zweifelsfrei von einer Schuld des Angeklagten überzeugen. | |
Doch Zweifel gibt es oft, immer wieder gibt es Widersprüche. Die | |
Geschehnisse liegen nun fast 18 Jahre zurück. Einige der Zeugen sind | |
traumatisiert, manche ertrugen die Vernehmungen nur unter Tränen. Die | |
Erinnerung gerade an Details, wie sie oft von den Verteidigerinnen | |
hinterfragt werden, kann dabei nicht immer klar sein. Bleiben dem Gericht | |
ernsthafte Zweifel, muss der Angeklagte freigesprochen werden. | |
Noch im Dezember 2011 wurde ein Beweismittel der besonderen Art | |
eingebracht, ein virtuelles 3D-Modell des Kirchengeländes, das von Beamten | |
des BKA anhand von Rundumbildern und einer Laservermessung vor Ort | |
berechnet wurde. Das wurde nötig, weil dem Gericht eine Tatortbegehung ohne | |
Beisein des Angeklagten nicht erlaubt ist und dieser derzeit wenig | |
Interesse daran hat, nach Ruanda zu reisen. Das Modell zeigte, dass | |
zumindest zwei der Zeugen, die Rwabukombe am Tattag an der Kirche gesehen | |
haben wollen, dies gar nicht konnten. Zu hoch sind die Mauern, die das | |
Kirchengelände umgeben und zu hoch die Fenster in der Kirche. | |
Am darauffolgenden Verhandlungstag wurde der Inhalt einer CD des | |
ruandischen Sängers Simon Bikindi thematisiert, die man während einer | |
Durchsuchung 2008 im Wagen des Angeklagten fand. Von siegreichen Soldaten | |
der ehemaligen ruandischen Armee sei darauf die Rede, erklärte der | |
Dolmetscher für Kinyarwanda. Einige Lieder würden von den Angriffen der | |
Rebellenarmee der RPF handeln und die Bevölkerung dazu aufrufen „wachsam zu | |
werden“. Dennoch handele es sich seiner Einschätzung nach um „eher | |
kulturelle Folklore, zu der man tanzt“. | |
## Aufruf zur Vernichtung der Tutsis aus einem Lautsprecherwagen | |
Im Juni 1994 wurde zu den Äußerungen Bikindis nicht getanzt. Der | |
Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) sah es als erwiesen an, | |
dass er damals von einem Lautsprecherwagen der Interahamwe herab zur | |
Vernichtung von Tutsis aufrief und verurteilten ihn 2008 wegen Anstiftung | |
zum Völkermord zu einer Haftstrafe von 15 Jahren. Nicht aber wegen dessen | |
Musik. | |
Die beiden ersten Verhandlungstermine im Januar dieses Jahres waren von den | |
Vernehmungen mehrerer Bekannter und offenbar Freunden des tiefgläubigen | |
Angeklagten geprägt. Einige von ihnen sind Mitglieder derselben | |
Kirchengemeinde wie er. Seit Prozessauftakt begleiten sie das Verfahren vom | |
Zuschauerraum aus. Jetzt wurden sie selbst als Zeugen geladen. | |
Sie halten es nicht für möglich, dass sich ihr Freund, den sie nur „Ones“ | |
nennen, am Massenmord beteiligt haben soll. Ihnen habe der Angeklagte immer | |
gesagt, er sei zum Zeitpunkt der Tat schon selbst auf der Flucht, „nicht | |
da“, gewesen. Von Anfang an habe er die Vorwürfe von sich gewiesen. Es sei | |
nun ihr „göttlicher Auftrag“ der Familie Rwabukombe beizustehen. | |
## Der Angeklagte soll Opfer der politischen Verhältnisse in Ruanda sein | |
An einer möglichen Verantwortung des Angeklagten am Massaker glauben sie | |
nicht. Daran zweifeln sie nicht. Ihre Skepsis bezieht sich eher darauf, | |
dass es in Frankfurt nicht mit rechten Dingen zugeht. Der Kirchenvorstand | |
frage sich, „warum der Angeklagte genau an dem Tag inhaftiert worden sei, | |
an dem Paul Kagame auf Staatsbesuch in Deutschland war“ erklärt der | |
Gemeindepfarrer. | |
Die momentane ruandische Regierung habe „ein großes Interesse daran den | |
Angeklagten loszuwerden“, meint er weiter. Das habe der Angeklagte ihm | |
gesagt. Eine andere Zeugin sieht in dem ehemaligen Bürgermeister schlicht | |
„ein Opfer der politischen Verhältnisse in Ruanda“. | |
Auch außerhalb des Gerichtssaals bekunden einige von ihnen ihre ganz eigene | |
Sicht der Dinge. Dabei wurde des Öfteren deutlich, dass der Auftrag von | |
Oben zuweilen auch derb gestaltet sein kann. So zumindest, als eines der | |
Gemeindemitglieder im Zuschauerraum Zeugen als „Lügenpack“ bezeichnete. Es | |
sei klar, dass sie auch „Schlimmes“ erlebt hätten, aber auch sie müssten | |
doch ein Gewissen haben, sagte er. Viele der Aussagen sind für ihn | |
„Dreckslügen“. Wer dafür verantwortlich ist, scheint für ihn klar zu sei… | |
Als eine der Videovernehmungen kurzerhand ausfiel, weil ein Zeuge noch | |
nicht vom Gefängnis nach Kigali überstellt wurde, kommentierte er, „der war | |
noch nicht soweit“ und unterstellte damit indirekt eine Vorbereitung der | |
Zeugen durch ruandische Behörden. Der inhaftierte Ruander wurde dann am | |
nächsten Tag gehört. Er entlastete den Angeklagten. | |
2 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Sascha Hörmann | |
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