# taz.de -- 66.-69. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Erinnerungen eines Krieg… | |
> Der ehemalige FDLR-Soldat D liefert im Laufe seiner Vernehmung die bisher | |
> genaueste historische Schilderung des langen Kampfes der ruandischen | |
> Hutu-Exilanten im Kongo. | |
Bild: 2001 wurde Laurent-Désiré zum Präsidenten gewählt. | |
STUTTGART taz | Als er sich beim Vorsitzenden Richter vergewissert hat, | |
dass sein Name nicht in den Zeitungen stehen wird, gibt Zeuge D eine | |
persönliche Erklärung ab. Detailliert wie kein anderes der vielen | |
Mitglieder der im Kongo kämpfenden ruandischen Miliz FDLR (Demokratische | |
Kräfte zur Befreiung Ruandas), die bisher im Oberlandesgericht Stuttgart | |
beim Prozess gegen FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und seinen Vize | |
Straton Musoni vernommen wurden, schildert D seinen Werdegang und seine | |
Karriere in der Hutu-Truppe. „Jetzt kann ich ausfürhlich aussagen, wenn | |
mein Name nicht veröffenticht wird“. | |
D war vor Ruandas Völkermord 1994, bei dem die meisten Tutsi des Landes | |
abgeschlachtet wurden, Soldat in der ruandischen Armee, die beim Völkermord | |
mitmachte. Als diese Armee vor der damaligen Tutsi-Rebellion, der heute | |
regierenden RPF (Ruandische Patriotische Front), die Flucht ergriff, kam er | |
mit ihr in den Kongo, der damals noch Zaire hieß. | |
In den ostkongolesischen Kivu Provinzen angekommen, wurde diese geflohene | |
ruandische Armee FAR (Forces Armées Rwandaises) nicht komplett entwaffnet, | |
sondern ein Teil konstituierte sich neu, als bewaffneter Arm der | |
Hutu-Exilbewegung RDR (Sammlung für Demokratie und Rückkehr nach Ruanda). | |
„Wir hatten eine Division im Süden und eine im Norden von Kivu“, berichtet | |
D, „man hat eine Einheit 'Unité de Sabotage' gegründet, um Störangriffe in | |
Ruanda zu führen“. | |
Das war vor Herbst 1996, als Ruandas Armee in Unterstützung der | |
kongolesischen Rebellenbewegung AFDL (Allianz Demokratischer Kräfte zur | |
Befreiung des Kongo) des späteren Präsidenten Laurent-Désiré Kabila im | |
Kongo eingriff. Die ex-FAR kämpften dann mit dem damaligen Diktator Mobutu | |
Sese Seko gegen Kabila und Ruanda. Aber „die AFDL war stärker“, die | |
ruandischen Hutu-Kämpfer flohen: nach Brazzaville, nach Zentralafrika, auch | |
nach Angola, während die AFDL unter Kabila Kinshasa eroberte und die Macht | |
ergriff. | |
## Flucht nach Angola | |
D landete also Anfang 1997 in Angola. Dort fanden die ruandischen | |
Hutu-Kämpfer Unterschlupf bei der Rebellenarmee Unita von Jonas Savimbi, | |
die gegen Angolas sozialistische Regierung von Präsident Eduardo dos Santos | |
kämpfte und ebenfalls mit Mobutu verbündet war. „Weil die Unita gegen die | |
Regierung dos Santos gekämpft hat, gab die Unita uns Waffen“, erinnert sich | |
D. „Wir haben ein vollständiges Bataillon gegründet.“ | |
Aber im Sommer 1998 begann in Kongo ein zweiter Krieg, der viel länge | |
dauern sollte als der erste und das Land jahrelang teilte. Laurent-Désiré | |
Kabila zerstritt sich mit Ruanda, im Ostkongo gründeten sich neue, von | |
Ruanda unterstützte Rebellenbewegungen gegen Kabila, der daher seine | |
ehemaligen ruandischen Hutu-Feinde der ex-FAR zu Hilfe holte. | |
Die Hutu-Soldaten der ex-FAR kämpften ab jetzt mit Kabila gegen Ruanda. Das | |
begann schon einige Monate vor dem offenen Kriegsausbruch im August 1998 | |
begann, so D. Die Regierung Kabila stellte fest, dass sie aus dem Osten | |
angegriffen wurde, die ex-FAR in Angola und Zentralafrika wurden erneut um | |
Unterstützung gebeten. 1998, im Mai/Juni/Juli, ist die ex-FAR wieder zurück | |
in den Kongo gekommen. Zuvor hatte Kabila ihnen versprochen, ihnen zu | |
helfen, den Feind (Ruanda) aus dem Osten zurückzudrängen. Er sagte, wenn es | |
notwendig wird, wird man auch weitergehen." Was Kabila damit meinte – zum | |
Beispiel ein Angriff auf Ruanda – führt D nicht aus. | |
## Eine „Ruanda-Brigade“ mitten im Kongo | |
„Die ex-FAR-Brigade 'Yankees' in Masisi formierte sich neu“, erinnert sich | |
D. Dazu kamen die Rückkehrer aus Angola, Brazzaville und Zentralafrika. In | |
einer weiteren Aussage präzisiert der Soldat, dass in Kananga (Hauptstadt | |
der kongolesischen Provinz West-Kasai) eine „Ruanda-Brigade“ aufgestellt | |
wurde. Es entstand die ALIR (Armée pour la Libération du Rwanda), mit „ALIR | |
1“ im Ostkongo als Untergrundarmee gegen die dort herrschenden, von Ruandas | |
Regierung unterstützten Rebellen, und „ALIR 2“ als Teil der Kabila-Armee an | |
der Kriegsfront, die den Kongo in zwei Hälften teilte, mit Kabila im Westen | |
und Süden und Rebellen im Osten und Norden. | |
ALIR 2 stand in Pweto (Katanga), angeführt unter anderem vom späteren | |
FDLR-Militärchef General Mudacumura, sowie in Mbuji-Mayi (Ost-Kasai), | |
angeführt vom ehemaligen ruandischen Präsidialgardistenkommandeur Protais | |
Mpiranya, der später nach Simbabwe fliehen sollte, wo er bis heute lebt. | |
D gehörte zu ALIR 2. Er stand erst in Kananga, dann ab Ende 1998 in | |
Mbuji-Mayi. „Einen Teil unseres Soldes gaben wir unseren Kameraden im | |
Ostkongo“, erinnert er sich. Die Regierung Kabila „brachte Waffen mit | |
Hubschraubern nach Fizi“, einem Hafen am Tanganyika-See in Süd-Kivu. Ende | |
1999 habe man aber beschlossen, ALIR 1 und ALIR 2 zusammenzulegen - die | |
sogenannte „opération de jonction“. | |
D und seine Kameraden zogen also im Jahr 2000 aus Kasai nach Osten, erstmal | |
Richtung Katanga, durch unwegsames Gelände. Während dieser Operation wurde | |
von der Führung entschieden, „dass der Name ALIR nicht weiter benutzt | |
werden kann“ – in Reaktion darauf, dass die Organisation international als | |
terroristisch eingestuft wurde, nachdem sie in Uganda ausländische | |
Touristen entführt und ermordet hatte. „Dann haben sie die FDLR gegründet�… | |
so D. | |
## Die Gründung der FDLR | |
Das war „ungefähr im Mai 2000“. so der Soldat. Und er macht deutlich, wie | |
wichtig es für die neue Gruppierung FDLR war, jemanden wie Ignace | |
Murwanashyaka in Deutschland als Führer zu haben: „Die ALIR konnte nicht | |
genug Kraft haben, weil sie keine Leute im Ausland hatte. Man hat die | |
Führung der FDLR gegründet, die von Ignace Murwanashyaka angeführt wurde. | |
Man hat gesagt, dass er in Deutschland lebt.“ | |
Es gab Gespräche mit der katholischen Gemeinde Sant'Egidio in Italien, um | |
die FDLR international salonfähig zu machen. Murwanashyaka kam nach | |
Katanga, „ich habe ihn in Januar/Februar 2002 dort gesehen“. | |
Kongos Regierung - mittlerweile war Präsident Laurent-Désiré Kabila | |
ermordet und von seinem Sohn Joseph Kabila abgelöst worden, der | |
Friedensverhandlungen mit seinen Kriegsgegnern befürwortete - wollte die | |
ruandischen Hutu-Kämpfer jedoch loswerden und zurück nach Ruanda bringen, | |
im Rahmen einer Einigung mit Ruanda. | |
„Damals wurden viele Flüchtlinge und Soldaten in ihre Heimat gebracht“, | |
erinnert sich D an dieses Schlüsseljahr 2002, als das Ende des Kongokrieges | |
ausgehandelt wurde. „Aber die Brigade im Lager Kamina konnte fliehen“. In | |
dieser großen Militärbasis von Katanga waren zahlreiche ex-FAR-Soldaten | |
zusammengebracht worden, um entwaffnet und nach Ruanda zurückgebracht zu | |
werden. Sie wehrten sich im September 2002 mit Gewalt, die Repatriierung | |
nahm ein Ende. Aus diesen renitenten Soldaten gemeinsam mit den im Ostkongo | |
versprengten ruandischen Hutu-Kämpfern entstand das, was heute als FDLR im | |
Ostkongo aktiv ist. | |
„Sie gingen zu ihren Kameraden in den Wäldern“, beschreibt D, was die | |
Soldaten in Kamina nach ihrer Meuterei machten. „Dort sind sie 2003 | |
angekommen, dann gingen wir alle zusammen nach Masisi (Nord-Kivu), wo | |
unsere Kameraden waren. Meine Brigade ist im März/April 2004 dort | |
angekommen.“ Der Kongo ist riesig, alle diese Bewegungen erfolgten zu Fuß. | |
Ab 2005 waren dann die neuformierten FDLR-Brigaden in Ostkongos | |
Kivu-Provinzen im Einsatz. D, im Distrikt Masisi stationiert, gehörte dazu | |
bis 2009. | |
## Penible Kontrollen | |
Die ausführliche historische Schilderung von D ist für den | |
Kriegsverbrecherprozess nur am Rande relevant, und seine Aussage wirft | |
ansonsten wenig Licht auf die Vorwürfe gegen Murwanashyaka und Musoni. Sie | |
ist jedoch ein wertvolles historisches Zeitzeugnis einer düsteren Epoche | |
der zentralafrikanischen Geschichte. | |
Dass Murwanashyaka als FDLR-Präsident oberster Verantwortlicher auch des | |
militärischen Flügels war, bestätigt D ebenso wie Übergriffe gegen | |
Zivilisten - sowie den Umstand, dass die FDLR-Regeln solche Übergriffe | |
verbieten. D kann relevante Teile der Anklage zu Kriegsverbrechen, nach | |
denen er gefragt wird, nicht im Einzelnen bestätigen. Klarer als viele | |
Zeugen macht D aber deutlich, dass FDLR-Kämpfer sehr genau kontrolliert | |
wurden. Er selbst arbeitete ja im FDLR-Verwaltungsbereich. Die Waffen- und | |
Munitionsbestände wurden schriftlich registriert, es wurde penibel Buch | |
geführt. | |
„Wenn Soldaten eine Waffe brauchten, gaben wir sie ihnen und schrieben es | |
auf“, sagt er. Das macht es unwahrscheinlich, dass Angriffe und Massaker | |
ohne Wissen und Genehmigung der Führung durchgeführt wurden. | |
Ein Großteil der Vernehmung von D am 19., 21., 26. und 28. März geht mit | |
Formalien drauf. Auf Wunsch der Verteidigung werden große Teile der | |
Vernehmung des Zeugen durch die deutsche Generalbundesanwaltschaft in | |
Ruanda per Video vorgespielt, auseinandergenommen und kommentiert. Es | |
erweist sich, dass D nicht mehr genau alles weiß, was er damals - es war im | |
Jahr 2009 - den Deutschen gesagt hat. Die Verteidigung versucht, das für | |
sich auszunutzen. Es gelingt ihr aber nicht, klare Widersprüche | |
aufzuweisen. | |
## „Wir haben gekämpft und verloren“ | |
D gelingt es, den Kampf der FDLR vor allem als Vergangenheit darzustellen, | |
als historische Phase, die irgendwie vorbei ist, aber irgendwie auch nicht. | |
„Wir haben gekämpft und verloren“, bilanziert er auf die Frage, warum er | |
vor drei Jahren die Miliz verlassen hat. | |
„Am Anfang dachte ich: Wenn ich zurückkehre (nach Ruanda), gibt es | |
Probleme. Aber dann habe ich erfahren: Wenn man kein Genozidtäter ist, kann | |
man zurückkehren und eine Ausbildung machen; dass es kein Problem gibt, | |
wenn man Soldat war. Die dauernde Flucht mit den Kindern, sie können nicht | |
zur Schule gehen - ich dachte, all die Jahre die ich dort verbracht habe | |
sind verlorene Jahre, wenigstens sollen meine Kinder zur Schule gehen. Aber | |
man kann nicht sagen, dass die Jahre verlorene Jahre waren. Es kommt auf | |
die Geschichte an. Es war der Plan Gottes.“ | |
Redaktion: Dominic Johnson | |
11 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Bianca Schmolze | |
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