# taz.de -- 62.-65. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Das Telegramm des Genera… | |
> Ein FDLR-Kämpfer bestätigt, dass die Miliz Kinder rekrutierte. Der | |
> Militärchef habe angeordnet, Zivilisten als Feind zu betrachten, falls | |
> sie mit Kongos Armee zusammenarbeiten. | |
Bild: Waffen tragende Kindersoldaten im Kongo. | |
STUTTGART taz | M weiß viel und sagt viel. Der langjährige Soldat der FDLR | |
(Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), der seit den späten 1990er | |
Jahren in den FDLR-Vorgängerorganisationen diente und die Miliz im Kongo | |
erst 2010 verließ, hat bei seiner Vernehmung vor dem OLG Stuttgart am 27. | |
und 29. Februar sowie am 5. und 7. März mehr Interessantes zu erzählen | |
gehabt als so manch anderer FDLR-Veteran, der bisher im Prozess gegen | |
FDLR-PRäsident Ignace Murwanashyaka und seinen Vize Straton Musoni | |
aufgetreten ist. | |
Ausführlicher als jeder andere Zeuge vor ihm bestätigt M, dass es in der | |
FDLR Kindersoldaten gab – bisherige FDLR-Veteranen hatten die Rolle der | |
sogenannten Kadogos meist beschönigt. | |
In der schwersten Kriegszeit zwischen 1998 und 2000, als die damals noch | |
ALIR (Ruandische Befreiungsarmee) genannte Vorgängerorganisation der FDLR | |
im Ostkongo direkt gegen Ruandas Armee kämpfte, wurden Kinder von der | |
Militärführung „ohne Rücksicht auf das Alter rekrutiert, weil sie Soldaten | |
brauchten“. Weiter: „Derjenige, der stark ist, wurde rekrutiert, das Alter | |
wurde nicht berücksichtigt“. | |
Rekrutierungen von Kindersoldaten durch die FDLR gab es laut M auch wieder | |
2009, während der gemeinamen kongolesisch-ruandischen Militäroperation | |
„Umoja Wetu“ gegen die Miliz im Ostkongo, die die FDLR empfindlich | |
schwächte: „Junge Leute über und unter 14 Jahren wurden rekrutiert, um | |
auszugleichen, dass Soldaten im Kampf starben“, sagt der Zeuge. | |
## Militärische Ausbildung für Kindersoldaten | |
„Diese Rekrutierungen gab es in allen Einheiten des Hauptquartiers“. Vor | |
Umoja Wetu habe die FDLR die Untergrenze von 18 Jahren für die Rekrutierung | |
eingehalten, „aber nach Umoja Wetu wurden auch die unter 18 Jahren | |
rekrutiert“. | |
Die Kindersoldaten wurden militärisch ausgebildet, sagt M. „Ein Kadogo ist | |
ein guter Schütze, er hat schießen gelernt, er kann nicht beim Militär | |
bleiben, ohne schießen zu lernen“, führt er aus. | |
Normalerweise aber tragen die Kinder nur die Waffen ihrer erwachsenen | |
Vorgesetzten, oder blieben zurück, um Lebensmittel zu besorgen. | |
M fertigt eine detaillierter Zeichnung des Hauptquartiers des militärischen | |
FDLR-Flügels FOCA in Kalongi an. Daraus und aus seinen nachfolgenden | |
Erklärungen geht genau hervor, welche Einheit wo stand und wer was zu tun | |
hatte. | |
## Goldgruben bewacht | |
M war schließlich lange genug selber dort stationiert. Er weiß, wie wichtig | |
bis 2009 die wirtschaftlichen Aktivitäten der FDLR waren: „Wir haben Handel | |
betrieben und die anderen haben uns beschützt, als wir unsere Waren | |
transportierten“, erinnert er sich an seinen Dienst in der entsprechenden | |
Kompanie. | |
„Die Kongolesen hatten Goldgruben, man hat den Leuten dort Soldaten zur | |
Verfügung gestellt, um für die Sicherheit der Arbeiter in der Grube zu | |
sorgen, die haben dafür bezahlt.“ | |
M weiß auch vom üppigen Bierkonsum des FDLR-Militärchefs General Sylvestre | |
Mudacumura, und er weiß vor allem von den Beziehungen zwischen Mudacumura | |
und Murwanashyaka – wie die meisten anderen Zeugen aus dem Feld kann er mit | |
Musoni kaum etwas anfangen. | |
„War Murwanashyaka der oberste Führer der FDLR?“ fragt das Gericht. „Ja,… | |
sehe ich das“, antwortet M. „Wir haben Murwanashyaka als Präsident der | |
Republik betrachtet.“ | |
## Telefonate mit Mannheim | |
Er erinnert sich an Murwanashyakas mittlerweile mehrfach geschilderten | |
Besuch bei den FDLR-Truppen im Kongo 2006: „Murwanashyaka war mein | |
Führer... er sagte uns: ,Kämpft weiter, damit wir erhobenen Hauptes zurück | |
nach Ruanda können.'“ | |
Oft habe General Mudacumura in Kalongi „dreimal täglich“ mit Murwanashyaka | |
in Mannheim kommuniziert – per Telefon, dass er sich bringen ließ, aber man | |
musste bei den Gesprächen weggehen. | |
Mudacumura „sagte uns, dass, alles aus Deutschland kommt“, erklärt M, was | |
der General danach zu erzählen pflegte: „Alles, was Mudacumura uns vorlas, | |
er sagte, dass der höchste Vorgesetzte es geschickt hat... Er hat damit | |
Murwanashyaka gemeint, er hat seinen Namen genannt: das hier kommt von | |
Ignace Murwanashyaka, ihr sollt das und das machen". | |
M bestätigt als erster Zeuge auch einen Befehl der FDLR-Führung, die | |
kongolesische Zivilbevölkerung als Feind zu betrachten. | |
## Konsequenzen angedroht | |
Er erinnert sich an das entsprechende „Telegramm“ von General Mudacumura | |
und gibt den Inhalt teilweise wieder: „Die Kongolesen, die uns verlassen | |
haben und die mit FARDC (Kongos Regierungsarmee) zusammenarbeiten, werden | |
dafür Konsequenzen sehen“; „man soll mit dem Handel aufhören, alle Aufgab… | |
von Soldaten, die nicht Kampf sind, sollen aufgegeben werden“; „wir sollen | |
unsere Sachen zurücklassen, damit wir nicht sterben“. | |
„Jeder Kämpfer der FOCA hat das Telegramm bekommen“, berichtet M, ohne den | |
genauen Zeitpunkt zu nennen – er wird danach auch nicht gefragt. | |
„Es war ein Blatt und man las es uns vor. Der, der schreiben konnte, | |
schrieb es auf, die anderen lernten es auswendig. Ich habe das Telegramm im | |
Kopf behalten“. | |
Die FDLR, so bestätigt M weiter, verteilte in dieser kritischen Zeit auch | |
Handzettel an die kongolesische Bevölkerung, in der lingua franca Swahili | |
gehalten: „Ihr Kongolesen, wir haben eure Töchter geheiratet, ihr habt | |
unsere Töchter geheiratet. Wir haben zusammengelebt. Passt auf, macht nicht | |
den Fehler, unsere gute Zusammenarbeit zu zerstören. Wenn der Feind kommt, | |
sollt ihr nicht zeigen, wo eure Schwager und Töchter sind, damit sie nicht | |
getötet werden. Wenn ihr das macht, wisst ihr, dass ihr Konsequenzen haben | |
werdet, auch eure Leute. Denn dort, wo zwei Elefanten kämpfen, leidet das | |
Gras. Fallt nicht in diese Falle.“ | |
## FDLR-Kämpfer ohne Uniform | |
Anders als der vorherige Zeuge bestätigt M nicht, dass die FDLR noch 2008 | |
Uniformen von Kongos Armee erhielt. Er bestätigt vielmehr andere Aussagen, | |
wonach FDLR-Kämpfer oftmals nur teilweise oder gar nicht uniformiert waren. | |
Er berichtet aber auch von der zivilen FDLR-Einheit „Résistance Civile“, | |
die sowohl Gewehre als auch Macheten besitzt und die Militäreinheiten | |
notfalls verstärkt. Diese Einheit wird für einige der brutalsten Verbrechen | |
während des Massakers von Busurungi in der Nacht des 9. Mai 2009 | |
verantwortlich gemacht. | |
In diesem Punkt sind die Aussagen von M so sensibel, dass der letzte | |
Vernehmungstag sowie ein Teil des vorletzten unter Ausschluss der | |
Öffentlichkeit stattfindet – wegen der Gefährdung für Leib und Leben eines | |
Vergewaltigungsopfers aus Busurungi, wie der 5. Strafsenat den von der | |
Bundesanwaltschaft gleich zu Beginn seiner Vernehmung beantragten | |
Ausschluss begründet. | |
Dass dies überhaupt thematisiert wird und dann einen breiten Raum in der | |
Befragung einnimmt, ist an sich bereits eine Wiederlegung der erneut | |
vorgetragenen These der Verteidigung, in Busurungi hätten sich gar keine | |
Zivilisten befunden. | |
Redaktion: Dominic Johnson | |
9 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Bianca Schmolze | |
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