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# taz.de -- Kinshasa wächst rasant: Manhattan am Kongo
> Von Lebensqualität ist in Kinshasa keine Spur. Das soll sich ändern: Ein
> Hedgefonds baut eine neue Stadt auf einer künstlichen Insel im Fluss. Die
> Elendsquartiere vor der Tür bleiben.
Bild: Eine Familie in Kinshasa. Die Stadt liegt mittlerweile auf Platz 24 der t…
KINSHASA taz | Hinter der letzten Reihe windschiefer Holz- und
Wellblechhütten lichtet sich der Horizont. Eine frische Brise weht vom
gewaltigen rostbraunen Fluss und verweht den Gestank des Unrats, der in
dreckigen Pfützen fault. Fischer paddeln in hölzernen Pirogen durch das
Sumpfgras. In der Ferne sieht man die Bürotürme von Kinshasas Stadtzentrum
in einer Dunstglocke liegen.
Im Vordergrund ragt eine gewaltige Pumpe wie ein Kanonenrohr in die Luft,
die große Mengen Sand ausspuckt. Quadratmeter für Quadratmeter begräbt sie
täglich das Sumpfgras unter einer sechs Meter dicken Sandschicht. Wo einst
das seichte Flussbett des Kongos war, entsteht nun eine künstliche Insel.
Und wo die schlammige Sackgasse endete, führt nun eine frisch geteerte
Straße auf die Sandbank.
Das künstliche Paradies im Fluss wird streng bewacht. Neben der Schranke
steht Silvyian Andinga vor seinem zerstörten Backsteinhäuschen. Von außen
lässt sich erkennen: Die Seitenwand hat Sofa, Tisch und Stühle unter sich
begraben. Die Planierraupe habe die Mauer plattgemacht, schimpft der Alte:
„Ich habe 16 Kinder und kein Dach über dem Kopf.“ Mit 3.000 Dollar
Entschädigung wollte der Bauherr Andinga für sein zerstörtes Domizil
abspeisen. Doch der Familienvater zog vor Gericht. „Der investiert dort
Millionen in eine ganze Stadt und ich soll für ein paar Dollar meine Sachen
packen?“
## Eine nackte Insel
Wo Andinga noch vor zwei Jahren angeln ging, wölbt sich derzeit nur eine
nackte Insel aus den Wogen des Kongo. Noch ist es kaum vorstellbar, dass
dort in spätestens zehn Jahren gläserne Hightechgebäude in den Himmel ragen
werden. Eine moderne Stadt in der Stadt soll hier entstehen: mit 200
Villen, 10.000 Wohnungen und ebenso vielen Büros, Strom und
Wasserversorgung, Glasfaserverkabelung, Einkaufszentren, Kirchen, Hotels,
Schulen, Krankenhäusern, Sportclubs und Grünanlagen – all das, wovon
Menschen wie Andinga nicht einmal zu träumen wagen.
Lediglich ein grasgrünes Haus steht an der Promenade, ein Modellobjekt.
Daneben rührt ein Betonmischer Baumasse an. Dutzende Arbeiter legen in der
tropischen Mittagshitze das Fundament für das nächste Haus. In einem
Baucontainer steht eine komplexe Maschine: Arbeiter klemmen eine Rolle
plattgewälzten Stahl in die Maschine ein. Auf Knopfdruck beginnt die
Maschine, das Stahlband einzuziehen und mittels Computersoftware in ein
verwinkeltes Gerüst zu pressen und zu biegen. Wie bei einem Baukastensystem
lassen sich so Fenster- oder Türrahmen basteln.
Kaum eine Stadt Afrikas wächst derzeit schneller als Kinshasa. Von 8 auf
schätzungsweise 12 Millionen hat sich die Einwohnerzahl in den vergangenen
fünf Jahren erhöht. Und genauso rasant wachsen die Grundstückspreise. Wer
im Stadtzentrum rund um den achtspurigen Boulevard eine Bleibe kaufen will,
muss mindestens 2.000 Dollar pro Quadratmeter hinlegen, bei Häusern mit
Flussblick gut das Doppelte oder Dreifache. Auf der Liste der teuersten
Städte der Welt belegt Kinshasa bereits Platz 24. Doch in Sachen
Lebensqualität befindet es sich ganz weit unten. Es gibt im Kongo nur zwei
Prozent geteerte Straßen, die Stromversorgung ist nach wie vor
katastrophal.
Die Stadtverwaltung zählt in ihrem Entwicklungsplan von 2007 ehrgeizige
Projekte auf: Müllentsorgung, Zugang zu Wasser und Strom, neue
Krankenhäuser und Schulen, Wiederaufbau der Infrastruktur. Immerhin,
chinesische Baufirmen haben in den vergangenen Jahren acht
Hauptverkehrsstraßen ausgebaut.
## Eine Herkulesaufgabe
Entlang dieser Boulevards wachsen gewaltige Bürotürme in die Höhe,
Shoppingzentren eröffnen, ein 450-Betten-Krankenhaus ist im Bau. Doch kaum
verlässt man die frisch geteerten Straßen von Kongos Megacity, sieht man
auf den ersten Blick: Die Stadt auf Vordermann zu bringen, ist eine
Herkulesaufgabe. Das Bauprojekt auf dem Kongofluss gilt dabei als
ambitioniertestes Projekt. Der Ansatz: Nicht die alte Infrastruktur
modernisieren, sondern auf ganz neuem Grund bauen.
Robert Choudury ist der Manager von Hawkwood Properties, einer Firma, die
die 24 Millionen Dollar verwaltet, die ein britischer Hedgefonds in die
Flussstadt investiert. Der Extennisprofi steht in weißen Turnschuhen und
Tennistrikot auf der Baustelle. Hinter ihm speit eine gewaltige Pumpe Sand
aus: Im Minutentakt wächst die künstliche Insel. Sechs Meter Sand müssen
ins Flussbett gekippt werden, um Land zu gewinnen. Derzeit umfasst die
Insel rund 53 Fußballfelder. In fünf Jahren soll sie zehn Mal so groß sein.
## „Europäischer Standard“
Entlang der frisch gepflasterten Uferpromenade schlendert Choudury auf das
einzige Haus der Insel zu: ein zweistöckiges Apartmentgebäude in
Fertigbauweise – sein Vorzeigeobjekt mit Einbauküche, klimatisiertem
Wohnzimmer und modernen Badezimmern. „Alles europäischer Standard“, preist
der 52-jährige gebürtige Franzose in flüssigem Deutsch und schaltet den
Flachbildschirm neben dem Ledersofa an.
Auf kunterbunten Folien erscheinen gläserne Bürotürme für ausländische
Firmen wie den Mobilfunkanbieter Vodacom, der Interesse bekundet hat, sich
mit 300 Mitarbeitern auf der Insel niederzulassen. An der Uferpromenade
plant die Firma Villen im arabischen oder europäischen Stil, mit Palmen und
Gartenanlagen.
2.000 Dollar kostet ein Quadratmeter, ein „Schnäppchen“, meint Choudury.
„Dieser Teil von Kinshasa soll so werden wie bei uns zu Hause“, sagt der
Franzose. „Also eine Mittelklassesiedlung.“ Die Nachfrage sei enorm: Jeden
einzelnen aufgeschütteten Quadratmeter hat er bereits verkauft, noch bevor
die Insel überhaupt fertig ist.
Die potenziellen Kunden treffen sich mit Choudury in der Pizzeria mit
Steinofen an der Uferpromenade. Die Interessenten sind meist Mitarbeiter
von internationalen Nichtregierungsorganisationen oder ausländische
Investoren, die im Kongo ein gutes Geschäft machen. Wie der Libanese Nazim
Rawji, der seit 17 Jahren mit seinen Lastwagen die Hauptstadt Kinshasa mit
allem beliefert, was am 250 Kilometer entfernten Atlantikhafen Matadi
ankommt.
## Mehrspurige Schnellstraße
Rawji verhandelt gerade über die Lage seiner Wohnung „mit Blick auf den
Fluss“. Er wolle auf die Insel ziehen, sobald die von den Chinesen geplante
Autobahn von Kinshasas Stadtzentrum zum 25 Kilometer entfernten Flughafen
gebaut wird. Die mehrspurige Schnellstraße soll an den beiden
Zufahrtsstraßen für die Flussinsel vorbeiführen. „Darüber kann ich dann in
wenigen Minuten mein Büro erreichen“, sagt Rawji.
Doch mit dem Ausbau der Flussinsel wird Silvyian Andingas halb zerstörtes
Backsteinhaus endgültig weichen müssen. Denn die Zufahrtsstraße dorthin
wird ebenfalls verbreitert, so der Plan. Der alte Mann beobachtet jeden
Tag, wie Choudurys Kunden in ihren Geländewagen große Augen machen, sobald
sie die Einfahrt zur Flussstadt passieren.
„Ich bin vor Gericht gegangen, um das Projekt zu stoppen oder zumindest
eine angemessene Entschädigung zu erhalten“, sagt Andinga mit einem
Seufzer. Dabei zuckt er mit den Schultern. „Gegen die Megaprojekte der
großen Bosse haben wir einfachen Leute doch keine Chance.“ Dabei könne die
Flussstadt den schlechten Ruf von Kinshasa deutlich aufbessern, gibt er zu.
23 Apr 2012
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Gambia
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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