# taz.de -- 72.-73. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Handys und Schweine-Hutu | |
> Warum verlassen FDLR-Kämpfer die ruandische Miliz im Kongo und gehen nach | |
> Ruanda zurück? Die FDLR-Führung sagt: Das ist eine „Krankheit“ und das | |
> Mobiltelefon ist schuld. | |
Bild: Eine ruandesische Mutter heißt ihren Sohn willkommen, der nach 15 Jahren… | |
STUTTGART taz | Für eines haben Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, | |
die beiden in Stuttgart wegen Kriegsverbrechen angeklagten Führer der | |
ruandischen Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), | |
überhaupt kein Verständnis: dass FDLR-Kämpfer freiwillig nach Jahren des | |
Krieges den kongolesischen Busch verlassen und zurück nach Ruanda gehen. | |
Tausende haben dies in den vergangenen Jahren gemacht, aber für die beiden | |
FDLR-Führer ist das eine „Krankheit“. | |
Dieses Thema nimmt breiten Raum in abgehörten Telefongesprächen des | |
FDLR-Vizepräsidenten Musoni ein, die seit dem 23. April im | |
Oberlandesgericht Stuttgart vorgespielt und übersetzt werden. Musoni | |
spricht darüber mit Murwanashyaka und auch mit anderen Gesprächspartnern. | |
Ein ruandischer Exilant in Deutschland, der in dieser Zeit mehrmals und | |
ausführlich mit Musoni telefoniert, erzählt am 10. Mai 2009, was sein | |
jüngerer Bruder dazu sagt, der noch im kongolesischen Wald kämpft. | |
„Er sagt: Was uns beunruhigt, ist, dass viele Leute, die lange dort lebten, | |
freiwillig nach Hause gegangen sind ohne dass jemand sie rekrutiert hat. | |
Ich fragte: Warum? Er sagte: Der Grund ist, dass die Telefone schlecht | |
sind. In Ruanda hat jeder ein Telefon, so dass alle Leute dort jemanden | |
haben, der ein Telefon hat, und sie kommunizieren. Jemand der in Ruanda | |
lebt, der sagt, Ruanda ist wie ein Paradies, und dann fangen einige Leute | |
an, zurück nach Hause zu gehen. Und wenn man nach Hause zurückkehrt, lebt | |
man dort wie ein Hund“. | |
Musoni stimmt zu: „Sie täuschen sich. Nur wer eine Beziehung mit der | |
Regierung hat, kann gut leben, alle anderen leben wie Hunde.“ Der Exilant | |
fährt fort mit der Schilderung seines Bruders aus dem Busch: „Er hat auch | |
gesagt: Die, die nach Hause zurückgehen, haben auf den Feldern gearbeitet | |
und Vieh gezüchtet, sie haben gut gelebt und sind übergewichtig geworden, | |
sie waren so übergewichtig dass sie nicht mehr die militärische Arbeit | |
machen können“. | |
## Ohne Mobiltelefone war alles besser | |
Alles war besser, als die Leute noch keine Mobiltelefone hatten, sind sich | |
die beiden einig. „Damals gab es keine Probleme, die Leute haben gut | |
gelebt“, meint Musoni und ärgert sich: „Wir wollten eigentlich diese | |
Telefone verbieten. Wir haben festgestellt, dass es nicht möglich ist. Über | |
die Frage haben wir vor zwei Jahren diskutiert. | |
Wer Telefone hat, geht dorthin, wo es ein Netz gibt, also in die Städte, | |
sie telefonieren den ganzen Tag, sie bitten um Geld, und wenn sie das Geld | |
bekommen, versuchen sie, Tickets zu kaufen, und man hört, dass sie schon in | |
Kenia, Sambia und so weiter angekommen sind. Aber wenn wir mit ihnen | |
sprechen, sagen sie: Gott sei Dank dass wir noch entschlossene Leute haben, | |
die gibt es genug, so dass die, die nach Ruanda zurückkehren, die sind, die | |
nicht mit dem Krieg zurechtkommen und nicht weiterkämpfen können.“ | |
Musoni und sein Gesprächspartner sind davon überzeugt, dass Rückkehrer mit | |
falschen Versprechen nach Ruanda gelockt werden. Der FDLR-Vizepräsident | |
nennt den Fall des desertierten FDLR-Sprechers Ngarambe: Er kehrte nach | |
Ruanda zurück, und „als er ankam, hat man ihm vieles versprochen“, so | |
Musoni. Aber dann habe man ihm vorgeworfen, an der Ermordung zehn | |
belgischer UN-Soldaten zu Beginn des Völkermordes in Ruanda 1994 beteiligt | |
gewesen zu sein: „Jetzt hat er Probleme nicht nur in Ruanda, sondern auch | |
international. Wenn die Belgier ihn erwischen würden, würde er festgehalten | |
und mindestens zehn Jahre im Gefängnis verbringen“. | |
Ein anderer Rückkehrer sei zu lebenslanger Haft verurteilt worden. „Wenn | |
man ankommt und sie haben eine kleine Sache, die sie dir vorwerfen können, | |
lassen sie dich nicht in Ruhe und dann wird man angeklagt“, weiß Musoni. | |
## Die Rücker von FDLR-Mitgliedern sei eine „Krankheit“ | |
Die Rückkehr prominenter FDLR-Mitglieder nach Ruanda sei eine „Krankheit“, | |
bestätigen sich auch Musoni und Murwanashyaka gegenseitig in einem Gespräch | |
am 14. Juni 2009 – mitten in der Zeit, als sich die FDLR mit heftigen | |
Angriffen auf kongolesische Dörfer gegen kongolesische Armeeoffensiven | |
erwehrte. „Jeder denkt, er hat einen eigenen Charakter und ist stärker als | |
die, die es vor ihm taten“, meint Musoni. „Sie glauben, sie werden mit | |
Applaus empfangen.“ Das sei „Selbstüberschätzung“. | |
„Kabila gibt ihnen Geld dafür“, weiß Murwanashyaka: Kongos Präsident | |
ermutige die FDLR-Kämpfer, zu desertieren. „Kabila sagt ihnen: macht das | |
und das.“ Musoni sekundiert: „Das Problem ist: Die, die belogen werden, | |
denken nicht gründlich darüber nach.“ Er meint weiter: „Man muss den Leut… | |
die Gefahr erklären. Man kann sie überzeugen, wenn man sie immer wieder | |
anruft.“ | |
„Das ist eine gute Idee“, sagt Murwanashyaka dazu. „Man muss sie immer | |
wieder daran erinnern, dass sie in eine Falle des Feindes geraten werden, | |
wenn sie nicht aufpassen.“ Er werde dazu eine Botschaft an die Truppe | |
verfassen. | |
## Ständiger Streit um die Übersetzungsdetails | |
Wie immer bei der Verlesung von abgehörten Telefonaten gibt es auch an | |
diesen beiden Verhandlungstagen des 23. und 30. April ständig Streit um | |
Übersetzungsdetails: Mal verstehen die beiden Angeklagten das ruandische | |
Original anders als der Gerichtsdolmetscher, mal weicht dessen mündliche | |
Übersetzung von der bereits vorliegenden Verschriftlichung in den Akten ab. | |
So sagt einer der Gesprächspartner Musonis, dass 2009, als Kongos Regierung | |
sich gegen die FDLR stellte, „unanständige Personen“ die FDLR verraten | |
hätten – jedenfalls ist das die Wortwahl des Dolmetschers. Der Vorsitzende | |
Richter Hettich unterbricht und fragt nach: „In der Verschriftlichung | |
steht: Kongolesische Schweine-Hutu, wie Hunde-Hutu“. | |
Der Dolmetscher bestätigt, dass das Wort „Hund“ fiel und „Hunde-Hutu“ … | |
wörtliche Übersetzung sei. Ab diesem Zeitpunkt beginnen die Richter immer | |
zu grinsen, wenn weiter von Hunden die Rede ist. | |
3 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda | |
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda | |
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
UN-Kriegsverbrechertribunal: Karadzic in einem Punkt freigesprochen | |
In bosnischen Gemeinden soll Karadzic keinen Völkermord veranlasst haben. | |
Von diesem Punkt der Anklage ist er freigesprochen worden. Die Anklage | |
wegen Srebrenica bleibt. | |
79.-82. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Ich bin ein Draufgänger“ | |
Wie FDLR-Vize Musoni aus Baden-Württembergs Justizministerium heraus seine | |
Miliz anrief und es niemand merkte. Und wie ein FDLR-Kämpfer im Kongo ein | |
Dorf voller Leichen fand. | |
74. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Töten war OK, sagt die Verteidigung | |
Die mutmaßlich zivilen Opfer der FDLR im Kongo waren keine Zivilisten. | |
Daher war es kein Kriegsverbrechen, sie umzubringen, sagen die Anwälte. | |
Gewalt im Kongo: Warlord-General soll vor Gericht | |
Regierungstruppen und abtrünnige Soldaten liefern sich heftige Gefechte. | |
Ein Gouverneur hat angekündigt, den Warlord Ntaganda zur Verwantwortung zu | |
ziehen. | |
70.-71. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Aus dem Kongo nach Darfur | |
Ein erneut geladener ehemaliger FDLR-Kämpfer berichtet darüber, wie | |
Demobilisierte in Ruanda organisiert sind – und wird gebeten, bei den | |
Ermittlungen zu helfen. | |
52. - 54. Tag Ruanda-Völkermordprozess: Zu müde um weiter zu töten | |
Weitere Zeugenaussagen von Überlebenden bringen den Horror von Kiziguro | |
nach Frankfurt und belasten den Angeklagten. Der Richter sorgt sich um | |
mögliche Manipulationen. | |
48.-51. Tag Ruanda-Völkermordprozess: Patriotische Folklore im Autoradio | |
Der Einsatz von Hightech bringt die Kirche von Kiziguro in den Frankfurter | |
Gerichtssaal. Bekannte des Angeklagten verfolgen einen „göttlichen Auftrag“ | |
– er sei ein Opfer. | |
66.-69. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Erinnerungen eines Kriegers | |
Der ehemalige FDLR-Soldat D liefert im Laufe seiner Vernehmung die bisher | |
genaueste historische Schilderung des langen Kampfes der ruandischen | |
Hutu-Exilanten im Kongo. | |
Debatte Internationaler Strafgerichtshof: Dämpfer in Den Haag | |
Nach neun Jahren erlebt der Internationale Strafgerichtshof seinen ersten | |
Schuldspruch. Er ist damit auf dem Boden der Tatsachen gelandet – was | |
heilsam und gut ist. |