# taz.de -- Sämtliche Parteien unterschätzen Netzpolitik: „Netzpolitik wird… | |
> Netzpolitische Fragen thematisieren gesellschaftliche Konflikte. Doch | |
> selbst die Piraten gewinnen mit dem Thema nicht genug Wähler, meint | |
> Parteienforscher Oskar Niedermayer. | |
Bild: Extremes Freiheitsbedürfnis: Auch ein netzpolitisches Thema, das in der … | |
Ist Netzpolitik das Politikfeld der Zukunft? | |
Netzpolitik wird noch wichtiger werden, als sie es jetzt schon ist. Das | |
zentrale Thema wird sie aber auch in der näheren Zukunft nur für einen Teil | |
der Wählerschaft sein. Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen einem | |
extremen Freiheitsbedürfnis und dem Regulierungsanspruch des Staates in | |
dieser neuen digitalen Sphäre. Das ist ein Grundkonflikt, der aber für | |
große Teile der Bevölkerung noch nicht so relevant ist, als dass er die | |
Gesellschaft spalten würde. | |
Ist das Internet also immer noch ein Nischenthema? | |
Nein, aber netzpolitische Fragen sind nicht wahlentscheidend. | |
Wann wird es ein Netzministerium geben? | |
Sobald nicht. Die existierende Ressortaufteilung ist sehr beharrlich. | |
Muss Netzpolitik stärker in die existierenden Ressorts integriert werden? | |
Eindeutig. Es gibt permanent nationale und internationale Netzthemen, wie | |
Acta oder die EU-Richtlinien zur Vorratsdatenspeicherung. Die Frage ist, ob | |
diese Themen als gesellschaftliche Konflikte kenntlich gemacht werden | |
können, so dass eine Partei damit tatsächlich auch groß werden kann. | |
...die Piraten? | |
Am Anfang war Netzpolitik das einzige und zentrale Thema der Piraten. | |
Wahlerfolge haben sie aber nicht mit diesem Thema eingefahren. Für sie ist | |
Netzpolitik vor allem wichtig, weil sie einen Gründungsmythos darstellt. | |
Außerdem mobilisiert sie die Kernwähler, die Digital Natives. Die machen | |
bei Wahlen aber nur etwa zwei Prozent aus. | |
Woran sehen Sie, wie wichtig Netzpolitik tatsächlich für die Piraten ist? | |
Zum Beispiel an den letzten Bundestags- und Europawahlen. Da war das | |
Internet noch das einzige Thema der Piraten, entsprechend sind die | |
Ergebnisse ausgefallen. | |
Womit machen sie dann Stimmen? | |
Sie versprechen eine neue Art von Politik, damit ziehen sie Randwähler von | |
allen Parteien ab. In den Landtagswahlkämpfen war Netzpolitik eines unter | |
vielen Themen. Entscheidend war, dass sie Partizipation und Transparenz als | |
neue Werte in die politische Diskussion eingeführt haben. | |
Partizipation und Transparenz sind doch Verheißungen des Internets. | |
Natürlich. Aber sie bilden auch eine übergreifende Wertebasis und können | |
nicht auf ein spezifisches Thema reduziert werden. | |
Mit wem werden die Piraten einmal koalieren? | |
Die inhaltlichen Schnittmengen sind eindeutig mit den Grünen am größten. Da | |
gibt es einige Anknüpfungspunkte, wenn die Piraten mal koalitionsfähig sein | |
sollten. Am schwierigsten wird es mit der CDU, die hat ja gerade überhaupt | |
erst einen eigenen Arbeitskreis zur Netzpolitik gegründet. | |
Sind die Piraten eine linke Partei? | |
Das eindimensionale Links-Rechts-Spektrum ist ein Trugbild. Es gibt | |
mindestens zwei zentrale Konfliktlinien, auf denen man die Parteien | |
einordnen kann. Zum einen gibt es die sozialökonomische Frage. Da ist die | |
Positionierung der Piraten traditionell schwammig. Ich würde sie etwas | |
links von der Mitte verorten, mehr in Richtung Sozialstaatswohl, als in | |
Richtung Marktfreiheit und Neoliberalismus. Man denke an das bedingungslose | |
Grundeinkommen. | |
Allerdings ist es für die Piraten selbst nicht unbedingt ratsam, sich als | |
Sozialstaatspartei zu definieren. Denn in diesem Bereich hätten sie wegen | |
der SPD und der Linken kein Alleinstellungsmerkmal. Die Dimension soziale | |
Gerechtigkeit kann den Piraten schaden. | |
Was ist die zweite Konfliktlinie? | |
Die gesellschaftspolitische, die zwischen autoritären und libertären | |
Wertvorstellungen verläuft. Schon jetzt kann man sagen, dass die Piraten | |
die Grünen am libertären Pol ablösen. Schon allein, weil die Grünen hier | |
ein bisschen zu sehr in die Mitte gerückt sind. Durch ihren extremen | |
Freiheitsbegriff ist der gesellschaftspolitische Standort der Piraten | |
relativ klar definiert. Wenn sie diesen Platz ausbauen und geschickt | |
agieren, können sie sich durchaus Alleinstellungsmerkmale schaffen, die | |
ihnen einen dauerhaften Platz im Parteiensystem sichern. | |
Sind die Piraten also schon jetzt Teil des Systems? | |
Sie sind keine Antisystem-Partei, wie die NPD, oder – nach Auffassung | |
mancher – die Linke. Die Piraten wollen das bestehende System reformieren, | |
mit einer neuen Art der Politik und anderen Verfahrensweisen. | |
Wird ihnen das gelingen? | |
Es wird schwierig. Die Partei darf ihr Selbstverständnis als Transparenz- | |
und Teilhabepartei nicht aufgeben, um relevant zu bleiben. Dieses | |
Selbstverständnis widerspricht aber den Erfordernissen der repräsentativen | |
Demokratie. Ein Beispiel: die Basisbezogenheit. Es ist wunderschön, die | |
Basis in alle politischen Entscheidungen einbeziehen zu wollen. Das klappt | |
aber schon aus technischen Gründen nicht: Wir wissen, dass bislang nur ein | |
Viertel der Mitglieder bislang Liquid Feedback nutzen können. | |
Dann brauchen sie nur bessere Software? | |
Nein, viel wichtiger ist das Legitimationsproblem: Im Berliner | |
Abgeordnetenhaus hat die Piraten-Fraktion bislang alle Anträge ins Netz | |
gestellt und sie von den Mitgliedern diskutieren lassen. Wenn ein klarer | |
Basiswille erkennbar war, hat die Fraktion den übernommen und im Parlament | |
entsprechend abgestimmt. Je länger die Partei aber im Parlament vertreten | |
ist, desto größer wird der Informationsvorsprung der Fraktion gegenüber den | |
Basismitgliedern. | |
Irgendwann wird der Moment kommen, wo die Fraktion sagt: auf Grundlage | |
dessen, was wir wissen, müssen wir eine bestimmte Entscheidung treffen. | |
Wenn sie dann die Basis nicht überzeugen können, stehen sich zwei | |
Legitimationsgrundlagen gegenüber: auf der einen Seite die Parlamentarier, | |
die mit einem freien Mandat ausgestattet sind. | |
Auf der anderen Seite steht das Basisprinzip, das so hochgehalten wird. | |
Wenn die beiden Legitimationsgrundlagen aufeinanderkrachen, muss die Partei | |
diskutieren, was sie höher bewerten will. Die Herausforderung wird es sein, | |
sich den Spielregeln der Parteiendemokratie anzupassen, ohne das Image des | |
„Andersseins“ zu verlieren. | |
Was haben die etablierten Parteien bisher von den Piraten gelernt? | |
Netzpolitisch haben sie reagiert, das ist nur noch nicht überall nach außen | |
gedrungen. Alle Parteien außer die FDP haben netzpolitische | |
Grundsatzbeschlüsse gefasst. Im Bezug auf Transparenz und Beteiligung liegt | |
allerdings noch einiges im Argen, da wird es sehr viel schwieriger. | |
Trotzdem rennen Netzpolitiker in den alten Parteien oft noch gegen die | |
Wand. Wird das Thema ernst genug genommen? | |
Das hängt von der Partei ab. In der SPD rennen die Netzpolitiker mal gegen | |
Beton, mal gegen Gummi. Bei den Grünen wird das Thema momentan stark | |
hochgezogen. Die FDP sieht keinen Handlungsbedarf, weil sie meint, die | |
eigentliche Netzpartei zu sein von der die anderen nur abkupfern. Bei der | |
CDU ist es am schwierigsten: Das ist eine Partei, die einen Großteil ihrer | |
Wählerschaft aus der Gruppe 60 und älter rekrutiert. Für die ist das Netz | |
kein relevantes Thema, Punkt. | |
9 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Felix Kartte | |
## TAGS | |
tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
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