# taz.de -- Regierungshoffnung durch NRW-Sieg: Ein Fingerzeig gen Hauptstadt | |
> Erst NRW, dann Berlin: Strategen von SPD und Grünen hoffen jetzt, dass | |
> der Sieg den Weg für Rot-Grün im Bund ebnet. Doch schwant manchem, wie | |
> schwierig das wird. | |
Bild: Grüne und SPD setzen auf die Strahlkraft des NRW-Erfolges bis nach Berli… | |
BERLIN taz | Natürlich ging es bei dieser Wahl um mehr als um Düsseldorf, | |
das Ruhrgebiet oder das Münsterland. Ralf Stegner, Fraktionschef der SPD in | |
Kiel, ist sich da sehr sicher. „Dieser Sieg“, sagt der SPD-Linke, „hat ei… | |
strategische Bedeutung.“ Auch die Grünen-Parteivorsitzende Claudia Roth | |
deutet das Ergebnis als Zeichen für die kommende Bundestagswahl: „Das ist | |
ein deutliches Signal auch für den Bund.“ | |
Fast jeder vierte Bundesbürger wohnt in NRW. Keine andere Landtagswahl wird | |
von Berliner Parteistrategen so wichtig genommen. Und als Vorzeichen für | |
die Bundestagswahl 2013 gewertet. Und jetzt das: Rot-Grün schafft die | |
eigene Mehrheit, trotz Piratenhype. Kein Wunder, dass die Ergebnisse bei | |
SPD und Grünen für Euphorie sorgen. Wird Rot-Grün auch im Bund eine | |
Renaissance erleben? | |
Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin, sagt mit breitem Grinsen: „Das ist | |
auf jeden Fall ein Signal für die Wahl 2013.“ Rot-Grün in Kiel und | |
Düsseldorf mache auch einen Erfolg Anfang 2013 in Niedersachsen | |
wahrscheinlicher, hofft Ralf Stegner. | |
## Die Hoffnung, dass der Sieg weit strahlt | |
Und Roth sagt: „Bei Richtungsentscheidungen mit klarer Kante können Grüne | |
und SPD auch in einem 5-Parteien-Parlament eine gemeinsame Mehrheit | |
erkämpfen.“ Die Berliner Protagonisten hoffen: Dieser grandiose Sieg muss | |
doch weit über die Grenzen von NRW hinausstrahlen. In der Tat: Das Ergebnis | |
gibt beiden Parteien einen kräftigen Schub für Berlin. Und zwar gleich in | |
mehrfacher Hinsicht. | |
Die Sozialdemokraten sind, seit sie 2009 im Bund in die Opposition gingen, | |
nicht gerade erfolgverwöhnt. Solch ein Durchmarsch in NRW ist etwas anderes | |
als der hauchdünne Erfolg in Schleswig-Holstein oder gar | |
SPD-Regierungsbeteiligungen als Juniorpartner, wie zuletzt nach der Wahl in | |
Saarbücken. Eine stabile rot-grüne Regierung in Düsseldorf ist auch | |
bedeutender als Olaf Scholz’ Triumph in dem vergleichsweise kleinen | |
Hamburg. | |
## Bislang kam es nur zu Zweckkoalitionen mit der CDU | |
Auch wo die SPD nach Landtagswahlen Regierungen führt, wie in Schwerin und | |
Berlin, sprangen dabei nur Bündnisse mit der CDU heraus. Diese regionalen, | |
aus nüchternen Gründen geschlossenen Zweckkoalitionen wirkten nach außen | |
schon wie Vorwegnahmen der kommenden großen Koalition 2013 unter Merkels | |
Führung. Diese Aussicht wirkt auf die sozialdemokratische Partei wie ein | |
Betablocker. | |
Und die Umfragen im Bund sehen für Rot-Grün seit Monaten finster aus. Seit | |
August 2011 wollen die Wähler lieber eine große Koalition in Berlin, nicht | |
mehr Rot-Grün. Und der Abstand wächst. Gerade weil die Aussicht für die | |
SPD, 2013 alternativlos wieder den Job als Merkels Juniorpartner antreten | |
zu müssen, die eigene Klientel lähmt, ist die Freude über den Sieg in NRW | |
so groß. | |
Frank-Walter Steinmeier, der stets unterkühlt SPD-Fraktionschef, ist sich | |
sicher: „Der Glaube, dass es 2013 eine CDU-geführte Regierung geben wird, | |
ist mit diesem Sieg dementiert.“ Einwände und Befürchtungen zählen nicht | |
mehr. Jubel toste am Abend durchs Willy-Brandt-Haus. Nach der Rede von | |
SPD-Chef Gabriel gab es Currywurst für umsonst für die Genossen. | |
## Hoffnung auf weitere Verdrängung der Linkspartei | |
Froh stimmt die SPD auch die Baisse der Linkspartei. „Wenn wir die | |
Linkspartei im Westen aus den Parlamenten drängen“, sagt der SPD-Linke | |
Stegner, „dann kann es 2013 auch im Bund reichen.“ Was in Düsseldorf geht, | |
soll auch in Berlin klappen. Wer die kleine Bundestagswahl in Düsseldorf | |
gewinnt, kann auch in der großen siegen. | |
Nach Kiel und Düsseldorf sieht es jedenfalls so aus, als wäre die | |
aggressive Strategie der SPD gegen die Linkspartei richtig gewesen. Deren | |
Motto lautet: Im Westen so gut wie keine Kooperation mit der Linkspartei, | |
im Osten keine Koalition unter Führung der Linkspartei. „Es könnte gut | |
sein“, sagte Steinmeier, „dass es mit der Linkspartei zu Ende geht“ – u… | |
damit meinte er wohl die Linkspartei insgesamt. | |
## Im Osten sind Gysi & Co immer noch stark | |
Ob es der SPD gelingt, die Linkspartei aus dem Bundestag zu drängen, ist | |
jedoch mehr als fraglich. Denn die Verankerung von Gysi & Co in | |
Ostdeutschland ist stark. Die Piratenpartei kompliziert die Lage zusätzlich | |
für Rot-Grün im Bund: Dass sie im Flächenland NRW satt ins Parlament kommt, | |
deutet auf eine Verstetigung hin. Mit den Piraten ist auch im Bund zu | |
rechnen. | |
Gerade die Grünen stellt dies vor neue strategische Fragen. Ihnen droht im | |
Bund die Gefahr, durch die Piraten zu hilflosen Zuschauern zu werden. Wenn | |
die SPD in eine große Koalition flüchtet, stehen sie daneben. Dabei haben | |
die jüngsten Siege auch Schattenseiten: In Kiel funktioniert Rot-Grün nur | |
mit einer Krücke, dem Südschleswigschen Wählerverband. Dass die SPD im Bund | |
so stark wird wie Kraft in NRW, ist mehr als fraglich. Und die Piraten | |
locken Wähler aller Parteien an. Einem Grünen-Strategen schwant: „Die | |
Frage, wie wir mit den Piraten umgehen, stellt sich neu.“ | |
## Keine Ahnung, wie mit den Piraten umzugehen ist | |
Auch für die SPD deutet sich im Bund ein Problem mit den Piraten an, für | |
das sie bisher keine Lösung hat. Wenn die Proteststimmen von der | |
Linkspartei zu den Piraten wandern, ist für Rot-Grün auch nicht viel | |
gewonnen. „Wir haben keine Ahnung, ob und wann wir die Piraten für eine | |
Mitte-links-Koaltion einbinden können“, sagt ein SPD-Stratege in Berlin. | |
Auch bei den Grünen mag niemand die Worte „Koalition“ oder „Tolerierung�… | |
den Mund nehmen. | |
Offensichtlich: Schwächer wird das Protestpotenzial, das Rot-Grün im Bund | |
blockiert, eher nicht. 2013 könnten sowohl die Piraten als auch die | |
Linkspartei in den Bundestag einziehen. Doch auch für Kanzlerin Angela | |
Merkel ist dieses Ergebnis eine Warnung. Der Erfolg von Hannelore Kraft und | |
Sylvia Löhrmann zeige ganz klar, sagt Stegner, dass „die Union für 2013 | |
keine Machtoption hat“. | |
In der Tat sind schwarz-grüne Spekulationen mit Norbert Röttgens Niederlage | |
noch unwahrscheinlicher geworden. Merkel bleibt, so scheint es, für die | |
Zeit nach 2013 nur die große Koalition, wenn sie an der Macht bleiben will. | |
13 May 2012 | |
## AUTOREN | |
S. Reinecke | |
U. Schulte | |
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