# taz.de -- Kolumne Bitches in Baku #8: Loreen singt für Demokratie | |
> Die schwedische Teilnehmerin geht ins Menschenrechtsbüro. Thomas D | |
> hingegen findet, Künstler sollten sich nicht politisch | |
> instrumentalisieren lassen. | |
Bild: Sieht nicht gerade wie ein Friedensengel aus, will sich aber für die Dem… | |
Sitze an einem Schreibtisch im Pressezentrum an der Crystal Hall in Baku. | |
Kommt ein österreichischer Journalistenkollege, stellt sich neben mich und | |
flüstert: „Kommst du gleich mit? Loreen geht um 15 Uhr in der Altstadt zum | |
Büro der Menschenrechtler. Sie wird die einzige aller Künstler sein, die | |
das macht.“ | |
Und was? Loreen, die schwedische ESC-Aspirantin in der Position der | |
Favoritin für das Finale, ist eine dunkelhaarige Schönheit, eine Mixtur aus | |
Kate Bush und Ronja Räubertochter, die den Rufen von | |
Menschenrechtsaktivisten nicht widerstehen konnte: Sie wird, so sagte | |
dieser Kollege an meinem Desk weiter, „Flagge zeigen“. | |
Loreen darf damit rechnen, nicht kritisiert zu werden, sich aus dem | |
politischen Diskurs herauszuhalten. Das ergeht ihr damit anders als Thomas | |
D, HipHopper von Gnaden und hier in Baku der Mentor und Begleitschutz von | |
Roman Lob. Der gab nämlich zu Protokoll, Künstler und Künstlerinnen sollten | |
sich nicht politisch instrumentalisieren lassen – denn die Musik an sich | |
sei friedens- und kulturfördernd. Wer von den ESC-Kandidaten fordert, nun | |
offen für Menschenrechte in Aserbaidschan einzutreten, benutzt diese in | |
Wahrheit in destruktiver Absicht: Künstler, die auf der Bühne in der | |
ESC-Halle selbst politische Statements verläsen, würden sofort | |
disqualifiziert. | |
Aber das wissen die Menschenrechtsaktivisten, die von den Künstlern eine | |
perfekte Moral abfordern, selbstverständlich. Wollen sie es auf einen | |
Skandal ankommen lassen? Fragen darf man ja noch. Nicht mehr sagen darf man | |
in Baku inzwischen, dass die Sonne scheint. Jedenfalls nicht unkritisch. | |
Auch die Sonne ist nicht mehr als solche wärmend – wie mit 31 Grad Celsius | |
momentan hier am Kaspischen Meer –, sondern, gut im Geiste Adornos und Marx | |
gesprochen, Blendwerk. Eine Fassade der Sommerlichkeit, die über die | |
Katastrophe der politischen Misslichkeit hier im Kaukasus nur | |
hinwegscheint. | |
## Dorado der Mikrobiennalen | |
Nein, Baku ist selbstverständlich immer noch eine bezaubernde Stadt, selbst | |
Menschenrechtler sagen das – man kann prima hier leben, wenn man allzu sehr | |
das Regime kritisiert, man hat eine Fülle von Stipendien und | |
Kulturförderungen, aus denen man sich relativ umstandslos bedienen kann. | |
Ein alternatives Kunstmäzenatentum sondergleichen, etwa wie in Kreuzberg | |
oder in sonstigen deutschen Szenevierteln: Baku ist ein Dorado der | |
Mikrobiennalen. | |
Bloß die Großkopferten in den Limousinen dürfen sie nicht allzu sehr | |
ärgern. Wer mir das sagt? Drei Menschen. Zwei Männer, eine Frau. Sagen aber | |
ihre Namen nicht. Wollen nicht menschenrechtsprominent werden, womöglich | |
müssten sie flüchten außer Landes, und dann bliebe ihnen nur die | |
Bekanntheit als Opfer des Systems. Wollen sie aber nicht! | |
Das Festival „Sing for Democracy“ fand im übrigen tatsächlich statt, in | |
einem Pub in Baku. 100 Menschen waren da, ich musste leider anderweitig | |
Termine wahrnehmen. Aber was ich hörte, war beeindruckend: ein bisschen | |
Punk, ein wenig aserbaidschanische Mehr-oder-weniger-Independent-Musik, | |
viele Kameras von TV-Stationen, gerade aus Deutschland, die eventuell, so | |
mutmaßen einige aus dem Tross der dritten Reihe der kritischen Menschen in | |
Baku, scharf darauf sind, richtig scharfe Bilder von aufrechten Menschen im | |
Kampf für das Gute zu bekommen. | |
Deutschlands Botschafter war auch da, und das gefällt, dass der höchste | |
schwarz-rot-goldene Diplomat hier in Baku sich das nicht nehmen ließ, der | |
Menschenrechtsfrage in Form eines Lieder- und Anspracheabends seine | |
Aufwartung zu machen. Es war ein kleiner Erfolg für all jene, die seit | |
Monaten für dieses Fest trommelten. Leider waren Bands aus dem Ausland | |
nicht dabei – ob sie nicht geladen, die Einladungen zu vage formuliert | |
waren, ist unbekannt. | |
## Nachrichten aus einer anderen Welt | |
Dauernd dringen einem in Baku Nachrichten aus anderen Welten ans Ohr. Man | |
hört, dass an einer Metrostation ein Islamist mit tödlichen Absichten | |
getötet worden sei; dass der Iran immer böser werde, weil Aserbaidschan die | |
Trennung von Religion und Staat sehr ernst nimmt und etwa Kopftücher ebenso | |
wenig erlaubt wie allzu laute Rufe eines Muezzin zu den Gebetsstunden. Baku | |
ist muslimisch, aber auch christlich und jüdisch und atheistisch und | |
gänzlich säkular. | |
Auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz im Hilton Hotel erschien der | |
Öffentlichkeitssprecher des Präsidenten, Ali Hasanov, und stellte sich den | |
Fragen von etwa 100 Journalisten. Nein, Menschenrechte würden nicht | |
verletzt, alles sei richtig gemacht worden bei der Erschließung des | |
Hallengeländes, bei der etliche Häuser einfach ohne deren Bewohner zu | |
fragen, planiert worden waren. Aber nochmals nachgefragt, Herr | |
Präsidentensprecher ... Menschenrechte, Meinungsfreiheit und so? Na, das | |
sei von einer gut vernetzten armenischen Community vor allem von | |
Deutschland aus gesteuert worden. | |
Man kommt hier in Baku nicht so recht weiter mit einer Einschätzung des | |
Gesamten. Immerhin ... Loreen aus Schweden will es wissen. Medien in | |
Stockholm legten ihr nahe, das Politische nicht zu vergessen. Künstler und | |
Künstlerinnen müssen heutzutage offenbar mehr als nur eine besondere | |
Performance abliefern. Sie müssen eigentlich BotschafterInnen sein: Aber | |
ist das nicht echt zuviel verlangt? | |
21 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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