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# taz.de -- Kolumne Bitches in Baku #5: An vielen Stellen Weltniveau
> Baku ist keine beruhigte Zivilisationszone wie Düsseldorf. Trotzdem
> arbeitet Jörg Grabosch gerne hier. Seine Firma stemmt die komplette
> Technik des ESC.
Bild: Die Skyline von Baku verändert sich täglich. Hier die Version vom 15. M…
Dass dieser Mann nicht zu den akkreditierten Fans zählt, erkennt man auf
Anhieb: Er wirkt ruhig, geht nie eiligen Schrittes, guckt, als hätte es ihn
für eine exotische Meditation nach Baku verschlagen. Jörg Grabosch müsste
aber aufgeregt sein, es wäre kein Wunder, neigt er zu Gemütsausflügen in
den Bereich der Hysterie. Er ist nämlich der Produzent des Eurovision Song
Contest in Baku. Und zwar, weil er, seit 1995 Geschäftsführer von Brainpool
TV in Köln, im vorigen Jahr schon den ESC für die ARD technisch ins Werk
setzte.
Grabosch sagt: „Es liegt nahe, dass der Veranstalter die Produzenten des
Vorjahres fragen - man hat dort ja gewonnen. Da geht man mit gemeinsamen,
positiven Erinnerungen in die neue Geschichte hinein.“
Seit einem Dreivierteljahr erst administriert er den ESC, Geld von
aserbaidschanischer Seite spielte offenbar keine Rolle: „Ich habe nicht für
möglich gehalten, dass das alles so weit in so kurzer Zeit fertig wird - es
war nichts vorhanden. Kein Pressezelt, kein Park, kein Asphalt um die Halle
herum. Dass die ein Stadion fertig kriegen würden, war klar.“
## Keine Kopie von Düsseldorf
Ist er nun zufrieden? „Ja, das kann man sagen.“ Aber in den harten
Wintermonaten im Matsch sei das fast unabsehbar gewesen. Dabei waren die
Auftraggeber von Ictimai TV, ach was, die aserbaidschanische Regierung, die
sich direkt in dieses Prestigeprojekt für ihren Staat eingeschaltet hatte,
nicht anspruchslos: „Eine Kopie von Oslo oder Düsseldorf durfte das nicht
werden.“
Alles sollte noch größer, prunkiger, fetter werden. Das Bataillone von
ArbeiterInnen hierfür rekrutiert wurden, versteht sich von allein: „Die
arbeiten Tag und Nacht. Ich war 15 Mal hier, immer entstand was Neues. Der
Vorspann der Show musste öfters geändert werden, weil sich die Skyline
wieder verändert hatte. Die Aseris sind fix und ehrgeizig, ihre Stadt, ihr
Land gut aussehen zu lassen. Das wäre in Deutschland in so kurzer Zeit
nicht möglich gewesen.“
Heißt übersetzt: Alle kommunalen und sonstigen behördlichen Gremien hätten
mitreden wollen und sollen, um ein Klima von „Stuttgart 21“ nicht gedeihen
zu lassen. Dass in Baku eine Regierung abgewählt würde, weil sie für
Regiertenferne stünde? Momentan nicht vorstellbar.
„Das ESC-Projekt“, sagt Jörg Grabosch, „läuft jetzt von allein. Was bis
jetzt nicht geregelt wurde, regelt sich auch nicht mehr.“ Aber muss er
nicht immer wieder mit Misslichkeiten rechnen – dass die Funkkommunikation
in der Halle und aus ihr heraus in die frequenzsensiblen
Übertragungssatelliten hinein gestört würden? Und hat das nicht auch mit
Störsendern von Abschirmsendern der Regimemitglieder zu tun, die in ihren
fetten Limousinen vor die Halle fahren? Grabosch erwidert gelassen: „Es
gibt immer Verschwörungstheorien. Tonstörungen sind einfach
Funküberlagerungen. Ist aber ganz normal. Man muss im Flugzeug ja auch sein
Handy ausschalten.“
Wie hat er sich denn selbst den Job in Aserbaidschan vorgestellt? „Ich
hatte keine Bilder von Baku im Kopf, ehe ich das erste Mal hier war.“ Und
mittlerweile? „Baku ist eine Mischung aus Klein-Istanbul und Nizza. Hat an
vielen Stellen Weltniveau.“ Man darf es auch so lesen: Diese Stadt ist gut
in Schwung gekommen, aber an etlichen Stellen wirkt alles im rasenden
Aufbau. Stört ihn das, nicht in einer beruhigten Zivilisationszone wie
Düsseldorf zu arbeiten? „Nein, gar nicht.“
## Keine Zeit für die deutsche Debatte
Hat Jörg Grabosch etwas von der Menschenrechtsdiskussion in Deutschland
mitbekommen? „Die deutsche Debatte wird hier in Baku anders beurteilt als
bei uns Zuhause. Ich kann da nichts beurteilen. Ich beschäftige mich den
ganzen Tag mit dem ESC; wir alle sind den ganzen Tag auf dem Gelände.“
Haben die autokratischen politischen Verhältnisse womöglich den ESC
überhaupt in Baku ermöglicht? Grabosch sagt: „Nein. Jedes Land hätte
technische Hilfe für ein solches Event einkaufen müssen. Dimensionen, die
eine Show wie der ESC entwickelt, kann auch kein TV-Sender in einem großen
Land bewältigen.“
Ist er, ist seine Firma, die in Deutschland TV Total produziert und diverse
andere Stefan-Raab-Formate, insofern ein Entwicklungshelfer? „Nein, viele
Länder könnten aus sich selbst heraus einen ESC entwickeln. Einen ESC macht
man, wie in Deutschland, einmal in 30 Jahren. Der NDR hätte voriges Jahr
die Show sowieso mit einem Dienstleister gemacht. Es gibt eben Firmen, die
sind auf Shows wie beim Sport oder wie Brainpool beim ESC spezialisiert.“
Aber die Halle, für die so viele alte Häuser planiert wurden? Für die
Häuser nahe der Halle könne er nicht sprechen, aber: „Die Halle war ja vor
dem ESC geplant - ihr Bau wurde durch den ESC nur beschleunigt.“
Am 27. Mai ist in Baku alles vorbei. Worauf freut er sich dann am meisten?
„Darauf, dass es nicht mehr so warm ist. Selbst mit dem Meer vor der Nase
wie in Baku ist mir das zu heiß hier.“
19 May 2012
## AUTOREN
Jan Feddersen
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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