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# taz.de -- Kolumne Bitches in Baku #10: Albanischer Schmerz erhört
> Das erste Halbfinale des Eurovision Song Contests hatte einiges zu
> bieten: Dreadlockhochsteckfrisuren, krasse Ältlichkeiten, kurze Rocksäume
> und manchmal auch große Kunst.
Bild: Pernilla aus Finnland scheiterte gewiss daran, dass ihr übergrell-roter …
BAKU taz | Na, war doch klar, dass Griechenland und Zypern es ins Finale
geschafft haben – wenn man sich schon im gleichen Halbfinale gegenseitig
Punkte zuschieben kann. Auch die [1][russischen Großmütter], um die in der
Halle in Baku unfassbar russischer Ultrajubel entfaltet wurde, als hätte
Wladimir Putin sie persönlich gesegnet, sind weiter. Gleichfalls nicht
ausgeschieden sind Ungarn, Island, Rumänien, Dänemark, Irland (Jedward!)
sowie Moldau und Albanien.
Vor allem dieses Land wurde für eine gewisse Experimentierfreude belobigt,
schickte es doch dieses Jahr keine Balkandiscofrau ins Rennen, sondern eine
intellektuell anmutende Radiomoderatorin namens Rona Nishliu, die in einer
Dreadlockhochsteckfrisur ihr Lied von ihren Schmerzen um die Gewalt in
ihrer Heimat (Kosovo!) derart stimmgewaltig wie keine andere Chanteuse in
diesem ESC-Jahr darbot. Das war, als kreuzte man eine Björk mit einer
Enkelin von Dusty Springfield in Freejazzlaune. Große Kunst!
Ausgeschieden sind die österreichischen Analerotiker von Trackshittaz. Ihr
Titel „Woki mit deim Popo“ erschloss sich nicht außerhalb ihrer Horizonte.
Auch Israel blieb auf der Strecke, wie auch San Marino, das dieses Jahr den
Münchner ESC-Veteranen Ralph Siegel angeheuert hatte. Weil aber die Show
von Valentina Monetta so aussah wie etwa Mekado 1994 beim ESC, fiel der
Beitrag wohl wegen krasser Ältlichkeit im ästhetischen Aufbau aus dem
Rennen.
Der Rest? Und alles in allem? Die Finnin scheiterte gewiss daran, dass ihr
übergrell-roter Lippenstift nun partout nicht zum waldmeistergrünen Kleid
passen mochte. Und die Belgierin kriegte beim Singen fast Schnappatmung vor
Aufregung – das sah dann doch zu dünn aus. Auch der montenegrinische Rambo
Amadeus muss nach Hause fahren. Wer jetzt glaubt, dass sein politisch
gemeintes Liedlein der politischen Kritik wegen abgelehnt wurde, müsste
aber auch erklären, weshalb man einen Mann wählen sollte, der nicht
besonders sympathisch und zudem lustlos und distanziert aussah. Ein
bedauernswerter Freak, der leider sein Anliegen nicht rüberbringen konnte.
Denn welches er hatte, erschloss sich vielleicht nicht sehr vielen. Viele
Frauen (Griechenland, Zypern, Rumänien) trugen Kleider, die man eher beim
Eiskunstlauf erwartet: kürzere Rocksäume gibt es selbst in Rotlichtvierteln
nicht.
Das erste Halbfinale verlief insgesamt pannenfrei. Unruhe stiftete hinter
den Kulissen lediglich, dass die aserbaidschanischen Angehörigen der
mächtigen Aliev-Stiftung dafür sorgten, dass die von der deutschden
TV-Firma gefertigten Einspielfilmchen zwischen den Acts ausgetauscht wurden
– zugunsten einer angeblich schöneren Darstellung aserbaidschanischer
Kitschkulissen. Allein: Ihnen fehlte der Witz, die Ironie, die die Arbeiten
der Brainpool-Leute gewöhnlich auszeichnet. Merke, offenbar: In
Aserbaidschan nimmt man, auch die Selbstdarstellung, sehr, sehr ernst.
Aber das Land hat, anlässlich des ESC, auch Sorgen, die nichts mit
Menschenrechten zu tun haben. Geistliche im Nachbarland Iran, die dort
bekanntlich den Status von Richtern haben, welche Fatwas aussprechen, haben
Aserbaidschan vorgeworfen, mit dem Eurovision Song Contest eine
„Schwulenparade“ zuzulassen – und das sei eine grobe Beleidigung des Isla…
Aserbaidschan, eine strikt säkulare Republik mit mehrheitlich muslimischer,
aber an Fatwas desinteressierter Bevölkerung, reagierte mit Protest. Iran
bestellte den Botschafter Aserbaidschans in Teheran ein – und zog seinen
eigenen Gesandten aus Baku. Zur Nervosität der Theokraten in Teheran mag
beitragen, dass aserbaidschanische TV-Stationen seit Wochen ueber den ESC
berichten – durchaus freundlich auch ueber die etwa 7.000 schwulen Männer,
die aus 43 Ländern zum europäischen „Wacken der Schwuppen“ angereist sind.
Eine Schwulenparade, so die Regierung in Baku, sei der ESC nicht, auch habe
man nie eine CSD-Parade in der Stadt erlebt. Das kann nur eine
diplomatische Note der Halbwahrheit sein: In Wahrheit, so sieht es
jedenfalls durch die ESC-Touristen in Baku aus, ist der ESC sehr wohl eine
Art von Parade, die in Iran niemals stattfinden duerfte.
Am Donnerstag findet das zweite Halbfinale statt; Phoenix überträgt ab 21
Uhr (auch im Livestream auf [2][eurovision.de])
Anmerkung der Redaktion: Das Halbfinale wird nicht, wie ursprünglich
geschrieben, im NDR gezeigt, sondern auf Phoenix. Wir bitten um
Entschuldigung.
23 May 2012
## LINKS
[1] /Russlands-ESC-Beitrag/!93783/
[2] http://www.eurovision.de/
## AUTOREN
Jan Feddersen
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## TAGS
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