# taz.de -- Kolumne Bitches in Baku #13: Und das Licht ging aus | |
> Als alles vorbei war, wurden die Türme dunkel. Im Pressezentrum begann | |
> die Schlacht um den Promo-Müll. Es waren zwei ambivalente, | |
> schrecklich-wunderbare Wochen. | |
Nach dem Finale, die Schwedin Loreen hatte gerade ihre etwas irrlichternde | |
Pressekonferenz gehalten und wirkte ganz & gar bedröhnt ob ihrer | |
Glückshormone, fand das große Ramschen statt. Hinter dem Eingang zum | |
Pressezentrum standen vor den Tresen Trauben von akkreditierten Fans und | |
auch Journalisten, die die unausgeleerten Pressefächer am liebsten selbst | |
ausgeräumt hätten. Darin waren nämlich viele Promo-CDs, die bei Ebay für | |
manches Geld noch versteigert werden können. | |
Wären die Volunteers, die die sogenannten Pidgeon-Holes zwei Wochen | |
verwaltet und betreut hatten, nicht so cool gewesen, wäre außerdem ihr | |
Tresen aus Sperrholz und nicht aus hartem Resopal, wäre um deren Leben zu | |
fürchten gewesen. Die Schlacht um den Müll soll, hörte ich, eine Stunde | |
gedauert haben. Auf dem Boden liegen blieben die Single-CDs der | |
österreichischen Trackshittaz, die nun wirklich niemand mehr haben wollte. | |
Das ergab Sinn. Denn die zwei Männer, die von wackelnden Hintern | |
schwärmten, belegten, wie nun veröffentlicht wurde, in ihrem Semifinale den | |
allerletzten Platz. ARD-Kommentator Peter Urban bemerkte treffend: Das war | |
für'n Arsch. Er sollte Recht behalten. | |
Als das Finale verklungen war, als auf dem Taxi-Platz vor dem Monument an | |
Flaggenplatz noch vor der Crystal Hall noch die letzte Droschke abgefahren | |
war, fehlte etwas am Horizont. Es waren die Flammenden Türme, die über den | |
Hügeln der Stadt thronen und Abend für Abend zu einem monströsen Stadtmöbel | |
des Licht mittels LED-Bespielung aufgepeppt wurden. Erstmals schien es | |
dunkel. Am Himmel wurde es hell zum Morgen hin, die Türme aber schienen | |
erschöpft, ausgelaugt. Ihre Funktion, dem Regime von Aserbaidschan etwas | |
dubaieske Ambitionen zu illustrieren, wird momentan nicht mehr benötigt. | |
Es waren zwei ambivalente, wunderbare wie schreckliche Wochen. Diese Stadt | |
und ihre Leute scheint nach dem anerkennden Blick Europas zu gieren. Und | |
damit sind nicht die Funktionäre des Alijev-Regimes gemeint, sondern das, | |
was man Bevölkerung nennen kann. Die Opposition, die die Polizeien der | |
Stadt ungeschickterweise während der Tage des ESC in Baku öfters | |
zusammenknüppelte, hätte trotzdem gern einen Sieg ihrer Chanteuse Sabina | |
Babayeva gehabt. | |
Dann wäre der ESC wieder in Baku, abermals hätte man mit Hilfe des medialen | |
Sensorensystems des Westens auf sich aufmerksam machen können, hätte die | |
mafiotischen Staatsstrukturen neuerlich in Misskredit bringen können. Dass | |
das aserbaidschanische Lied auf dem vierten Platz landete, kam diesem | |
Wunsch nahe. Gegen die Schwedin hatte auch diese überkosmetisierte Frau | |
nichts auszurichten. | |
Die Marketingagentur des ESC, T.E.A.M., mit Sitz in der Schweiz, denkt | |
nicht mehr in den Ost-West-Kategorien. Als die European Broadcasting Union | |
begann, ihre Marke ESC nicht weiter als Fallobst des televisionären | |
Entertainments zu behandeln, sondern sie professionalisierte, was etwa vor | |
zehn Jahren begann, wollte man auch den postsozialistischen Osten dabei | |
haben, aber er sollte nicht gewinnen. Überall dort nur Raubkopisten und | |
keine kaufkräftigen Konsumenten. Das hat sich geändert. Wäre es nach den | |
Marketingstrategen gegangen, wäre ein Sieg der Russinnen – den sogenannten | |
süßen Omis – besser gewesen. Russland als Markt macht sich einfach gegen | |
den diese edelkapitalistischen Schweden einfach besser. | |
Was nun mit Roman Lob wird? Er geht auf Tour. Wird nicht in Eventhallen wie | |
einst Lena Meyer-Landrut auftreten, aber in Clubs. Er hat eine Zukunft. Er | |
hat Elektromechaniker gelernt. Und man tut ihm nichts Böses an, wenn man | |
sagt: Er ist zu vielen Seiten hin offen. Guter Auftritt, okayer achter | |
Platz – er liebt Musik und das Stehen auf der Bühne. Man wird sehen. | |
Loreens Sieg hat in einer Hinsicht noch ein Gutes. Ihr sphärischer Pop | |
ähnelt nur sehr indirekt dem schwedischen Sound, der seit Abba 1974 aus | |
diesem Land nach Mitteleuropa weht. Dieser | |
Abba-Skandinavien-Gute-Laune-Sound lag über dem Mainstream-Schweden wie | |
Mehltau. „Euphoria“ ist die Hymne aller Leichtdrogenkonsumenten. Sie ist | |
performativ einfach sensationell. Und mit ihr siegte im Übrigen auch eine | |
Schwedin, die einen sogenannten Migrationshintergrund hat. (Sieht man von | |
Annafrid Lybngstad von Abba ab, Norwegerin von Geburty.) Loreen, obendrein | |
nicht skandinavisch-blond, ist, allein ihres metropolen Akzents wegen, | |
durch und durch Schwedin, auch Kind aus Marokko eingewanderter Eltern. | |
In Zukunft könnte alles kleiner werden, sagte Jan Ola Sand, in der EBU | |
verantwortlicher Direktor des ESC. Das wird nun nix. In Solna, am Rande von | |
Stockholm, wird im Dezember ein neues Stadion eingeweiht, es hat Platz für | |
65.000 Menschen. Ist auch überdachungsfähig. Es wäre ein Wunder – das | |
ausbleiben kann – wenn der schwedische Sender SVT diese Show nicht dort | |
ansiedeln würde. SVT ist nah dran am dem, was man als schwedisches Gemüt | |
verstehen kann: Da zeigt man doch der Welt, wie es geht, glorios und | |
irgendwie auch bezaubernd. | |
Nach dem ESC ist vor dem ESC. Nächstes Finale am 18. Mai. Schade, dass es | |
nicht wieder um Politisches geht – Moskau hätte sich in dieser Hinsicht | |
doch sehr gelohnt. | |
28 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
Jan Feddersen | |
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