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# taz.de -- Lesbische Fußballerinnen in der Ukraine: Der Club der Geächteten
> Im EM-Land Ukraine haben 40 Frauen einen Fußballverein gegründet. Dass
> sie lesbisch sind, verschweigen sie. Ihr Turnier? Findet im Geheimen
> statt.
Bild: Reizgasattacke auf dem Christopher Street Day in Kiew Mitte Mai.
KIEW taz | An einem Abend vor zehn Jahren sorgte der Drall einer Flasche
dafür, dass die Ukrainerin Alla Oliynik das erste Mal für einen Moment so
leben durfte, wie sie wollte. In einer Kneipe spielte sie mit anderen
Studentinnen Flaschendrehen, und weil der Hals der Flasche auf sie zeigte,
musste sie eine Aufgabe erfüllen.
„Ich will, dass du sie küsst“, sagte die Bekannte, die an der Reihe war,
und wies auf eine dritte Mitspielerin im Kreis. Es war genau die junge
Frau, in die Alla Oliynik verliebt war, die sie anhimmelte, die sie aber
nie anzusprechen gewagt hätte in einem Land, in dem die Mehrheit Schwule
und Lesben verachtet. Ein kurzes Zusammenzucken, ein heftige Freude, aber
auch Angst überkamen sie.
Eine Frau küssen? Hier? Vor allen Leuten? Sie nahm den Kopf der anderen in
ihre Hände, die wehrte sich nicht, dann küssten sich die zwei. „Es war ein
ganz kurzer Moment, für die anderen ein Spiel. Für mich war es der Moment
der Offenbarung. Endlich verstand ich, wer ich war und was ich wollte.“
Alla Oliynik, 29, grüne Augen, schulterlange braune Haare, spricht offen
über ihre Liebe zu Frauen. Das ist außergewöhnlich, denn in ihrer Heimat,
der Ukraine, wo in einer Woche die Fußball-EM beginnt, stehen Schwule und
Lesben ganz unten in der Gesellschaft. „Es ist für viele hier kein
Unterschied, ob man ein Mörder, ein Vergewaltiger oder ein Homosexueller
ist“, sagt sie. Sie unterbricht sich auch nicht, wenn die Kellnerin an den
Tisch kommt. „Die Meinung anderer interessiert mich nicht.“
## Fußballverein für lesbische Frauen
In Kiew gibt es nur eine Handvoll Schwulenkneipen, für Lesben aber keinen
einzigen offiziellen Treffpunkt. Events für lesbische Frauen werden
heimlich und kurzfristig organisiert. Weil Alla Oliynik das nicht genügte,
gründete sie mit Freundinnen einen Fußballverein nur für Frauen. Ihr Gebot
seitdem: Keiner soll wissen, dass sie fast alle lesbisch sind. „Denn dann
würde man uns bespucken, wir könnten keine Hallen oder Trainingsplätze mehr
bekommen.“
Die 40 Mitglieder präsentieren sich als Verein, der nur Frauen aufnimmt und
keinerlei sonstige Absichten hat. Sie wollen keinen Skandal, sie wollen
niemanden brüskieren, nur einfach sie selbst sein und Fußball spielen.
Offen lebende Homosexuelle sind in der Ukraine rar. Kein Wunder, sie gelten
vielen nicht als normal, werden stigmatisiert und diskriminiert: Ein
US-Meinungsforschungsinstitut ermittelte 2007, dass nur 19 Prozent der
Ukrainer gleichgeschlechtliche Liebe für akzeptabel hielten, 69 Prozent
diese aber ablehnten. Dabei zieht sich der Hass auf Homosexuelle durch alle
Schichten, Altersklassen und Kreise.
Eine Umfrage kanadischer Meinungsforscher aus demselben Jahr kam zu einem
ähnlichen Ergebnis: 81,3 Prozent der Befragten lehnten
gleichgeschlechtliche Beziehungen ab. Diese wurden schlechter beurteilt als
Verkehrsvergehen und Sterbehilfe.
## Nicht verstecken sondern protestieren
Anders als Alla Oliynik will Anna Dovgobol Aufsehen erregen. Öffentlich.
Sie sitzt auf der Bühne, als in Kiew am 19. Mai der Christopher Street Day
eröffnet wird. Sie ist 33, kurze, rote Haare, hauptamtliche Mitarbeiterin
bei Amnesty International, sie hat in Kirgisien die erste Organisation für
die Rechte von Homosexuellen gegründet. Anna Dovgobol mag weder richtig
Schlechtes noch Gutes über den Fußballclub von Alla Oliynik sagen. Aber sie
sieht verärgert aus, als sie sagt: „Mit solch einer Einstellung wird sich
in unserem Land nie etwas ändern.“
Sie findet es richtig, sich nicht zu verstecken. Und deswegen hat sie den
Christopher Street Day in Kiew mitorganisiert. Zu dem die Fußballerin Alla
Oliynik nicht ging. Nicht zur Eröffnungszeremonie, auch nicht zum
Straßenfest. „Ich will nicht von Homophoben verprügelt werden, und die
Polizei schaut dabei zu“, sagte sie einige Tage zuvor.
Tatsächlich kam es zu Auseinandersetzungen. Noch während der Eröffnung in
einem Hotel am Stadtrand zerstörte ein Mob die Ausstellung einer lesbischen
Fotografin; die Bilder wurden von den Wänden gerissen, die Möbel
umgeworfen. Der eigentliche Umzug musste aus Sorge um die Sicherheit der
200 Teilnehmer abgesagt werden.
Die Polizei habe sich geweigert, die genehmigte Demonstration zu sichern,
erklärten die Veranstalter, niemand wollte sie vor den 1.500
Gegendemonstranten schützen. Selbst eine improvisierte, unter freiem Himmel
abgehaltene Pressekonferenz wurde gestört. Ein maskierter Mann sprang in
die Menge, sprühte Reizgas und schrie: „Die Ukraine muss sauber bleiben,
keiner darf sie besudeln.“ Zwei Polizisten, die die Szene beobachtet
hatten, ließen ihn unbehelligt.
## Kirche gegen Homosexuelle
Woher kommt die Homophobie? Zum einen wohl aus der Sowjetzeit, in der
Homosexualität noch unter Strafe stand. Heute schürt besonders die
ukrainisch-orthodoxe Kirche Hass gegen Homosexuelle. Als 2007 der schwule
Sänger Elton John in Kiew auftrat, rief eine Gruppe Strenggläubiger zum
Boykott auf. „Die Schwulen sind schuld an der Ausbreitung des Aidsvirus“,
sagte damals Svyatoslav Domalevsky von der Union der orthodoxen Bürger der
Ukraine.
Nach Alla Oliyniks erstem Kuss vor zehn Jahren war alles anders. „Ich ging
nach Hause und stand starr vor Glück an die Wand gelehnt“, sagt sie. Das
Bekennen sei so einfach gewesen, so herrlich schön, „endlich wusste ich
über mich Bescheid, wusste, warum ich es nie lange mit einem Jungen
aushielt.“ Die Freude wich schnell der Angst. Wie sollte sie es ihren
Eltern sagen? Gab es andere Frauen, die empfinden wie sie?
Mutter und Schwester reagierten nicht erfreut, akzeptierten ihre
Leidenschaft aber stillschweigend. Ihrem Vater hat sie bis heute nichts
gesagt. Natürlich wundert es ihn, dass seine Tochter noch nicht verheiratet
ist und Kinder hat, aber sie antwortet Fragenden einfach, sie wolle
Karriere machen. Ihre Freundin, mit der sie seit sieben Jahren zusammen
ist, muss ihre Orientierung vor ihrer Familie verheimlichen.
Als im letzten Sommer in Deutschland die Frauenfußball-WM stattfand, war
Homosexualität ein großes Thema. Fußballerinnen in Deutschland gehen mit
dem Thema Homosexualität offener um als ihre männlichen Kollegen. Aber wenn
wenige Wochen vor der Fußball-EM über die Ukraine gesprochen wird, dann
geht es meist um die Exregierungschefin Julia Timoschenko, die wegen
angeblichen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
## Timoschenko offenbar wichtiger
Aus Protest gegen die Behandlung von Timoschenko entschied die
EU-Kommission Anfang Mai, allen EM-Spielen in der Ukraine fernzubleiben. Es
wird gemahnt und gefordert. Gegen die Diskriminierung von Schwulen und
Lesben tritt jedoch kaum ein ausländischer Politiker ein.
Wen interessiert es schon, dass die 2004 gegründete „Nationale ukrainische
Expertenkommission zu Fragen des Schutzes der öffentlichen Moral“ in einer
Definition von Pornografie und Erotik homosexuelle Handlungen in die Rubrik
„anormal und entartet“ einordnete? Wen interessiert es, dass der Kinohit
„Brüno“ seit 2009 nicht mehr gezeigt werden darf? Der Film über einen
schwulen Modereporter verletze die „öffentliche Moral der Bevölkerung“,
befand die Kommission.
Zwar war die Ukraine die erste ehemalige Sowjetrepublik, die Gesetze gegen
homosexuelle Handlungen abschaffte, doch erst im letzten Jahr reichten
sechs Abgeordnete verschiedener Fraktionen den Entwurf für ein Gesetz ein,
das die Verbreitung von Informationen über Homosexualität als „Propagierung
von Homosexualität“ unter Strafe stellen soll. Noch diskutiert das
Parlament über den Vorschlag. Was aber passiert, wenn dieses Vorhaben
durchkommt? „Dann weiß ich nicht mehr weiter“, sagt Alla Oliynik.
Für die Frauen in ihrem Verein ist Fußball ein kurzer Moment in einer
Gemeinschaft, in der sie sich nicht rechtfertigen müssen und es
selbstverständlich ist, eine Frau zu begehren. Hier können sie sich
erlauben zu leben, wie sie wollen. Einmal im Jahr, meist im Sommer,
organisieren sie ein Fußballturnier für Gay Clubs aus Osteuropa. Es wird in
aller Heimlichkeit veranstaltet, Termine und Treffpunkte werden nur online
untereinander verteilt. Es gibt keine Plakate, keine Handzettel, keine
offizielle Homepage.
Wäre die EM, das große öffentliche Turnier, für die homosexuellen Sportler
nicht eine Chance, den Rest der Welt auf ihre Situation aufmerksam zu
machen? „Ja, das wäre es“, sagt Alla Oliynik. „Aber was ist nach den
Spielen, wenn wir nicht mehr wahrgenommen werden?“, fragt sie und gibt die
Antwort gleich selbst: „Die meisten von uns würden ihre Jobs verlieren und
wären gesellschaftlich geächtet.“
25 May 2012
## AUTOREN
Cigdem Akyol
Cigdem Akyol
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