# taz.de -- Frauenfußball in der Ukraine: Ohne Platz, aber mit Leidenschaft | |
> Junge Fußballerinnen von Türkiyemspor Berlin reisen zu einem Turnier in | |
> die Ukraine. Dort sind die Bedingungen miserabel, die Leidenschaft ist | |
> dafür umso größer. | |
Bild: Das EM-Stadion in Charkiw ist mächtig. Die Infrastruktur für Nachwuchsf… | |
CHARKIW taz | Der Himmel ist wolkenverhangen am Samstagmorgen am | |
Wostok-Sportplatz in Charkiw. Im Vereinsheim sind die Vitrinen gefüllt mit | |
goldenen Pokalen, die Wände zieren Porträts erfolgreicher Sportler. Vor den | |
Augen von Freunden und Familie boxen Jungen von 10 bis 14 Jahren in einem | |
großen Kellerraum im Ring gegeneinander, während im Obergeschoss Mädchen | |
Ballett tanzen. In der ukrainischen Universitätsstadt scheint in Sachen | |
Sport alles seinen geregelten Gang zu gehen. | |
Wer jedoch einen Blick hinüber in das marode Stadion wirft, ist erstaunt. | |
Rund 50 Mädchen trainieren mit Fußbällen auf dem aufgeweichten Rasen, | |
laufen sich warm und passen sich Bälle zu. Die Spielerinnen sind zwischen | |
14 und 23 Jahre alt und kommen aus Russland, der Ukraine, Polen und | |
Deutschland. | |
Sie nehmen in Charkiw an der fEMale 2012, einem außergewöhnlichen | |
Fußballturnier, teil, das von der Robert-Bosch-Stiftung und der EU | |
gefördert wird. Hier spielen sie nicht nur gegen- und miteinander, sie | |
erfahren auch, wie es um den Frauenfußball in den anderen Ländern bestellt | |
ist, und haben die Gelegenheit, sich näher kennenzulernen. | |
Von der Tribüne aus schauen Mandana und Angie auf das Spielfeld. Die | |
Spielerinnen von Türkiyemspor Berlin sind gerade in die Verbandsliga | |
aufgestiegen. In den Osten der Ukraine sind sie gereist, um sich mit | |
Spielerinnen aus Charkiw, Woronesch und Raciborz zu messen. Angie ist mit | |
einem Kreuzbandriss außer Gefecht gesetzt, Mandana hat sich erkältet. Die | |
anderen Mädchen wollen sie aber trotzdem unterstützen, wenn sie heute in | |
gemischten Teams agieren. | |
Für Mandana ist der Austausch trotz Kommunikationsproblemen ein tolles | |
Erlebnis. Weil die russischen und ukrainischen Spielerinnen kein Englisch | |
sprechen, verständigen sich die Spielerinnen untereinander oft nur mit | |
Händen und Füßen. Das gemeinsame Spiel verbindet sie. | |
## Auf einmal sind sie „die Deutschen“ | |
Giovanna Krüger, die gemeinsam mit Murat Dogan das Berliner Frauenteam | |
trainiert, betont, dass gerade diese internationalen Begegnungen ihren | |
Spielerinnen guttun. „Für unsere Spielerinnen – viele Töchter von | |
türkischen Eltern – ist es etwas Neues hier als Deutsche aufzutreten, weil | |
sie sich zu Hause als Türken definieren und auch als Türken definiert | |
werden.“ In Gesprächen mit den anderen Fußballerinnen merken die | |
Berlinerinnen, wie der eigene Fußball in Osteuropa gesehen wird und wie | |
groß die finanziellen Probleme in den anderen Ländern sind. | |
Die ukrainischen Trainerinnen Anna Pokus und Aljona Petrowa sind trotz der | |
miserablen Bedingungen mit ganzer Leidenschaft dabei. Im Nachwuchsbereich | |
im ukrainischen Mädchenfußball gibt es lediglich einmal im Jahr ein | |
landesweites Turnier. Damit ihre Spielerinnen teilnehmen können, hat Aljona | |
Petrowa ihr Monatsgehalt von rund 120 Euro in ihr Team gesteckt. | |
Es fehlt aber nicht nur an Geld, sondern auch an Anerkennung. Aljona | |
Petrowa wünscht sich mehr Spielerinnen und Trainerinnen als Vorbilder für | |
junge Fußballerinnen und hofft auf mehr Akzeptanz bei den Eltern. „Sie | |
müssen verstehen, dass viele Mädchen nicht turnen und eislaufen wollen, | |
sondern Fußball spielen, und dass dies etwas ganz Normales ist.“ | |
Für ihre Spielerinnen habe daher auch das internationale Turnier eine | |
enorme Bedeutung. „Die Mädchen spüren während der Spiele, dass sie wichtig | |
sind, und schöpfen Motivation, auch in Zukunft weiter Fußball zu spielen.“ | |
## „Es fehlt ein System“ | |
Auch für Marina Viktorowa ist klar, dass sich viel verändern muss in ihrem | |
Heimatland. Vor rund 20 Jahren war sie russische Nationalspielerin, heute | |
trainiert sie eine Frauenmannschaft in Woronesch. Es gebe immer mehr | |
Mädchen, die Fußball spielen wollen, sagt sie, ihr Team habe aber nicht | |
einmal einen Trainingsplatz. „Die Nachwuchsförderung wird nicht ernst | |
genommen, es fehlt ein System.“ | |
Die Trainerinnen und Spielerinnen in Charkiw sind sich einig, dass sie | |
miteinander in Kontakt bleiben wollen und dass das Turnier baldmöglichst | |
wiederholt werden muss. Die Berliner Trainerin Giovanna Krüger hofft, dass | |
es dann noch weiter nach Osten, nach Russland, geht. | |
6 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Peter Dittmann | |
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