| # taz.de -- Radikale Fans im Fußball: „Ultras – die Demokraten von morgen�… | |
| > Der Soziologe Gerd Dembowski über die Sicherheit von Stehplätzen, | |
| > partizipatorische Modelle der Ultras und Probleme im Umgang mit den Fans. | |
| Bild: Ultras von Eintracht Frankfurt bei Union Berlin. | |
| taz: Herr Dembowski, warum sind Stehplätze eigentlich so wichtig für viele | |
| Fans? | |
| Gerd Dembowski: Das Wichtigste ist nicht, wie viele sagen, der Preis, auch | |
| wenn das sicher ein entscheidender Faktor ist. Viel wichtiger ist aber, | |
| dass sich Fußballfans in einer bewegungsorientierten Jugendkultur befinden. | |
| Unabhängig von dem, was auf dem grünen Rasen geschieht, gibt es so etwas | |
| wie eine Verabredungskultur, es geht darum, sich zu vernetzen. Und das ist | |
| eben schwer, wenn man wie ein Huhn auf der Stange sitzt. Wir kennen das ja | |
| aus dem Kino. Wenn einer zu seinem Platz will, müssen alle anderen | |
| aufstehen und werden abgelenkt. Sollte es so weit kommen, ist die Art und | |
| Weise des Fußballerlebnisses eine ganz andere. | |
| Aber sicherer sind die Sitzplätze schon? | |
| Ich wage einmal die These, dass Stehplätze wesentlich sicherer sind, weil | |
| sie in Panikfällen einfacher zu räumen sind. Menschen drängen in | |
| Panikfällen immer nach vorne. Und wenn das Sitzplätze sind, kann es sein, | |
| dass man darüber stolpert, dass Menschen zu Tode getreten werden. | |
| Außerdem, auch das haben wir ja schon erlebt, sind Sitzplätze bisweilen | |
| regelrechte Schlagwaffen oder Wurfwaffen. Es geht bei der | |
| Stehplatzdiskussion nicht wirklich um eine Erhöhung der Sicherheit, sondern | |
| darum, eine symbolische Strafe zu verhängen. Durch den immensen | |
| öffentlichen Druck, der in immer kürzeren Abständen immer weiter aufgebaut | |
| wird, könnte diese Bestrafung tatsächlich real werden. | |
| Was könnte die Abschaffung der Stehplätze in der Fanszene auslösen? | |
| Es wird einen erheblichen Widerstand auslösen. In welcher Form er ablaufen | |
| wird, weiß ich nicht. Die erste Fanbewegung, die erfolgreich für die | |
| Erhaltung der Stehplätze gekämpft hat, hat wie eine Kommunikationsguerilla | |
| gearbeitet, hat es verstanden, Journalisten, Politiker, Fanforscher und | |
| über diese den DFB auf ihre Seite zu bringen. Das ist heute schwieriger, da | |
| viele Ultras Kontakte zu Medien vermeiden, Kontakte auch zu möglichen | |
| Bündnispartnern ausschlagen. | |
| Sie haben aber auch schlechte Erfahrungen gemacht mit dem DFB, der die | |
| Gespräche über kontrolliertes Abbrennen von Pyros abgebrochen hat. | |
| Es gibt keine Connection mehr. Letztendlich haben wir eine Jugendkultur, | |
| die in einer Zeit entsteht, in der allerorten über Politikverdrossenheit | |
| geklagt wird, darüber, dass die Jugend nichts Tiefgehendes liest. Dabei | |
| sind viele Ultras extrem gut informiert, was ihre Anliegen angeht. Sie | |
| praktizieren partizipatorische Modelle, üben sich teilweise auf ihren | |
| Versammlungen in Demokratie. Wir sehen da junge Leute, die die Demokraten | |
| von morgen sind. Wenn diese jungen Leute in ihrer Findungsphase erfahren, | |
| dass Dialoge abgebrochen werden, dass sie marginalisiert, stigmatisiert | |
| werden, dann prägt sich das ein. | |
| Die Ultras sind also die Guten? | |
| Auch Ultras müssen lernen, dass Politik auch Realpolitik sein muss, dass | |
| man nicht in Gespräche gehen kann mit einer Maximalforderung, von der man | |
| dann auch nicht abweicht. Wenn die Ultrabewegung sich da nicht öffnet, wenn | |
| sie nicht in der Lage ist, sich mit Leuten, die situativ zu Gewalt neigen, | |
| auseinanderzusetzen, statt sie nur in Schutz zu nehmen, dann wird die | |
| Bewegung von der Politik mehr und mehr zum Problem gemacht und nach und | |
| nach aus den Stadien verdrängt. | |
| 31 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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