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# taz.de -- Fußball-EM-Stadt Lemberg: Orangebraune Gesinnungen
> Lemberg hat sich 100 Tage vor dem EM-Start herausgeputzt. Doch in der
> ukrainischen Stadt treiben auch rechte Fans des Klubs Karpaty ihr
> Unwesen.
Bild: Nationalist Bandera - vom KGB ermordet, von rechten Ukrainern verehrt.
LEMBERG taz| In der Altstadt bevölkern fröhliche junge Menschen die Cafés.
Warme Sonnenstrahlen verleihen den langsam vor sich hin bröckelnden
Jugendstilhäusern und gepflasterten Gassen einen ganz eigenen Charme. So
beschaulich werden die Fußballfans im Sommer das westukrainische Lemberg
(Lviv) erleben, wenn die deutsche Nationalmannschaft dort im Sommer zwei
ihrer EM-Vorrundenspiele austrägt.
Lemberg hat aber auch ein anderes Gesicht: die Stadt ist eine Hochburg der
rechtsextremen Partei Swoboda (Freiheit), den Fans des lokalen Erstligisten
Karpaty Lviv wird eine rechte Gesinnung nachgesagt. Was ist dran an diesem
wenig sympathischen Bild einer Stadt, die für ihre multikulturelle
Geschichte und ihren Enthusiasmus in der Orangenen Revolution bekannt ist?
„Banderstadt, Banderstadt!“, hallt es immer wieder durchs Stadion, wenn
Karpaty Lviv antritt. Die Ultras, die treuesten Fans des Vereins, deren
Fankurve der Wahlspruch Lembergs ziert – „Zavschdy virni“, Allzeit treu �…
entrollen zu den Rufen eine große Flagge. Sie ist in Rot und Schwarz
gehalten und von einem Porträt geschmückt, dessen Ästhetik an das berühmte
Konterfei Che Guevaras erinnert. Das Gesicht mit dem strengen Blick und den
markanten Geheimratsecken gehört Stepan Bandera (1909–1959), einer der
kontroversesten Gestalten der jüngeren ukrainischen Geschichte.
## Umstrittener Kult um Bandera
Als Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) kämpfte
Bandera im Zweiten Weltkrieg für eine unabhängige Ukraine. Dieser Kampf war
gleichzeitig auch ein Kampf gegen die ansässigen Polen und Juden und gegen
die Sowjetunion. Dafür, so der Vorwurf, kollaborierte Bandera mit den
Nazis. Dementsprechend gilt „Banderovcy“, Bandera-Leute, unter Russen, aber
auch in der Ostukraine, als Schimpfwort, mit dem die Westukrainer tituliert
werden.
In Lemberg ist man jedoch weit entfernt davon, sich beleidigt zu fühlen,
und hat Stepan Bandera zu so etwas wie einem Popidol gemacht. Nach ihm sind
Straßen benannt, am liebsten hätten die Lemberger auch den zur EM frisch
renovierten Flughafen auf seinen Namen getauft. Die Souvenirläden verkaufen
Streichholzschachteln, Anstecker und T-Shirts mit Bandera-Schriftzug.
Der Name „Banderstadt“ ist auf Graffitis allgegenwärtig – gemünzt auf d…
Fußballverein Karpaty, gerne auch in Fraktur geschrieben und oft in
Verbindung mit dem sogenannten Keltenkreuz: ein Kreuz innerhalb eines
Kreises, das Rechtsextremisten international als Erkennungszeichen dient.
## "Wir sind rechts, aber nicht rechtsradikal"
Ist der Erstligist aus der Stadt mit der multikulturellen Geschichte also
ein Sammelbecken für Anhänger mit stramm rechter Gesinnung? Danilo
Nikulenko kennt diese Frage. „Karpaty gilt in der Ukraine als rechter
Verein“, redet der Pressesprecher des Clubs nicht lange um den heißen Brei
herum. Um gleich nachzusetzen: „Aber wir sind nicht rechtsradikal.“ Als
Beleg führt er Initiativen an wie ein in Zusammenarbeit mit der
europäischen Initiative Fare (Football Against Racism in Europe)
ausgerichtetes Fanturnier.
Die Ukraine habe sich hinter dem Eisernen Vorhang anders entwickelt als der
Westen Europas, wirbt Nikulenko um Verständnis, daher könne man die
politischen Kategorien aus Deutschland nicht so ohne weiteres auf sein Land
übertragen.
„In Galizien hatte im zweiten Weltkrieg jede zweite Familie einen
Angehörigen bei den Partisanen“, erklärt der Lemberger Journalist und
Übersetzer Juri Durkot den in seiner Heimatregion tief verwurzelten Kult um
Partisanenführer Stepan Bandera. Durkot erinnert sich an Klassenfahrten zu
sowjetischen Zeiten: Wenn die Ukrainer andernorts als „Banderovcy“
bezeichnet wurden, habe dabei durchaus immer auch etwas Furcht und Respekt
vor dem bewaffneten Freiheitskampf mitgeschwungen.
Ihr Streben nach Unabhängigkeit mussten die Menschen in Galizien, das vor
dem Krieg zu Polen gehörte, in der Sowjetunion teuer bezahlen: Jede zweite
Familie, so Durkot, habe auch Angehörige gehabt, die unterdrückt wurden,
etwa durch Verbannungen nach Sibirien.
## Rechte Wirklichkeit - Rechte Fassade
Vielleicht hilft diese historische Erfahrung, zu erklären, warum im
heutigen Lemberg radikale Parolen wieder populär sind. Die rechtsextreme
Partei Swoboda, die bei Wahlen regelmäßig den Einzug ins ukrainische
Parlament verfehlt, hat im Westen des Landes ihre Hochburg. In den Wahlen
zum Lemberger Gebietsparlament erhielt Swoboda knapp 26 Prozent der Stimmen
und stellt nun mehr als ein Drittel der Abgeordneten.
Die Partei, die nahe dem Denkmal für Nationaldichter Taras Schewtschenko
regelmäßig mit einem Stand präsent ist, macht offen Stimmung mit
antisemitischen Parolen und schürt den Hass auf die „Besatzer“ aus
Russland.
Hat sich der orangene Traum von 2004 in Lemberg inzwischen also in einen
braunen Alptraum verwandelt? Nicht immer ist es einfach, zwischen Ideologie
und Inszenierung zu unterscheiden. Eine der populärsten Kneipen Lembergs
ist die „Partisanenhöhle“ direkt am Marktplatz. Wer Einlass begehrt, muss
das Passwort kennen: „Slava Ukraini“ – Ehre der Ukraine, worauf der
Türsteher die obligatorische Antwort „Herojam Slava“ (Ehre den Helden)
gibt.
Drinnen kann man zwischen zwei Bier auf ein Stalinporträt schießen oder
sich in Partisanenmontur fotografieren lassen. Also eine echt
ukrainisch-nationalistische Kneipe? Ein älterer Passant winkt ab: „Herojam
Slava? Das ist alles Geschäft, die Betreiber sind doch sowieso Russen.“
29 Feb 2012
## AUTOREN
M. Brand
R. Kalimullin
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