# taz.de -- Daniel Cohn-Bendit zur EM: "Ich bin irrational gegen Deutschland" | |
> Der Kofraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament über seine Liebe | |
> zur französischen Mannschaft, die Notwendigkeit von politischem Protest | |
> und den neuen Patriotismus. | |
Bild: "Symbolisch ist das der Anti-Sarrazin": Deutschland-Fans nach dem 1:0 geg… | |
taz: Herr Cohn-Bendit, ist es denn überhaupt vertretbar, dass die | |
Fußball-EM in Polen und der politisch fragwürdigen Ukraine ausgerichtet | |
wird? Hat denn das einen europäisierenden Wert an sich? | |
Daniel Cohn-Bendit: Angesichts der Situation in der Ukraine nicht, das ist | |
wohl wahr. Nun ist es jedoch so, dass dieses Turnier vor vielen Jahren | |
beschlossen wurde. Die politischen Verhältnisse in der Ukraine sind | |
unüberschaubar. Die Repression, der nicht nur Julia Timoschenko, sondern | |
die ganze Opposition ausgesetzt ist, ist offenkundig. | |
Da böte sich ein Boykott an, nicht wahr? | |
Das ist tatsächlich die ständige Frage. Ich bin trotzdem der festen | |
Überzeugung, dass man solch eine Meisterschaft benutzen muss, um dort | |
politisch zu agieren. | |
Sie Träumer! Bis weit in unser grün-alternatives Milieu hinein ist Politik | |
doch zweitrangig – alles dreht sich nur darum, dass das Löw-Team endlich | |
eine, ja diese Trophäe gewinnt. | |
Für mich nicht! Ich stehe fest auf beiden blau-weiß-roten Beinen. Und wenn | |
die Blau-Weiß-Roten nicht gewinnen, dann soll es in Gottes Namen Spanien | |
schaffen, weil es nun mal die am besten spielende Mannschaft hat. | |
Was man von Frankreich nicht gerade sagen kann. | |
Eben. Deswegen bin ich irrational für Frankreich und rational für Spanien. | |
Und irrational gegen Deutschland. | |
Alter Oppositionsgeist, inzwischen ohne Grund? | |
Es gibt Dinge im Leben, die man nicht erklären kann. Es ist so. | |
Mögen Sie sich an eine Erklärung wenigstens heranrobben? | |
Okay. Ich wuchs in Frankreich auf, lernte in Frankreich Fußball kennen und | |
spielen. Meine ersten Idole waren Franzosen, die große Fußballmannschaft | |
von Rennes, die große Fußballmannschaft 1958 in Schweden, die bei der WM im | |
Spiel um Platz drei Deutschland mit 6:3 geschlagen hat. So ist es. | |
Wir hören keine Skepsis heraus gegenüber der großen Fußballbegeisterung. | |
Nein, weil es bei mir keine Skepsis gegenüber Fußballbegeisterung gibt. | |
Auch kein Widerspruch gegen die schwarz-rot-goldenen Debatten in | |
Deutschland um viel zu viel nationale Begeisterung? | |
Wenn die Leute Schwarz-Rot-Gold wollen, sollen sie das haben. Ich bin für | |
Blau-Weiß-Rot, fertig. Mein Sohn, der Deutscher ist, ging 2006 zur WM sogar | |
beim Endspiel in Berlin mit blau-weiß-roten Haaren. Soll doch jeder machen, | |
wie er will. Toll finde ich, wenn junge TürkInnen in Schwarz-Rot-Gold durch | |
die Gegend laufen. Symbolisch ist das der Anti-Sarrazin. | |
Kann Sie denn der neue deutsche Eleganzfußball auch nicht antörnen? | |
Elegant ist der deutsche Fußball, stimmt. Wenn die Deutschen gewinnen, | |
haben sie es wahrscheinlich auch verdient. Will ich gar nicht leugnen. Aber | |
Fußball ist nicht gerecht, und Leidenschaft für Fußball orientiert sich | |
nicht an Gerechtigkeit. So war die Niederlage von Bayern München ungerecht, | |
aber ich habe mich trotzdem für die Sieger gefreut. | |
Die streng genommen auch gerecht gewannen. | |
Ja, wegen Drogba, okay. | |
Am Ende ist der Sieger der Sieger. | |
Das ist eben das ungerecht Gerechte am Fußball. | |
Merkel ist die Buhfrau Europas. Ist ihr Gegenstück der Sympath Joachim Löw? | |
Politik wird beim Fußball überschätzt. So oder so: Ich würde mich auch | |
riesig freuen, wenn Deutschland die Europameisterschaft gewinnt – denn dann | |
jubelt ein ganzes Land einem Türken zu. | |
Spielt bei den Deutschen ein Türke mit? | |
Seien wir nicht naiv, natürlich spreche ich über Mesut Özil. In Deutschland | |
werden Türken, auch wenn sie Deutsche sind, als Türken angesehen. Und | |
plötzlich merken alle, dass ein Türke nicht Türke, sondern Deutscher ist. | |
Das wäre für die Mehrheit verwirrend schön. Ich finde das wunderbar. | |
Von multikulturellen Irritationen abgesehen: Wir kennen niemanden, der so | |
deutsch spielt wie Özil. | |
Nein, nein, nein. Mesut Özil spielt eine Mixtur aus französischem und | |
spanischem Fußball. Das ist eine sehr interessante europäische Mischung. | |
Hätten Sie ihn für Ihre Blau-Weiß-Roten am liebsten adoptiert? | |
Nein, ich lasse ihn. Ich suche nur händeringend einen neuen Zinedine Zidane | |
in Frankreich. Zugegeben: Man kann mit mir einfach nicht rational über | |
Fußball reden. | |
11 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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