# taz.de -- Pro und Contra Gaucks Bundeswehrrede: Koalition der Erregten | |
> Der Bundespräsident äußert sich über Krieg und Frieden, und schon regen | |
> sich die Leute wieder auf. Recht so? Ein Pro und Contra. | |
Bild: Was geschah tatsächlich bei dieser Rede des Bundespräsidenten? | |
Pro | |
Joachim Gauck ist es gelungen, sich in einer sicherheitspolitischen | |
[1][Grundsatzrede] zur Gallionsfigur der Politik der [2][Austerität] zu | |
machen. Jede Rede ein Ruck, drunter macht er’s nicht. Also stellt sich der | |
Bundespräsident zum Antrittsbesuch bei der Truppe am Dienstag in die | |
Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und tut seine, von | |
qualifizierten historischen Vorkenntnissen unbelasteten Gedanken zur | |
deutschen Sicherheitspolitik kund. | |
„Die Bundeswehr ... im Einsatz gegen Terror und Piraten – wer hätte so | |
etwas vor zwanzig Jahren für möglich gehalten?“, fragt Joachim Gauck die | |
versammelten Offiziere. Antworten möchte man ihm, dass zum Beispiel die | |
Verteidigungsminister Stoltenberg und Rühe das für möglich gehalten haben | |
mögen, als sie vor 20 Jahren mit Einsätzen im Persischen Golf, in | |
Kambodscha und Somalia den Weg für eine international, auch im Kampfeinsatz | |
tätige Bundeswehr ebneten. | |
Dass der Bundespräsident dann mit dem Verweis auf die besondere deutsche | |
Verantwortung bei der Verteidigung der Freiheit an jedem Ort der Welt und | |
mit der Waffe in der Hand nichts anderes tut, als die Position der früheren | |
rot-grünen Bundesregierung zu paraphrasieren, zeigt, dass diese | |
Entwicklung, aller Naivität zum Trotz, keine zufällige oder nicht | |
vorhersehbare war. | |
Der wirklich interessante Teil seiner Rede in Hamburg ist aber nicht die | |
neblige Rechtfertigung internationaler Militäreinsätze. Es ist auch nicht | |
die bei Gauck unausweichliche Referenz auf die schlimmen Verhältnisse und | |
die Militarisierung noch des Alltagslebens im glücklicherweise (!) nicht | |
mehr bestehenden zweiten deutschen Staat. Es sind jene Anmerkungen, die | |
nicht nur als Respektsbekundungen gegenüber der Leistung der Soldaten und | |
Soldatinnen verstanden werden können, sondern auch als Ermahnung an den | |
Rest der Gesellschaft. | |
Vom Ideal des Dienens schwärmt Joachim Gauck und stellt dem gegenüber eine | |
„hedonistische“ und „glückssüchtige“ Gesellschaft, die den Preis der | |
Freiheit nicht nur nicht bezahlen, sondern auch die unweigerlichen | |
Begleiterscheinungen des Kampfes für die Demokratie nicht sehen will. | |
„Andere sind sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls | |
auch vehement einzufordern.“ Die Kriegsversehrten und die notwendige Gewalt | |
wollen sie dabei nicht wahrnehmen. Mehr Beachtung und mehr Respekt | |
verdienen die Opfer, die gebracht werden für den höheren Zweck, der ist: | |
Die Freiheit, wie Gauck sie meint. | |
Es verwundert angesichts dieser Schelte für die unverantwortlichen | |
Profiteure der freien, demokratischen Gesellschaft, wie nahe dieser | |
Bundespräsident, ein erklärter Feind der realsozialistischen | |
Zwangsgesellschaft, sich doch an der Freiheitsdefinition von Friedrich | |
Engels bewegt. | |
Die Pflicht, für den Bestand der Freiheit auch und gerade das zu tun, was | |
der hedonistischen Bedürfnisbefriedigung zuwiderlaufen mag: Das ist Gaucks | |
Einsicht in die Notwendigkeit. Der frühere Rostocker Jugendpfarrer lässt | |
hier den verbissenen, spaßfeindlichen Pfaffen mit Neigung zur | |
Parteidisziplin durchblicken. | |
So fügt er sich auf diese Weise ein in die Epoche der Austerität. Man spürt | |
förmlich den großen Gürtel, den er im Dienste der Freiheit um die | |
verantwortungsvolle Gemeinschaft enger schnallen möchte. | |
Dass Angela Merkel den verkniffenen Pastor nicht als Bundespräsidenten | |
haben wollte, hat weniger mit seiner prinzipiellen Weltsicht zu tun. Die | |
beiden kommen erkennbar aus dem gleichen Stall – und der ist, auch wenn sie | |
das nicht wahrhaben wollen, nicht nur protestantisch, sondern auch sehr | |
ostdeutsch. Auf lange Zeit werden Angela „Mädchen“ Merkel und Joachim | |
„Behörde“ Gauck die wahren Gesichter der deutschen Krisenbewältigung sein. | |
Vielmehr fürchtet Merkel, dass Gauck, besoffen von der eigenen Wichtigkeit, | |
zu wenig Rücksicht auf tagespolitisch-pragmatische Notwendigkeiten der | |
lautlosen Führung der Regierungsgeschäfte nehmen und ihr damit auf die Füße | |
treten könnte. | |
Das ist dieses Mal, in der Führungsakademie der Bundeswehr jedoch noch | |
nicht geschehen. Warten wir also ab, welchen Ruck der Bundespräsident für | |
die nächste Rede vorbereitet hat. Danièl Kretschmar | |
Contra | |
Man muss den Bundespräsidenten nicht mögen. Man kann sich auch darüber | |
aufregen, dass jemand derartig Konservatives wie Joachim Gauck von SPD und | |
Grünen aufgestellt wurde. Auch verdient es ein Bundespräsident, dass seine | |
Worte auf jede erdenkliche Goldwaage gelegt werden – der Mann soll | |
schließlich den universell anschlussfähigen Gesamtrhetor der Bundesrepublik | |
abgeben. | |
Eines aber hat Joachim Gauck diese Woche nicht getan: für mehr | |
Auslandseinsätze der Bundeswehr geworben. Er hat noch nicht einmal für die | |
laufenden Auslandseinsätze geworben. | |
Wer ihn nun, wie die neue Linken-Chefin Katja Kipping, zum | |
„Kriegspropagandisten“ erklärt, hat die Rede Gaucks vor der | |
Führungsakademie der Bundeswehr entweder nicht gehört – oder leidet unter | |
verschobenen Bewertungsmaßstäben. Denn sonst müsste wirklich jeder, der | |
sich nicht zum vollständigen Gewaltverzicht bekennt, sich diesen Vorwurf | |
anziehen. Es gäbe nur zwei Sorten Menschen: Pazifisten und Kriegstreiber. | |
Gauck hat bei seinem Bundeswehr-Besuch eine weitere seiner leicht | |
übersteuert-wertigen Reden gehalten, die stets um einen ärgerlich diffusen | |
Freiheitsbegriff kreisen. Gauck verwendete sein bekanntes | |
Argumentationsrezept: ein deutsch-deutscher Patriotismus mit dem | |
entscheidenden, aber billigen Vorteil, dass das Objekt der Abgrenzung und | |
Abwertung vor 22 Jahren auseinandergefallen ist. Soll heißen: Er musste die | |
schreckliche DDR erleben, deshalb ist in der Bundesrepublik sowieso alles | |
super. Inklusive Bundeswehr. | |
Über deren Aufgabe aber hat Gauck nicht gesagt, dass sie bald in mehr | |
Auslandseinsätze geschickt würde oder werden sollte. Er hat die aktuellen | |
Auslandseinsätze „auf drei Kontinenten“ auch nicht explizit gutgeheißen, | |
sondern bloß festgehalten, dass diese vor 20 Jahren kaum vorstellbar | |
gewesen seien. Dass die Idee hinter diesen Einsätzen laute, dass Gewalt | |
„notwendig und sinnvoll sein kann, um Gewalt zu überwinden“. Daraus folge: | |
„ ’Ohne uns‘ als purer Reflex kann keine Haltung sein“. Eine | |
funktionierende Demokratie „erfordert Mut und manchmal den Einsatz des | |
eigenen Lebens“. Der Gedanke an deutsche Gefallene sei „für unsere | |
glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen“, doch eine Diskussion über | |
Ziel und Zweck von Auslandseinsätzen in der „Mitte der Gesellschaft“ | |
notwendig. | |
„Glückssüchtige Gesellschaft“ – ja, Gauck arbeitet sich am Hedonismus a… | |
Es hat halt jeder sein eigenes Päckchen zu tragen. Der Grund aber, warum | |
Spiegel Online am Dienstag die Nachricht „Gauck wirbt für Auslandseinsätze | |
der Bundeswehr“ hochzog und damit die ersten, recht aufgeregten Reaktionen | |
nicht nur von Kipping provozierte, liegt natürlich nicht darin, dass Gauck | |
irgendeine rote Diskurslinie überschritten hätte. Vielmehr zitierte die | |
Nachrichtenwebsite sich hier journalistisch augenzwinkernd gewissermaßen | |
selbst und kokettiert mit ihrem Einfluss. Denn es war das Spiegel-Portal, | |
das am Sturz von Gaucks Vorvorgänger Horst Köhler einen wichtigen Anteil | |
hatte. Es kolportierte Köhlers Aussagen zur Rolle der Bundeswehr im Mai | |
2010 in einer Weise, dass die folgende Diskussion ihm Anlass zum Rücktritt | |
gab. | |
Nun hatte auch Köhler nichts anderes gesagt, als seit Jahren im „Weißbuch“ | |
der Bundeswehr steht, hatte sich aber typgemäß ungeschickter ausgedrückt. | |
Gaucks Auftritt scheint nun weniger dramatische Folgen zu haben. Doch zeigt | |
die zwischenzeitliche Aufregung um seine Worte ironischerweise, wie recht | |
er in einem wichtigen Punkt hat. | |
Denn nur weil die Diskussion über Bundeswehreinsätze noch längst nicht in | |
der „Mitte der Gesellschaft“ stattfindet, landet die Diskussion über solche | |
Bundespräsidentenauftritte regelhaft in politischen Sackgassen. | |
Würde man nicht gleich „Kriegspropaganda“ schreien, könnte man Gauck zum | |
Beispiel auch dafür kritisieren, dass er nicht den Mut hatte, vor den | |
Offizieren der Bundeswehr den beschämend missglückten Afghanistan-Einsatz | |
zu kritisieren. Aus dem zu lernen wäre, dass Auslandseinsätze in den | |
vergangenen 20 Jahren unbedacht beschlossen wurden. | |
In der „Mitte der Gesellschaft“ bräuchte man nicht bloß | |
FunktionsträgerInnen dabei zuschauen, wie sie über eine verbreitete, | |
strittige, aber nicht gänzlich abwegige Argumentation in gespielte Ohnmacht | |
fallen. Es wäre dort ja auch Platz für Argumente. Ulrike Winkelmann | |
13 Jun 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012… | |
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Austerit%C3%A4t | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
Ulrike Winkelmann | |
## TAGS | |
Bundespräsident | |
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