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# taz.de -- Kolumne Ostwärts immer: Verkanntes Fußballtalent
> Wadim hätte ein großer Fußballer werden sollen. Wurde er aber nicht. Der
> 66-jährige Gleisbauer bolzt noch immer.
Schönes Tor. Wadim kann einfach nicht wegschauen, wenn irgendwo ein
Fußballspiel gezeigt wird. Es ist früher Nachmittag. Er steht mit einem
Bier in der Hand vor einem Kiosk in der Nähe des großen Kiewer Busbahnhofs.
Im Fernseher über dem Ausschank sind auf irgendeinem Sportkanal die besten
Tore der abgelaufenen Saison in der englischen Premier League zu sehen.
West Bromich Albion gegen den FC Arsenal.
Wadim ist egal, wer da auf dem Platz steht, Hauptsache, es wird Fußball
gespielt. Er sagt von sich selbst, dass er nichts anderes im Kopf hat. Im
Wohnviertel auf der gegenüberliegenden Straßenseite weiß das jeder. Auch
die Kinder. Die müssen Wadim immer mitspielen lassen, wenn er zum Bolzplatz
kommt.
Wadim ist 66 Jahre alt. Auch heute hat er wieder mitgespielt. Anstrengend
war es in der Hitze für ihn. Deshalb braucht er jetzt ein Bier. Wadim ist
heiser. Er hat das ganze Spiel über gebrüllt. Nett war er nicht zu den
Kindern. Idiot, Wicht, Weichei und viele andere Beleidigungen, die in
meinem Wörterbuch nicht aufgeführt sind, hat er den Kindern in deren
Gesichter gebrüllt.
Was soll ich machen, fragt er hinterher? Seine müden Knochen täten sich
eben schwer mit dem Herumschleppen seines immer dicker werdenden Bauches.
Ich hatte mitgezählt. In der Stunde, die er mit den 10- bis 15-jährigen
Burschen gespielt hat, war er viermal am Ball. Er war, nun ja, sicher nicht
ganz schuldlos an der 1:8-Niederlage seines Teams. Ich zolle ihm dennoch
Respekt. Ja, sagt er, ich bin immer noch ein guter Fußballer.
Die schon lange nicht mehr nüchternen Männer, die neben uns stehen, lachen.
Barbaren. Wadim ärgert sich. Jetzt kommt gleich seine Geschichte, sagen die
Männer. Sie verabschieden sich. Spazieren gehen, sagen sie.
Jetzt erzählt Wadim von seiner Kindheit. Ich hätte mit Blochin spielen
können, sagt er. Er wollte ein großer Fußballer werden. Und er sollte es.
Seine Lehrer hätten ihm gesagt, dass er nicht zu lernen brauche, er werde
ja eh ein Star. Er hat sich an das gehalten, was die Lehrer ihm rieten.
Doch ein Star ist er nicht geworden. Als Gleisbauer hat er sich
abgeschuftet, weil niemand sein Talent erkennen wollte.
Die Männer kommen zurück vom Spazierengehen. Sie haben es nicht weit
geschafft – nur bis zu dem kleinen Tischchen hinter dem Kiosk, an dem eine
Frau Wodka verkauft. Du glaubst ihm doch nicht, fragen sie mich. Wadim
kauft sich noch ein Bier und sieht mich mitleidig an. Ich glaube ihm.
14 Jun 2012
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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