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# taz.de -- Freies Netz und Störerhaftung: „Es herrscht ein Durcheinander“
> Freifunk.net baut ein offenes WLAN in Berlin auf. Von den Problemen mit
> der sogenannten Störerhaftung erzählt Aktivist Jürgen Neumann.
Bild: Ein freies Internet: Freifunk.net arbeitet an technischen Lösungen.
taz.de: Herr Neumann, die Freifunker bemühen sich schon seit Jahren darum,
in Berlin eine offene WLAN-Infrastruktur zu schaffen. Dabei kommt Ihnen
zunehmend die sogenannte Störerhaftung in die Quere. Dabei werden Betreiber
eines Netzes nicht nur für die eigenen Aktivitäten verantwortlich gemacht,
sondern auch dafür, was andere Nutzer unternehmen - beispielsweise beim
verbotenen Hochladen von Musik. Dann drohen Abmahnungen. Was ist hier das
konkrete Problem?
Jürgen Neumann: Verschiedene deutsche Gerichte sind zu der Auffassung
gekommen, dass Privatpersonen ihren WLAN-Anschluss als Präventivmaßnahme
gegen die Störerhaftung verschlüsseln müssen. Obwohl es bereits auch andere
Entscheidungen gibt, haben vor allem diese Urteile dazu geführt, dass es in
Deutschland heute kaum noch offene WLAN-Anschlüsse gibt. Diese
Verunsicherung macht sich natürlich auch bei freifunk.net bemerkbar.
Gerade in Berlin, wo es so eine dichte Bevölkerungsstruktur gibt, findet
man fast allen Orts über ein Dutzend privater WLAN-Netze. Einen Großteil
davon könnte man abschaffen, wenn sich Menschen diese Zugänge wieder teilen
würden. Das würde Kosten und Strom sparen, die Strahlenbelastung
reduzieren, und wir, die Berlinerinnen und Berliner, sowie die zahlreichen
touristischen Gäste, hätten quasi überall freien Zugang zum Internet.
Es braucht deshalb eine klare höchstrichterliche Entscheidung, wie etwa in
Skandinavien, wo man sich im Bezug auf freies WLAN letztlich zu Gunsten der
Allgemeinheit entschieden hat.
Gibt es Beispiele von Freifunkern, die Schwierigkeiten mit Ordnungshütern
oder Anwaltskanzleien bekommen haben?
Ja, auch einige Menschen aus der freifunk.net-Community sind bereits mit
Abmahnungen konfrontiert worden. Wobei man ganz klar zwischen
Ordnungshütern und Abmahnkanzleien unterscheiden muss. Im Strafrecht gibt
es nämlich keine Störerhaftung. Da geht es ausschließlich um die Ermittlung
des Täters. Eine Mithaftung für den Anschlussinhaber gibt es dort bisher
nicht.
Wie kann es sein, dass Internet-Provider freigestellt sind, einzelne
Betreiber offener WLAN-Hotspots aber nicht?
Es herrscht derzeit eben ein ziemliches Durcheinander in der Auffassungen
der verschiedenen Parteien. Fest steht, dass ein Internet- oder
Access-Provider nicht der Störerhaftung unterliegt. Deshalb raten viele
Juristen auch dazu, dass sich gewerblich handelnde Personen und
Organisationen – also z.B. auch Vereine, Cafe- und Hotel-Betreiber – bei
der Bundesnetzagentur als Access-Provider anmelden sollten.
Doch Privatpersonen bleibt dieses Privileg definitiv vorenthalten, obwohl
auch sie streng genommen Access-Provider sind, sobald sie eine andere
Person, ganz unabhängig ob per LAN oder WLAN, über ihren Internetzugang ins
Netz lassen. Das Thema betrifft also auch Bürogemeinschaften, Firmen,
Schulen, private Haushalte, WGs und Hausgemeinschaften und viele andere
Situationen.
Betreiber offener WLANs in Kneipen beispielsweise gehen mittlerweile dazu
über, eine Registrierungspflicht einzuführen. Stirbt damit der anonyme
Internetzugang, der von Datenschützern eigentlich gewollt ist?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn selbst bei der Frage, ob es ein
Recht auf anonymen Internet-Zugang gibt, widersprechen sich derzeit
verschiedene Gerichte, Datenschützer und Parteien. Einige CDU-Politiker
fordern sogar ein definitives Verbot von Anonymität im Internet. Das hätte
fatale Konsequenzen. Jeder Schritt im Internet wäre damit nachvollziehbar.
Übertragen auf die reale Welt hieße das, dass ich mich beim Betreten und
Verlassen meiner Wohnung, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Kaufhäusern,
beim Zeitungslesen, beim Recherchieren meiner Urlaubsreise, beim Lesen
eines Buches, eben bei jeder beliebigen Handlung, persönlich an- und
abmelde. Das ist der gläserne Mensch. Ich hoffe sehr, dass wir das
gesamtgesellschaftlich nicht wirklich wollen. Doch die implizite
Unterbindung freier WLAN-Anschlüsse durch die Auswirkungen der
Störerhaftung gehen eben bereits stark in diese Richtung. Deshalb ist es
unserer Auffassung nach auch so wichtig, etwas dagegen zu unternehmen.
Sie planen nun, ein eigenes WLAN-Netz einzurichten, dass die Störerhaftung
durch einige technische Maßnahmen umgeht. Können Sie für technische Laien
kurz skiziieren, wie das aussehen soll?
Wir werden in dem kommenden Wochen in Teilen Berlins 100 unserer
sogenannten Freifunk-Freedom-Fighter-Boxen aufstellen. Diese speziellen
Access-Points schicken den gesamten Datenverkehr aus dem öffentlichen WLAN
über einen sogenannten VPN-Tunnel zu einem Internet-Provider nach Schweden.
Alle Daten, die ins Internet gehen, erhalten über diesen Umweg die
Absender-Adresse des Providers.
Das kann man sich so vorstellen, als würde ich einen Brief in einem
weiteren Kouvert zunächst zu einer Firma in einer anderen Stadt schicken,
die dort dann das äußere Kouvert entfernt, und den Brief von sich aus und
mit ihrer Absenderadresse versehen zum Empfänger schickt. Die Antwort wird
dann umgekehrt über den selben Weg wieder an mich zurück gesendet, ohne
dass der eigentliche Empfänger etwas davon mitbekommt.
Der Internet-Provider in Schweden stellt uns diese VPN-Zugänge kostenlos
zur Verfügung. Damit bleibt sowohl die Person, die über das freie WLAN-Netz
ins Internet geht, als auch die Person oder Organisation, die ihren
Internet-Anschluss dafür hier in Berlin zur Verfügung stellt, anonym. Da
der „offizielle Absender“ der Daten nun ein Internet-Provider ist, gibt es
keine Störerhaftung. So einfach ist das.
14 Jun 2012
## AUTOREN
Ben Schwan
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
Die Linke
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