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# taz.de -- Antidiskriminierung verkehrt: Doppelt und dreifach erniedrigt
> Überall gibt es Beratungsstellen: für Frauen, für Männer, gegen Gewalt,
> gegen Rassismus. Stellen, die verbinden und mehreren Gruppen helfen, gibt
> es kaum.
Bild: Auch Diskriminierte grenzen sich ab: Homosexuelle bei CSD in Hannover.
BERLIN taz | Das Quartier Vauban ist ein schicker und teils autofreier
Stadtteil in Freiburg. Es gibt dort exklusive Eigentumswohnungen und
Mehrgenerationenhäuser, viele Studenten und mehr Kinder als anderswo in der
Republik. Stadtsoziologen und Demografen dürfte das froh stimmen.
Antidiskriminierungsexperten hingegen sind irritiert.
„Dort leben keine Migranten“, sagt Gerhard Tschöpe, Mitarbeiter bei Pro
Familia in Freiburg. Mit anderen Worten: In Vauban hat sich die weiße
Mittelschicht ein eigenes Biotop geschaffen. Hierher zieht nur, wer auch
dazugehört. In die Sexual- und Familienberatungsstelle von Tschöpe aber
kommen auch viele MigrantInnen und Menschen mit Behinderungen. Sie suchen
Hilfe, weil sie sich vielfach ausgegrenzt und diskriminiert fühlen. „In
Freiburg gibt es keinen offenen Rassismus auf der Straße“, sagt der
Pädagoge und Sozialarbeiter: „Hier läuft Diskriminierung subtiler ab, etwa
durch bewusste Nichtintegration.“
Ein Satz, den die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) in Berlin
öfter hört. Zum Beispiel von Gökay Sofuoglu von der Stuttgarter „Türkisch…
Gemeinde in Baden-Württemberg“. „Wir haben viel mit unterschwelligem
Alltagsrassismus zu tun“, sagt Gökay Sofuoglu: So glaubten viele
MigrantInnen, Berufe wie Polizist und Lehrer seien ausschließlich den
Deutschen vorbehalten. „Sie denken das, weil es kaum Migranten im
öffentlichen Dienst gibt“, sagt der Sozialarbeiter.
Das will die ADS nicht länger hinnehmen und hat gerade ein Programm
gestartet, mit dem jetzt bundesweit Netzwerke gegen Diskriminierung
gegründet werden. Zwar gibt es überall in der Republik Beratungsstellen,
etwa gegen Homophobie, Diskriminierung am Arbeitsplatz und wegen
Behinderung, es gibt Antirassismus- und Antigewaltprojekte und Projekte
gegen rechts. Aber häufig sind sie auf eine Diskriminierungsart oder
thematisch ähnlich gelagerte Herabwürdigungen ausgerichtet, sagt
ADS-Sprecher Sebastian Bickerich: „Die Neuen Netzwerke hingegen sollen
übergreifend arbeiten.“
## Eine Beratungsstelle für alles
Zum Beispiel das Netzwerk „TransInterQueer“ in Berlin, das eins von
insgesamt zehn neuen Netzwerken ist, die die ADS bis April 2013 mit
insgesamt 415.000 Euro fördert. TransInterQueer berät vor allem trans- und
intersexuelle Menschen und demnächst auch TürkInnen. „Diejenigen, die zu
uns kommen, erleben meist mehrere Diskriminierungen gleichzeitig“, sagt
Juliette Valentin Emerson: wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer
Herkunft, ihrer Religion. Die neue Anlaufstelle will breite Kompetenz
bieten, sodass Betroffene nicht in mehrere Beratungsstellen laufen müssen.
„Die Angebote sollten trotzdem niedrigschwellig sein“, fordert ADS-Chefin
Christine Lüders. Und: Überall müsse es Beratungsstellen geben. Bislang
sind Antidiskriminierungsprojekte ungleich im Land verteilt, das zeigt der
Antidiskriminierungsatlas, den die ADS voriges Jahr erstellt hat. Vor allem
im Süden, in Bayern und in Baden-Württemberg, sowie im Osten gebe es „weiße
Flecken“, sagt Lüders.
Wie Diskriminierung unbewusst im Alltag von Menschen wirkt, wissen die
MitarbeiterInnen des „Antidiskriminierungsnetzwerkes Niedersachsen“ nicht
nur aus ihrer Beratungspraxis. Sie haben sie vor wenigen Tagen am eigenen
Leib erfahren, als sie zum ersten Netzwerk-Treffen nach Berlin fuhren. Die
beiden ProjektmitarbeiterInnen kamen zu spät, am Bahnhof Friedrichstraße
waren die Fahrstühle kaputt. Für Constanze Schnepf, eine der beiden
BeraterInnen, geht es ohne Bahnhofslift nicht weiter, sie sitzt im
Rollstuhl.
21 Jun 2012
## AUTOREN
Simone Schmollack
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