# taz.de -- Fünf Jahre Gleichbehandlungsgesetz: "Sanktionen müssen weh tun" | |
> Ein eigenes Klagerecht, mehr Personal und ein höheres Budget für die | |
> Antidiskriminierungsstelle in Berlin. Das fordert Christine Lüders - die | |
> Leiterin. | |
Bild: Die Menschen tun zu wenig gegen Diskriminierungen, sagt Christine Lüders. | |
taz: Frau Lüders, bevor das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor | |
fünf Jahren in Kraft trat, wurde vielerorts versucht, es zu verhindern. | |
Arbeitnehmer nannten es "bürokratisches Monster", Kanzlerin Merkel | |
"Jobkiller". Beseitigt das Gesetz, das Diskriminierungen aller Art | |
verhindern soll, Arbeitsplätze? | |
Christine Lüders: Natürlich nicht, diese Befürchtungen haben sich als | |
unbegründet erwiesen. Es ist doch keine Bürokratie, wenn Unternehmen ihr | |
Auswahlverfahren diskriminierungsfrei gestalten müssen. Und dass irgendeine | |
Stelle wegen des AGG nicht besetzt wurde, ist mir auch noch nicht zu Ohren | |
gekommen. | |
Jede und jeder kann gegen alles klagen? | |
Klagen können Menschen, die in der Arbeitswelt oder bei Alltagsgeschäften | |
diskriminiert wurden. Das Problem ist eher, dass die Menschen zu wenig | |
gegen Diskriminierungen vorgehen. | |
Warum? | |
Zum einen wissen noch zu wenige Menschen von dem Gesetz, zum anderen | |
scheuen viele das persönliche Prozessrisiko. | |
Haben Sie zu wenig Werbung gemacht? | |
Wir haben zwei erfolgreiche Kampagnen durchgeführt und uns in den | |
vergangenen anderthalb Jahren bekannter gemacht. Aber 300.000 Euro für | |
PR-Zwecke reichen leider nicht aus, um unseren gesetzlichen Auftrag | |
ausreichend zu erfüllen. | |
Möglicherweise gibt es gar nicht so viel Diskriminierung wie angenommen? | |
Diskriminierung gibt es jede Menge. Es trauen sich nur nicht so viele | |
Menschen, beispielsweise gegen ihren Arbeitgeber vorzugehen. Sie wissen: | |
Ich allein gegen das riesige Unternehmen, das schaff ich nicht. Viele | |
suchen dann unseren Rat, wir unterstützen sie bei den Klagen. | |
Die ADS selbst hat aber kein Klagerecht. | |
Zurzeit können wir nur schlichten. In manchen Fällen reicht das schon. Wenn | |
ein Brief mit dem ADS-Siegel in einem Unternehmen eintrifft, hat das oft | |
Wirkung und es kommt zu einer gütlichen Einigung. Stellt ein Unternehmen | |
sich aber stur, sind uns die Hände gebunden. Deshalb brauchen wir ein | |
Klagerecht für die ADS und die Antidiskriminierungsverbände. | |
Wo wird am häufigsten diskriminiert? | |
Die meisten Klagen finden im Bereich der Arbeitswelt statt: ältere Frauen, | |
die in ihrem Unternehmen bei einer Beförderung nicht berücksichtigt wurden, | |
Menschen mit Behinderungen, die für Jobs abgelehnt wurden. Bei | |
Alltagsgeschäften gibt es zum Beispiel Vorfälle in Diskotheken und | |
Fitnessstudios: Dort werden häufig junge Männer wegen ihres vermeintlich | |
"ausländischen Aussehens" nicht eingelassen. Diesen Menschen helfen wir mit | |
Beratung. | |
Wie machen Sie das? | |
Wir fordern vom Diskobesitzer eine Stellungnahme. Viele sehen dann ein, | |
dass sie falsch gehandelt haben. Wenn das nicht wirkt, bleibt den | |
Betroffenen nur der Klageweg. Außerdem brauchen wir höhere Sanktionen. | |
Wie hoch kann so ein Schmerzensgeld sein? | |
In Oldenburg musste kürzlich ein Diskobetreiber einem Mann, der wegen | |
seines Migrationshintergrunds nicht reingelassen wurde, 500 Euro | |
Entschädigung zahlen. Das ist in meinen Augen zu wenig. | |
Unternehmen wie Siemens, wo sich auch oft MitarbeiterInnen diskriminiert | |
fühlen, lachen über eine solche Summe. | |
Für ein Großunternehmen müssen andere Summen gelten. Wenn eine | |
Entschädigungszahlung nicht abschreckt, macht sie keinen Sinn. | |
Vor einem Jahr haben Sie die Kampagne "Anonymisiertes Bewerbungsverfahren" | |
gestartet. Damals haben viele Firmen befürchtet, dass es nicht praktikabel | |
sei. | |
Wir wissen heute: Es funktioniert. Unser Formblatt, das wir extra dafür | |
entwickelt haben, wird von BewerberInnen und von Unternehmen genutzt. Die | |
Stadt Celle beispielsweise arbeitet damit und ist hochzufrieden. Dort hat | |
ein hochqualifizierter halbblinder Mann eine Stelle bekommen, der vorher | |
nirgendwo eine Chance hatte. Da stand die Qualifikation im Vordergrund und | |
nicht die Person. | |
Was muss noch verbessert werden? | |
Wir müssen personell besser ausgestattet werden. Wir haben 26 | |
MitarbeiterInnen. In England arbeiten bei der Antidiskriminierungsstelle | |
250 Menschen. Darüber hinaus müssen die Opfer mehr Zeit bekommen, gegen | |
eine Benachteiligung rechtlich vorzugehen. | |
Bisher gilt dafür im AGG eine Frist von zwei Monaten. | |
Die reichen nicht. Oft wenden sich Menschen an uns, die Monate vorher | |
diskriminiert wurden. | |
INTERVIEW: | |
17 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
## TAGS | |
Pilotprojekt | |
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