# taz.de -- Fünf Jahre Gleichbehandlungsgesetz: Die Ungleichheit vor Gericht | |
> Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) feiert den 5. Geburtstag. | |
> Eine Bilanz und ein Überblick über spektakuläre, kuriose und wichtige | |
> Klagefälle. | |
Bild: Sule Eisele durfte nach dem Mutterschutz nicht an ihren alten Arbeitsplat… | |
BERLIN taz | Für Furore sorgten die Frauen. Ihre Klagen nach dem | |
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) waren die Spektakulärsten in den | |
fünf Jahren, in denen das Gesetz nun existiert. [1][Sule Eisele], die die | |
R&V-Versicherung auf eine halbe Million Euro verklagte, weil die sie nach | |
der Babypause auf einen schlechteren Job abschieben wollte. Oder Silke | |
Kühne, Personalchefin bei der Gema, der ein Gericht knapp 50.000 Euro | |
Entschädigung zusprach, weil sie bei der Beförderung übergangen wurde. Eine | |
schwangere Sony-Managerin erstritt aus demselben Grund eine Entschädigung. | |
Es schien, als würde das AGG die Republik verändern. | |
Doch ganz so einfach ist es nicht: Zwei dieser Verfahren sind noch in der | |
Revision, zum Teil wurde die Argumentation der Klägerinnen von höheren | |
Gerichten bereits zurückgewiesen - im Moment kann man allenfalls von | |
Teilerfolgen sprechen. Was sich dagegen unzweifelhaft sagen lässt: Die von | |
den GegnerInnen des AGG befürchtete "Klageflut" fiel aus. Die genaue Anzahl | |
der AGG-Prozesse lässt sich nicht so leicht feststellen, in der | |
Urteilsdatenbank Juris, die nicht vollständig ist, finden sich knapp 600 | |
einschlägige Urteile: Sie kommen eher als ruhiger Bach denn als Flut daher. | |
Dennoch beginnt das AGG ein Umdenken einzuleiten. "Es gibt jetzt die | |
Möglichkeit, Diskriminierung vor Gericht zu verhandeln, das ist ein guter, | |
wichtiger Schritt", meint Vera Egenberger vom Büro zur Umsetzung der | |
Gleichbehandlung, das AGG-Klagen unterstützt. Dem aber, daran lässt sie | |
keinen Zweifel, weitere folgen sollten. So sei ein Verbandsklagerecht für | |
NGOs nötig, weil Einzelmenschen sich den Rechtsweg oft nicht zutrauten. | |
Die Gegner des AGG hatten das Gegenteil befürchtet, Klagewütige würden | |
behaupten, sie seien diskriminiert worden, nur weil sie zu einer der im | |
Gesetz genannten sechs Gruppen gehören. Schon älter ist das Phänomen, dass | |
Menschen sich massenhaft auf nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene | |
Stellen bewerben, um Entschädigungen zu kassieren. Neuerdings nennt man sie | |
AGG-Hopper. Glaubt man der Fallsammlung auf der Website | |
[2][agg-hopping.de], dann ist das eine rare, ausschließlich männliche | |
Spezies, gern mit Jurastudium, die sich mit Vorliebe auf Dutzende Posten | |
als "Sekretärin" bewirbt. Ohne Erfolg. Die Gerichte bezweifeln regelmäßig | |
die Ernsthaftigkeit der Bewerbung. | |
## Das Gesetz hat den Blick auf das Alter verändert | |
Einen kleinen Sturmlauf erlebte auch die gängige Formulierung in | |
Stellenanzeigen, dass man besonderes Interesse an der Bewerbung von Frauen | |
habe. Zahlreiche Männer fühlten sich davon diskriminiert. Doch die Gerichte | |
meinen, dass diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, wenn man eine | |
ausgeglichenere Personalstruktur anstrebt. | |
Verändert hat das AGG den Blick auf das Alter. So bekamen etwa ältere | |
BewerberInnen Recht, wenn sie beklagten, dass per Ausschreibung nach einer | |
"jungen" Kraft gesucht wird. Überprüft wurden auch viele | |
Altershöchstgrenzen: Bei PilotInnen etwa ist eine Grenze von 60 Jahren aus | |
Sicht der Gerichte gerechtfertigt, beim Kabinenpersonal dagegen nicht. | |
Diskriminierend sind alle Regelungen, nach denen die Vergütung aufgrund des | |
Lebensalters steigt, wie es etwa im alten BAT vorkam. | |
Entscheidungen zum Thema sexuelle Identität waren zwar spektakulär, wären | |
aber auch ohne AGG gefallen, weil sie meist mit Artikel 3 des Grundgesetzes | |
begründet werden. Die Bundesgerichte verboten in weiten Teilen die | |
Ungleichbehandlung von eingetragener Partnerschaft und Ehe: Verpartnerte | |
haben einen Anspruch auf Ehezulagen, Auslands- und Familienzuschläge und | |
die Hinterbliebenenversorgung für Ehepartner. Auch darf Verpartnerten die | |
Mitversicherung in der Krankenkasse nicht verwehrt werden. | |
## Ossitum nicht als ethnische Zuschreibung anerkannt | |
Behinderte haben nun ein Gesetz mehr, mit dem sie etwa ihre Einladung zum | |
Bewerbungsgespräch einklagen können. Doch die Gerichte schauen genau hin: | |
Auch hier sind AGG-Hopper unterwegs, deren Behinderung vielleicht für die | |
konkrete Tätigkeit gar keine Rolle spielt. | |
Ethnische Minderheiten haben nur sehr spärlich vom AGG vor Gericht Gebrauch | |
gemacht. [3][Gewonnen hat etwa ein dunkelhäutiger Jurastudent, der in einer | |
Disko abgewiesen wurde]. Gute Chancen haben auch BewerberInnen mit | |
Migrationshintergrund, die für eine Stelle ausreichend Deutsch sprechen | |
können, aber mit dem Hinweis, man wolle einen Muttersprachler, abgewiesen | |
werden. Berühmt wurde die Ossi, deren Ossitum nicht als ethnische | |
Zuschreibung zählt und die deshalb das AGG nicht nutzen kann. | |
Beim letzten Merkmal "Religion und Weltanschauung" haben sich die | |
Kopftuchlehrerinnen die Zähne ausgebissen: Mit dem AGG lassen sich die | |
gesetzlichen Kopftuchverbote nicht aushebeln. Ansonsten bietet die | |
"Weltanschauung" Kurioses: So versuchte ein Ex-Stasi-Mitarbeiter seine | |
Diskriminierung wegen seiner Weltanschauung nachzuweisen, als er wegen | |
befürchteter Konflikte mit Stasi-Opfern nicht eingestellt wurde. Er verlor. | |
17 Aug 2011 | |
## LINKS | |
[1] /Diskriminierung-einer-Mutter/!25093/ | |
[2] http://agg-hopping.de | |
[3] /Gerichtsurteil/!63228/ | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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