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# taz.de -- Machtwechsel in Ägypten: Der Ersatzmann
> Der Muslimbruder Mohammed Mursi ist Ägyptens neuer Präsident. Vor der
> Wahl gab er sich moderat. Für viele ist er nur das kleinere Übel.
Bild: Mohammed Mursi hat mit 51,7 Prozent der Stimmen gewonnen.
BERLIN taz | Für die ägyptischen Muslimbrüder war Mohammed Mursi nur die
zweite Wahl. Am letzten Tag der Kandidatenregistrierung für die
Präsidentschaftswahlen reichte er seine Unterlagen ein, nachdem Bedenken
aufgekommen waren, Khairat al-Schater, Favorit der Muslimbrüder, könne
disqualifiziert werden.
In der Tat wurde der von der Wahlkommission abgelehnt, weil er unter
Mubarak vorbestraft wurde. Dies führte prompt zu zahlreichen Witzen im
Internet, wo Mursi als „Ersatz“ oder „Schaters Doppelgänger“ bezeichnet
wurde. Doch die Muslimbrüder mobilisierten trotz des erzwungenen
personellen Wechsels ihren gesamten wahlkampferprobten Apparat für Mursi
und verhalfen ihm zum Sieg.
Im Gegensatz zu anderen führenden Muslimbrüdern hat Mursi nicht Jahrzehnte
seines Lebens für die unter Mubarak verbotenen Muslimbrüder geopfert. Zwar
saß er zweimal im Gefängnis – sieben Monate im Jahr 2006, weil er zusammen
mit anderen Muslimbrüdern eine Gruppe Richter unterstütze, die gegen die
gefälschten Wahlen von 2005 protestierten, und noch einmal in den letzten
Tagen des alten Regimes.
Doch obwohl er schon 1979 der Organisation beitrat, errang er außerhalb der
Muslimbrüder erst Bekanntheit, nachdem er 2000 als Unabhängiger ins
Parlament gewählt wurde.
## Aus der bäuerlichen Mittelschicht
Mursi, der verheiratet ist und vier Söhne, eine Tochter und drei
Enkelkinder hat, wurde 1951 im Bezirk Sharkiya im östlichen Nildelta
geboren. Er entstammt einer Familie der bäuerlichen Mittelschicht. Ende der
60er Jahre zog er nach Kairo, wo er Ingenieurwissenschaften studierte.
Nach seinem Examen absolvierte er den Militärdienst und machte in Kairo
seinen Master. Anschließend erhielt er ein Promotionsstipendium für die
USA, wo er sich auf Raketenwissenschaften spezialisierte. Nach seiner
Rückkehr nach Ägypten leitete Mursi von 1985 bis 2010 die Fakultät für
Ingenieurwissenschaften der Universität in Zagazig im Nildelta.
Während dieser Zeit begann seine parallele Karriere bei den Muslimbrüdern,
zunächst in der religiösen, dann in der politischen Abteilung, bis er 1995
Mitglied des Führungsrats, des höchsten Entscheidungsgremiums der
Organisation, wurde. Nach der Verhaftung von al-Shater 2005 wurde er dessen
Nachfolger als Sprecher der Muslimbrüder. Diesen Posten legte er nieder,
als er am 30. April 2011 nach dem Sturz Mubaraks zum Vorsitzenden der
Freiheits- und Gerechtigkeitspartei ernannt wurde. Es war das erste Mal in
ihrer 80-jährigen Geschichte, dass die ägyptischen Muslimbrüder eine Partei
gründeten.
Inhaltlich gilt Mursi als sozial konservativ. Während seiner Zeit als
Abgeordneter – einer der aktivsten unter den Muslimbrüdern – geißelte er
wiederholt die Korruption unter den Amtsträgern, forderte politische
Reformen und die Aufhebung des Notstands. Diese Auftritte machten ihn auch
einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Er kritisierte die Regierung aber
auch dafür, dass sie Zeitschriften mit „Nackten“ auf dem Titel erlaube,
verurteilte „obszöne“ Musikvideos und bezeichnete die Wahl einer Miss Egypt
als unvereinbar mit den sozialen Normen und der Scharia.
## „Moderater islamischer Bezug“
Während des Wahlkampfs gab sich Mursi konziliant. Als Ziel bezeichnete er
einen „demokratischen, zivilen und modernen Staat“ mit einem „moderaten
islamischen Bezug“, der Religionsfreiheit ebenso respektiere wie
friedlichen Protest. Die Durchsetzung von islamischen
Bekleidungsvorschriften lehnte er ab.
Er legte eine gewisse politische Offenheit an den Tag, indem er andeutete,
er werde nicht unbedingt einen Vertreter der stärksten Fraktion – der
Muslimbrüder – im inzwischen aufgelösten Parlament zum Regierungschef
machen und Repräsentanten der christlichen Kopten in seinen Beraterkreis
aufnehmen oder zum Vizepräsidenten machen.
Wegen seiner Funktion als Parteivorsitzender unterhielt Mursi nicht nur
regelmäßige Kontakte zum herrschenden Militärrat, sondern nach dem Sturz
Mubaraks auch zu Teilen der Tahrir-Jugend sowie jungen Muslimbrüdern, die
mit der Politik der konservativen Führung nicht einverstanden waren. Doch
Gesprächsrunden, die zu einer Annäherung führen sollten, blieben ohne
Ergebnis.
24 Jun 2012
## AUTOREN
Beate Seel
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