# taz.de -- Regimekritiker in Kuba: Der Mangel der Alternativen | |
> Von Kunst kann in Kuba niemand leben, Regimekritiker werden verhaftet. | |
> Ein Besuch bei vier Menschen, die sich den Mund trotzdem nicht verbieten | |
> lassen. | |
Bild: Verordneter Jubel: Wer nicht mitmachen will, bekommt auf Kuba Ärger. | |
HAVANNA taz | Um halb zehn steht Luis Eligio in der Schlange, zeigt seinen | |
Pass vor und hofft auf gute Nachrichten. Direktion für Einreise und | |
Ausreise in Kuba im ehemaligen Viertel der Mittelschicht, in Vedado. Die | |
Schlange der Wartenden zieht sich bis auf die Straße. Die meisten wollen | |
raus, aber Kuba lässt sie nicht. Laut Schätzung der UN erlaubt die | |
Regierung Castro jedes Jahr 38.000 Kubanern, die Insel zu verlassen. | |
Luis Eligio, Poet und Musiker im Widerstand gegen das Regime, ist ein | |
Sonderfall. Er war schon in München, Prag, Barcelona und Århus. Immer auf | |
Einladung und immer beginnt die Reise mit Warten. Seit über drei Monaten | |
plant er die nächste. | |
Amerikanische Organisationen haben Eligio und zwei andere Mitglieder des | |
Künstlerkollektivs Omnizonafranca eingeladen, ihre Gedichte in den USA | |
vorzutragen. Eine Freundin hat ihm in Washington eine Einladungskarte | |
besorgt. 150 US-Dollar hat die gekostet, für die Ausreisedokumente in Kuba | |
muss er noch mehr zahlen. | |
Wer aus Kuba weg will, braucht Beziehungen, Geld und gute Nerven – bis er | |
den Stempel in den Pass bekommt. Ein Tintenmuster, das Freiheit bedeutet. | |
Doch Eligio muss weiter warten, die Beamtin mit dem Stempel hat ihn wieder | |
weggeschickt, auf die Plastikstühle im Warteraum. In der Ecke surrt ein | |
Ventilator. Er hat ein blaues Tuch um den Kopf gewickelt, die Fingernägel | |
trägt er lang und schwarz lackiert. | |
## 14 Euro Monatslohn | |
Dann fällt sein Name. Wieder steht Eligio vor dem Schalter, diesmal knallt | |
der Stempel mit der roten Farbe auf die Seite. Bis zum 30. September darf | |
er jetzt nach Amerika. Geld verdient er mit seinen Auftritten nicht. Vor | |
sechs Jahren ist der 40-Jährige wieder bei seinen Eltern eingezogen. Ein | |
Kubaner verdient durchschnittlich 425 kubanische Pesos, rund 14 Euro im | |
Monat. | |
Auch der Graffiti-Künstler Danilo Maldonado kann von seiner Arbeit nicht | |
leben. Bislang hat er nur ein Bild verkauft, für 20 kubanische Pesos. In | |
seiner linken Armbeuge ist der kleine Prinz eintätowiert, auf seiner linken | |
Brust trägt er das Bild von Laura Pollin, der verstorbenen Anführerin der | |
Damen in Weiß, die sich für ihre Familienangehörigen einsetzten, die | |
politische Gefangene waren. | |
Maldonado träumt davon, irgendwann in einem freien Land von seiner Kunst | |
leben zu können. „Die Leute überleben, aber ich weiß nicht, wie“, sagt e… | |
Manchmal muss die Kunst auch warten, wenn er keinen Karton hat, um sie | |
darauf festzuhalten, keine Spraydosen, um sie in Havanna zu versprühen. | |
Ihm bleibt dann nur, seine Flyer zu drucken und in der Stadt zu verstreuen. | |
Sein violettes T-Shirt, die Hose von Guess und die Adidas-Turnschuhe, alles | |
Geschenke vom Onkel aus Spanien. Den Laptop hat ihm ein ausländischer | |
Künstler geschenkt. Er wischt über das silberne Gehäuse, als sei es sein | |
Auto. | |
## Vom Mangel ist genug da | |
Wie alle auf Kuba ist Maldonado auf Geld aus dem Ausland angewiesen. Der | |
ehemals größte Zuckerexporteur der Welt ist wieder ein Pflegefall. Die | |
Technik der Maschinen ist veraltet, die einst fruchtbaren Ländereien vom | |
Maribñ-Busch überwuchert, zudem müsste in Bewässerungsanlagen investiert | |
werden. Die großen Markthallen stehen leer. In den Bäckereien ist noch vor | |
der Mittagspause kein Brot mehr zu bekommen. Lediglich vom Mangel ist genug | |
da. | |
Es gibt viele parallele Kubas, das der Touristen etwa und das heimliche, | |
das sich in den Wohnungen der Intellektuellen abspielt. Unweit der Calle | |
Neptuno im Zentrum Havannas liegt das Apartment von Gabriel Calaforra. | |
Jeden Montag treffen sich bei dem 79-Jährigen Studenten zu politischen | |
Diskussionen. Calaforra serviert dann Tee und Kekse. | |
Nach der Revolution war er Kubas Botschafter in Dänemark und hat in New | |
York für die Vereinten Nationen gearbeitet. „Bislang hat die Regierung | |
immer gesagt ’Macht euch keine Sorgen, wir geben euch alles‘“, sagt er. So | |
hätten Kubaner leben können, ohne zu arbeiten. Er sitzt in seinem Sessel, | |
sein Hund döst auf dem Sofa, hinter ihm auf dem Tisch stehen Kisten voll | |
mit Korrespondenz aus aller Welt neben dicken Nachschlagewerken. | |
Die Jugend müsse endlich anfangen, über ihre Zukunft nachzudenken. Auf Kuba | |
gibt es nur die Gegenwart. „Früher war nur die Regierung korrupt, jetzt | |
sind wir es alle“, sagt Calaforra. Er gießt sich Tee in eine zierliche | |
Tasse mit Blumenmuster. Wie die meisten Kubaner kauft er seine Waren auf | |
dem Schwarzmarkt. Die Pulvermilch bekommt er von einem Freund, sobald sie | |
geliefert wird. „Weil ich ihn direkt bezahlen kann“, sagt er. Der | |
Schwarzmarkt ist kein Ort, sondern ein Netzwerk an Beziehungen. | |
## Material und Einladungen aus dem Ausland | |
Netzwerke hat auch die intellektuelle Szene für sich entdeckt. Ihre | |
Frontfrau, die Journalistin und sonntaz-Kolumnistin Yoani Sánchez, bekommt | |
Nachrichten von Lesern aus der ganzen Welt. „An dem Tag, als Kim Jong Il | |
starb, ist mein Handy fast explodiert“, sagt Sánchez. | |
Luis Eligio, Danilo Maldonado und Yoani Sánchez gehören zu den | |
privilegierten Kubanern. Sie erhalten Material zum Arbeiten, Einladungen, | |
das Land zu verlassen, und Preisgelder. Botschaften erlauben ausgewählten | |
Personen, ihre Beiträge hochzuladen. Sechs konvertierbare Pesos kostet eine | |
Stunde Internet auf Kuba, 4,56 Euro – mehr als ein Drittel des | |
durchschnittlichen Monatsgehalts. | |
Viele Widerständler verteilen ihre Projekte deshalb auf CDs oder USB-Sticks | |
an die Bürger. Ein totalitärer Staat sitzt gegenüber dem Widerstand am | |
längeren Hebel. Der Graffiti-Künstler Danilo Maldonado lässt sein Handy zu | |
Hause, wenn er in die Stadt geht, „damit sie mich nicht orten können“. | |
Yoani Sánchez versteckt sich nicht. Schon von weitem leuchtet der Buchstabe | |
Y neben ihrem Balkon im obersten Stockwerk eines Hochhauses in der Nähe der | |
Plaza de la Revolucion. Im Aufzug holt Danilo Maldonado einen schwarzen | |
Edding aus der Tasche. Rasch malt er seinen Schriftzug quer über die Tür. | |
In ihrer Wohnung hängt Sánchez gerade die Wäsche ab. Dann verschwindet sie | |
am Ende des Flurs und kommt mit einem Packen Kartons zurück. Maldonados | |
neue Porträtserie ist gesichert. | |
## Folgen des Aufbegehrens | |
Als Präsident Raul Castro im Jahr 2010 rund 130 politische Gefangene | |
entließ, sah es so aus, als werde er der freien Meinungsäußerung eine | |
Chance geben. Im Jahr 2012 verliert seine Arbeit, wer aufbegehrt – wird | |
beobachtet und verhaftet. Nach Angaben von Amnesty International sitzen | |
über fünfzig Regimekritiker in Haft, weil sie friedlich ihre Meinung | |
äußerten. | |
Kurz nach der Abreise Papst Benedikts XI. Ende März etwa nahm die Polizei | |
den Systemkritiker José Daniel Ferrer gefangen. Er wurde nach seinem | |
Hungerstreik wieder freigelassen und steht jetzt unter Hausarrest. Die | |
Regierung setzt auf willkürliche Kurzhaft statt langer Prozesse. Allein | |
2011 waren es nach Angaben der inoffiziellen Nachrichtenagentur Hablemos | |
Press rund 3800. | |
Danilo Maldonado hat schon ein paar Nächte in der Polizeistation verbracht, | |
Yoani Sánchez zwei solcher Express-Entführungen erlebt – die letzte im Jahr | |
2009. Manchmal sieht sie ihr Gesicht im staatlichen Fernsehen, darunter | |
stehen Beschimpfungen: „Ich habe keine Chance, mich zu verteidigen.“ Doch | |
es ändere sich etwas bei den Kubanern. „Noch vor dreißig Jahren war eine | |
Person wie ich vergleichbar mit einem Leprakranken“, sagt Sánchez. Jetzt | |
wird sie auf der Straße angesprochen. | |
Wie der Wandel aussehen soll und wann er kommt, weiß niemand. „Ich denke, | |
dass der nächste Wirtschaftsminister gerade irgendwo in den Straßen | |
Havannas Baseball spielt“, sagt sie. Die Bloggerin und Journalistin sieht | |
ihre Bestimmung darin, zu informieren und Licht auf die bröckelnden Mauern | |
mit den Konterfeis der Castros und Che Guevaras zu werfen. | |
Irgendwann will sie die erste unabhängige Zeitung Kubas gründen. „Wenn du | |
jeden Tag an der gleichen Ecke vorbeigehst, fällt dir irgendwann nicht mehr | |
auf, wie hässlich sie ist“, sagt Sánchez, „die Kubaner wissen das alles, | |
nur vergessen sie es.“ | |
25 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Désirée Therre | |
## TAGS | |
Musik | |
Reiseland Kuba | |
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