| # taz.de -- Italien zieht ins Halbfinale ein: Auf einmal spielen sie Fußball | |
| > Andrea Pirlo ist nach seinem unverschämt coolen Elfmeter unverschämt | |
| > cool. Trainer Prandrelli hingegen zeigt sich regelrecht besoffen vom | |
| > Auftritt seines Teams. | |
| Bild: Pirlo (M.) steht am Ende einer großen Karriere. | |
| KIEW taz | Da steht er nun nach der Arbeit, beantwortet ein paar Fragen, | |
| sagt, wie glücklich er ist, und sieht doch gar nicht so aus, als läge ein | |
| wunderbarer Abend hinter ihm. Andrea Pirlo ist 33 Jahre alt, 2006 war er | |
| Weltmeister, zweimal hat er die Champions League gewonnen, und steht am | |
| Ende einer großen Karriere. Am Abend nach dem Einzug ins EM-Halbfinale, | |
| nach dem Sieg im Elfmeterschießen gegen England, fehlt ihm alles | |
| Euphorische. | |
| Am Donnerstag spielen die Italiener in Warschau gegen Deutschland um den | |
| Einzug ins Finale. Pirlos Kommentar dazu: „Der Bessere möge gewinnen.“ Ein | |
| bisschen grinsen muss er jetzt doch. Er weiß, so etwas können | |
| Staatspräsidenten sagen oder Kirchenführer. Aber doch nicht er. Viel mehr | |
| als Gianluigi Buffon, der den Elfmeter von Ashley Cole gehalten hat, war er | |
| der Held des italienischen Siegs und steht da, als hätte er zum 3.426. Mal | |
| nach einer anstrengenden Schicht die Werkhalle verlassen. | |
| Dabei war der Abend alles andere als normal. Dabei hat er alles andere als | |
| normal agiert. Selten wird ein Elfmeterschießen durch die Aktion eines | |
| einzelnen Schützen entschieden. Andrea Pirlos unverschämt cooler Chip, mit | |
| dem er Englands Keeper Joe Hart überwunden hat, jener unheimlich lässig | |
| aussehende Schupfer hat die englischen Schützen, die nach ihm dran waren, | |
| verunsichert. | |
| „Ich glaube, ich habe sie damit ein bisschen unter Druck gesetzt“, sagte | |
| Pirlo hinterher. Auch wenn er dreinblickte, als wäre gar nichts besonderes | |
| passiert an diesem Abend in Kiew, wusste er ganz genau, dass er der | |
| Matchwinner war in diesem Spiel, in dem 120 Minuten lang kein Tor gefallen | |
| war und das dennoch eines der besten war, das dieses Turnier gesehen hat. | |
| ## So viele Torschüsse? | |
| Stolz war der italienische Trainer nach diesem Spiel. Er fand seine | |
| Mannschaft toll. Und Recht hatte er. Dass seine Spieler immer weiter | |
| angerannt sind, dass sie 120 Minuten lang versucht haben, die konzentriert | |
| und beinahe ohne jeden Fehler agierende englische Abwehr zu überwinden, | |
| auszuspielen, ein Tor zu erzielen, hätte er vielleicht selbst so nicht | |
| erwartet. Als er hört, wie oft die Italiener auf das Tor geschossen haben, | |
| staunt er: „35 Mal? Das kommt mir echt viel vor.“ | |
| Er sieht sich und seine Arbeit damit bestätigt. „Darauf haben wir zwei | |
| Jahre lang hingearbeitet“, sagte er. „Dass wir ein ein Ergebnis halten | |
| können, das war schon immer so. Wir wollten zeigen, dass wir auch Fußball | |
| spielen können.“ Fußball spielen, Fußball spielen, Fußball spielen. | |
| Prandrelli war regelrecht besoffen vom Auftritt seines Teams. Er hat den | |
| Italienern endlich, endlich, endlich das Fußball spielen beigebracht. Das | |
| ist für ihn die eigentliche Sensation. | |
| Das Halbfinale bei einer EM zu erreichen, okay, das ist auch nicht | |
| schlecht. Aber dass Italiener Fußball spielen können, das fand er einfach | |
| irre. Und klar, es gehöre auch Glück dazu, wenn man ein Spiel im | |
| Elfmeterschießen gewinnt, aber: „Der Sieg war verdient.“ | |
| Dass er einen 33-jährigen Mann vor der Abwehr stehen hat, der von hinten | |
| heraus das Spiel aufzieht wie in seinem besten Jahr, dem Weltmeisterjahr | |
| 2006, dafür ist der Trainer dankbar. „Das sind die Spieler, die immer | |
| wissen, was sie tun müssen.“ So hat er auch den Elfmeter gesehen. „Viele | |
| Spieler können das nicht“, sagte Prandelli. Jetzt erwartet er mehr. „Kann | |
| gut sein, dass wir gegen Deutschland noch besser spielen.“ Klar, er meinte | |
| Fußball spielen. Denn auch wenn die Deutschen für ihn die Favoriten sind, | |
| vor allem weil sie zwei Tage mehr zur Vorbereitung haben, er will seine | |
| Kicker wieder mitspielen lassen. | |
| ## Die Engländer schleichen davon | |
| Und während Prandelli das sagte, schlichen die ersten englischen Spieler, | |
| die der italienische Coach für ihren taktisch so disziplinierten Auftritt | |
| gelobt hatte, zu ihrem Mannschaftsbus. Für sie war es wieder einmal das | |
| Schicksal, das sich gegen sie verschworen hatte. Roy Hodgson, ihr Trainer, | |
| sagte: „Wie so oft verlassen wir ein Turnier ungeschlagen.“ | |
| Am Ende sei passiert, was immer passiere. England und das Elfmeterschießen. | |
| Zur Lösung des Rätsel, warum ausgerechnet die Engländer mit ihrer | |
| Penalty-Geschichte so gespielt haben, als wäre es ihr einziges Ziel an | |
| diesem Abend, das Elfmeterschießen zu erreichen, wollte Hodgson nicht | |
| beitragen. Er fand das Ganze irgendwie ungerecht. Sie hatten die Schüsse | |
| vom Punkt doch so fleißig trainiert. „Wir hatten so gute Schützen“, | |
| jammerte Hodgson. | |
| Aber eben keinen wie Pirlo. Der sei einfach „cool“ gewesen. „So etwas | |
| kannst du nicht trainieren.“ | |
| 25 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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