# taz.de -- Urteil zur Beschneidung in Deutschland: Ein strafbarer Ritus | |
> Das Landgericht Köln hält die genitale Beschneidung von Jungen für | |
> rechtswidrig. Die Religionsfreiheit müsse zurückstehen. Doch die | |
> Rechtslage ist nach wie vor unklar. | |
Bild: Vorbereitungen für eine Beschneidung. | |
FREIBURG taz | Das Urteil hat nichts geklärt, sondern große | |
Rechtsunsicherheit verursacht. Wohl zum ersten Mal hat ein deutsches | |
Strafgericht die Beschneidung eines Knaben als strafbare Körperverletzung | |
eingestuft. Gegen das Urteil des Landgerichts Köln sind keine Rechtsmittel | |
mehr möglich, die Debatte dürfte aber jetzt erst richtig beginnen. | |
Im November 2010 hatte ein muslimisches Elternpaar aus Köln seinen | |
vierjährigen Sohn zu einem niedergelassenen Allgemeinmediziner gebracht. | |
Der Arzt beschnitt den Jungen wie beauftragt und nähte die Wunde mit vier | |
Stichen. Doch nach zwei Tagen kam es zu Blutungen. Die Mutter brachte den | |
Jungen in die Notaufnahme eines Krankenhauses, wo die Blutung gestillt | |
wurde. Nach Informationen des Kölner Stadtanzeigers schalteten die Ärzte | |
nur deshalb die Polizei ein, weil die Frau einen verwirrten Eindruck machte | |
und die Ärzte eine Zwangsbeschneidung des Jungen für möglich hielten. | |
Die Untersuchung des Falls ergab jedoch, dass die Frau nur aufgeregt war | |
und schlecht Deutsch sprach. Auch der beschneidende Arzt habe keine | |
medizinischen Fehler gemacht. Trotzdem erhob die Staatsanwaltschaft Anklage | |
gegen ihn wegen Körperverletzung. Grundsätzlich gelten zwar alle ärztlichen | |
Eingriffe als Körperverletzung, doch in der Regel sind diese durch die | |
Einwilligung des Patienten gerechtfertigt und damit rechtmäßig. | |
In erster Instanz wurde der Arzt vom Kölner Amtsgericht im September 2011 | |
in vollem Umfang freigesprochen. Die erziehungsberechtigten Eltern des | |
Jungen hätten wirksam in den Eingriff eingewilligt und dabei auch das | |
Kindeswohl beachtet. Sie hätten einer „drohenden Stigmatisierung des Kindes | |
entgegengewirkt“, denn die Beschneidung sei eine „traditionell-rituelle | |
Handlungsweise zur Dokumentation der kulturellen und religiösen | |
Zugehörigkeit zur muslimischen Lebensgemeinschaft“. Dagegen ging die | |
Staatsanwaltschaft in Berufung. | |
## Gefährdung des Kindeswohl | |
Das Urteil des Landgerichts Köln kam Anfang Mai zu anderen Wertungen. Die | |
elterliche Einwilligung gefährde das Kindeswohl, weil Kinder laut | |
Bürgerlichem Gesetzbuch ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben. Die | |
dauerhafte und irreparable Veränderung des Körpers laufe auch dem Interesse | |
des Kindes zuwider, später selbst über seine Religionszugehörigkeit zu | |
entscheiden. | |
Demgegenüber müsse die Religionsfreiheit der Eltern zurückstehen. Der Arzt | |
wurde allerdings auch vom Landgericht freigesprochen. Er habe sich in einem | |
„unvermeidbaren Verbotsirrtum“ befunden, weil die Rechtslage „sehr unklar… | |
war und Gerichte bisher die Beschneidung als rechtmäßig ansahen. Nach | |
Ansicht der Richter handelte der Arzt zwar rechtswidrig, aber ohne Schuld. | |
Da in diesem Fall die religiöse Motivation der Eltern ausschlaggebend war, | |
spielten in beiden Urteilen Gesundheitsfragen nur am Rande eine Rolle. Doch | |
auch hier widersprachen sich die Gerichte. Das Amtsgericht erwähnte | |
„hygienische Verbesserungen“ und „Vorbeugung gegen Krebserkrankungen“. … | |
Landgericht meinte dagegen, dass Beschneidungen „jedenfalls in | |
Mitteleuropa“ nicht zur Gesundheitsvorsorge notwendig seien. | |
Weder der freigesprochene Arzt noch die Staatsanwaltschaft legte gegen das | |
Kölner Urteil Revision ein, sodass dieses nunmehr rechtskräftig ist. Die | |
Bindungswirkung des Urteils ist aber äußerst gering. Nicht einmal in Köln | |
ist die Rechtslage geklärt, weil es am Landgericht noch sechs weitere | |
Kleine Strafkammern gibt, die den nächsten ähnlichen Fall ganz anders | |
entscheiden können. Niemand weiß, wie zuständige Strafgerichte entscheiden | |
werden. | |
Das betrifft nicht nur Ärzte, die Beschneidungen durchführen, sondern auch | |
Eltern, die sie in Auftrag geben. Unsicher ist sogar, ob sich Ärzte und | |
Eltern weiterhin auf einen Verbotsirrtum berufen können. Dafür spricht zwar | |
die anhaltend unklare Rechtslage, ein besonders strenges Gericht könnte | |
aber auf die breite Medienberichterstattung über den Kölner Fall verweisen. | |
Danach wäre dann ein Verbotsirrtum nicht mehr „unvermeidbar“. | |
27 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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