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# taz.de -- Kommentar Fiskalpakt: Herkulesplan für Europa
> Der Fiskalpakt wird die Schulden weiter in die Höhe treiben, denn er
> basiert auf einem fundamentalen Denkfehler. Sparen senkt den
> Schuldenstand am Ende nicht.
Bild: Europa kann kommen: Herkulesstatue wartet im Großen Garten, Hannover-Her…
Für die Abstimmung über den Fiskalpakt am Freitag zeichnet sich eine große
Mehrheit im Bundestag ab – dank Stimmen aus der Opposition. SPD und Grüne
hatten ihr Ja zur Ratifizierung ursprünglich an drei Bedingungen geknüpft:
eine Wachstums- und Beschäftigungsinitiative vor allem für die
Eurokrisenländer, entschiedene Schritte auf dem Weg zu einer
Finanztransaktionsteuer sowie einen Fonds zur Tilgung übermäßiger
Staatsschulden.
Alle drei Forderungen sind für sich genommen richtig und verdienen
Unterstützung. Die entscheidende Frage ist jedoch, in welchem Verhältnis
sie zu den gesamtwirtschaftlichen Folgen des „Vertrages über Stabilität,
Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ stehen.
So gibt es zum Beispiel zwischen Fiskalpakt und Finanztransaktionsteuer
keinen unmittelbaren ökonomischen Zusammenhang. Die Abgabe rechtfertigt
sich aus der Notwendigkeit, „Sand in das Getriebe“ des Handels mit
Finanzmarktprodukten zu streuen, wie es der Wirtschaftswissenschaftler und
Ideengeber James Tobin formulierte, außerdem werden zusätzliche Einnahmen
erzielt.
Die Forderung nach einem Fonds zur Tilgung der exzessiven Staatsschulden
ist auf der Strecke der Verhandlungen zwischen Bundesregierung und
Opposition verloren gegangen. Hingegen gab es beim Thema
Wachstumsinitiative in der EU einen Kompromiss – allerdings einen flauen.
## Vergemeinschaftetes Schrumpfprogramm
Die zu Recht geforderte Wachstums- und Beschäftigungsinitiative, mit der
auch Wirtschaftsstrukturen modernisiert werden sollen, steht zudem in einem
unauflösbaren Widerspruch zum Fiskalpakt. Denn die EU-Schuldenbremse wirkt
wie ein vergemeinschaftetes Schrumpfprogramm für die gesamte Wirtschaft in
der EU, vor allem die in den Krisenländern.
Nach dem Fiskalpakt soll die strukturelle Neuverschuldung der öffentlichen
Haushalte der Eurostaaten auf 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts
reduziert werden. Zusammen mit dem darüber hinaus vorgeschriebenen Abbau
der Staatsschulden erzeugt das einen massiven Druck: Erzwungen wird eine
harte Einsparpolitik in den öffentlichen Haushalten sowie die Anhebung von
Steuern etwa auf Masseneinkommen.
Die Folge: Die binnenwirtschaftliche Entwicklung wird belastet, Ausgaben
für den Sozialstaat werden gestrichen, öffentliche Investitionen in Bildung
und Infrastruktur mit einer gesamtwirtschaftlich hohen Rendite für
zukünftige Generationen sind nicht finanzierbar.
Der Fiskalpakt basiert also auf einem fundamentalen gesamtwirtschaftlichen
Denkfehler. Bei der Bekämpfung der Staatsverschuldung wird ausschließlich
vom verschwenderischen Ausgabenverhalten ausgegangen. Staatsschulden
entstehen jedoch gerade in Krisenzeiten durch die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung: Infolge sinkender Produktion schrumpfen die Steuereinnahmen
und die Neuverschuldung steigt.
Wird das wachsende Defizit dann durch Ausgabenkürzungen bekämpft, sinken
mit dem Bruttoinlandsprodukt die Staatseinnahmen weiter – und am Ende
steigen die öffentlichen Schulden. Notwendig werden gegensteuernde
Konjunkturmaßnahmen. Mit einer solch kontraproduktiven Politik kann also
auch kein Vertrauen auf den Finanzmärkten geschaffen werden.
## Die richtigen Lehren ziehen
Statt die mit dem Fiskalpakt verbundene Schrumpfstrategie
weiterzuverfolgen, müsste bei der Sanierung der Etats die Schaffung von
zukunftsfähigem Wirtschaftswachstum zum Hauptziel werden. Dies wäre auch
die richtige Lehre aus den Fehlern der Austeritätspolitik, die Griechenland
als Gegenleistung für Finanzhilfen verordnet wurde – und die die Wirtschaft
das Landes nun im Würgegriff hält.
Was ist die Alternative? Statt mit dem Fiskalpakt weiter auf eine
„Haushaltsnotlagenpolitik“ à la Heinrich Brüning zu setzen, Reichskanzler
zum Ende der Weimarer Republik, sollte ein Herkulesplan aufgelegt werden:
Stärkung der Binnenwirtschaft, Ausbau der öffentlichen Infrastruktur,
Aufbau einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstruktur, aber auch innere Reformen
in den jeweiligen Krisenländern. Hinzu kommen müssten künftig neue Regeln
ökonomisch angemessener Neuverschuldungsdisziplin.
## Schuldenfonds und Eurobonds
Anders gesagt: Es geht um einen mittelfristigen Defizitabbau ohne
schuldentreibende Schrumpfung der Gesamtwirtschaft. Dazu könnte in einem
ersten Schritt ein europaweiter Schuldentilgungspakt dienen. Die
Verbindlichkeiten eines EU-Landes, die über den Anteil von 60 Prozent
seines Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, werden in einen gemeinschaftlich
verantworteten Entschuldungsfonds übertragen – übrigens eine Idee des
„Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung“. Derzeit läge das geschätzte Volumen eines solchen Fonds bei
rund 2,3 Billionen Euro.
Zur Refinanzierung sollte der Fonds den Kapitalmärkten Eurobonds anbieten.
Um deren Bonität zu sichern, müssten die Länder bis zu 20 Prozent ihrer
Schulden durch Gold- und Devisenreserven garantieren. Die so gebündelten
Verbindlichkeiten werden über einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren durch die
betroffenen Länder abfinanziert, wobei diese verpflichtet werden, ihre
Tilgungsleistungen durch eine spezifische Abgabe zu finanzieren. Für
Deutschland etwa wird eine zeitlich befristete Abgabe auf hohe Vermögen
vorgeschlagen.
Die Schuldenreduktion durch den Tilgungsfonds sollte künftig durch eine
entwicklungsadäquate Haushaltspolitik ergänzt werden. Die muss einerseits
eine neuerliche, exzessive Kreditaufnahme verhindern; die Begrenzung beim
Schuldenmachen darf andererseits jedoch die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung nicht belasten. Das ist durchaus möglich: Um die
Wachstumspotenziale zu nutzen, steigen künftig die staatlichen Ausgaben mit
der Rate des Produktionspotenzials, welche die erforderlichen
Steuereinnahmen sichert.
Ein solches Programm der Vergemeinschaftung des gezielten Schuldenabbaus
plus eines am Produktionspotenzial ausgerichteten Ausgabenwachstums ist der
Vergemeinschaftung der Schuldenbremse überlegen. Fiskalpakt oder
Herkulesplan? Es gibt eine Alternative.
28 Jun 2012
## AUTOREN
Rudolf Hickel
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