| # taz.de -- Ikonografie des Mario-Balotelli-Jubels: In Your Face! | |
| > Kein Jubel, eher Ingrimm. Mario Barwuah Balotellis Torjubelgeste ist ein | |
| > Bild von Unbeugsamkeit. Da will einer für sich stehen – jenseits des | |
| > italienischen Alltagsrassismus'. | |
| Bild: Da staunt der Lahm: Balotellis Geste macht klar, dass die Ketten zerbroch… | |
| Da steht ein Held, zweifellos. Aber keiner von der entspannten, | |
| glücklichen, erlösten Art. Da steht einer, der sich zum eigenen Standbild | |
| gemacht hat. Der ein Statement abgibt. | |
| Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Pose, die Mario Barwuah Balotelli | |
| einnimmt, eigentlich nicht „fußballerisch“ ist. Sie entspricht auch nicht | |
| dem gewöhnten Drama der Spannung, des Alles-Gebens und dann des erlösten | |
| Sau-Rauslassens. Kein Jubel, eher Ingrimm. | |
| Eher ein Vorher als ein Nachher. So, als würde die eigentliche | |
| Auseinandersetzung erst noch folgen. Als müsste für einmal die | |
| disziplinierte Bewegung des Spiels nach dem Tor nicht übersetzt werden in | |
| übermütige, alberne und eben undisziplinierte Bewegungen. | |
| Und so, als wollte da einer nicht dieses Spiel des Kollektivs mitmachen, | |
| hintereinander herlaufen, übereinander herfallen, einander beglückwünschen | |
| immerhin. Da will einer, so scheint es, für sich stehen. Sein Blick verrät | |
| Stolz, kein Glück. Er wendet sich nicht ans Publikum, sondern, wie Miles | |
| Davis während seiner schönsten Soli, von ihm ab. Wie oft hat er | |
| rassistische Schmährufe von dort hören müssen! | |
| Diese Geste mit den zum eigenen Körper gerichteten Armen und den geballten | |
| Fäusten kennen wir indes. Es ist die Geste des stolzen Sklaven, der seinen | |
| Körper, nicht aber seinen Geist unterwerfen hat lassen. Wir kennen ihn aus | |
| dem Kino, wir kennen ihn von Bildern, es ist die Geste, die klarmacht, dass | |
| die Ketten zerbrochen werden. Früher oder später. | |
| ## Palermo und Ghana | |
| Mario Balotelli stammt nicht, wie man dauernd hört, aus Ghana, sondern aus | |
| Palermo. Auch dort freilich gibt es Rassisten. Täter-Rassisten unter | |
| Rassismus-Opfern. Denn für Legisten und andere Armleuchter aus dem Norden | |
| sind das beinahe gleichwertige Anlässe zur Niedertracht. Palermo oder | |
| Ghana. Daher kann man den Palermo-Anteil und den Ghana-Anteil von | |
| Balotellis Pose in Italien nicht voneinander trennen. Als Jugendlicher | |
| konnte er an Auslandsspielen der U-17-Mannschaft nicht teilnehmen, weil er | |
| keinen Pass beantragen durfte. Dieser Mann hat keine Tore für Italien | |
| geschossen, sondern für sich selbst. | |
| Er hat das Trikot von sich geworfen, das ihn zur Nummer machte und ihn für | |
| eine Nation vereinnahmt, in der es eine große Anzahl von Menschen gibt, die | |
| einen Menschen schwarzer Hautfarbe verachten. Auch wenn er ihnen | |
| entscheidende Tore bringt. | |
| Mario Barwuah Balotelli, ein großer Fußballer und ein großer Mensch, hat in | |
| seiner Geste die Geschichte des doppelten Rassismus in Italien und seine | |
| Haltung dazu festgehalten. Wir verdanken ihm ein schönes Bild von | |
| Unbeugsamkeit. | |
| 29 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Seesslen | |
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