| # taz.de -- Kolumne Helden der Bewegung: Balotelli jubelt nur selten | |
| > Mario Balotelli wird oft an Äußerlichkeiten gemessen, häufig rassistisch, | |
| > und er diente als Sündenbock. Er aber besinnt sich aufs Wesentliche. | |
| Bild: Balotelli beim Spiel Nizza gegen Lazio im Oktober 2017 | |
| Es ist höchst bedauerlich, dass Italien nicht zur WM nach Russland fährt. | |
| Schweden hat die Zuschauer um den Genuss gebracht, Mario Balotteli zu | |
| sehen. Nun werden einige einwenden, dass Balotelli ja aktuell gar nicht in | |
| die italienische Nationalmannschaft berufen wird, schon seit fast vier | |
| Jahren nicht mehr; und dass er sicherlich nicht zum WM-Kader gehört hätte. | |
| Das ist ohne Frage richtig; aber hätte Deutschland gegen Italien gespielt, | |
| die Vorschauen wären voll gewesen vom oberkörpernackten Mario Balotelli, | |
| wie er im satten Grün steht und die Schultermuskulatur auftürmt. | |
| Sein letztes Spiel machte er 2014 gegen Uruguay. Italien verlor 0:1, | |
| trotzdem wurde Gianluigi Buffon zum Man of the Match gewählt. Vorrundenaus, | |
| porca puttana. Die Trophäe hätte Buffon jedem seiner Kollegen auf dem | |
| Heimflug wohl gerne mehrfach auf den Kopf gehauen. | |
| Mario Balotelli war der Sündenbock. Gegen Costa Rica hatte er im Vollsprint | |
| Keylor Navas nicht überlupfen können; das war hinterher als Schlüsselszene | |
| ausgemacht worden. Im Rückblick lässt sich sagen: eine Chance, ja, eine | |
| große wahrscheinlich auch; aber sicherlich keine Mill’schen Ausmaßes. Frank | |
| Mill, der unerreichte Meister der vergebenen Großchance. Balotelli deswegen | |
| das Ausscheiden anzulasten, das kommt dem „zufälligen Zusammentreffen einer | |
| Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ gleich, wie der | |
| französische Dichter Comte de Lautréamont einst den Zufall umschrieb. | |
| 2011 explodierte in Mario Balotellis Badezimmer ein Böller, nachts um eins. | |
| Die Feuerwehr kam. Und die Presse. Es wurde viel diskutiert. Am nächsten | |
| Spieltag – Mario Balotelli war bei City unter Vertrag – traf er gegen ManU | |
| doppelt. Nach dem ersten Tor zieht er des Trikot über den Kopf, darunter | |
| ein T-Shirt, worauf steht: „Why always me?“ Ja, warum eigentlich? | |
| ## „Es gibt keine schwarzen Italiener“ | |
| Mario Balotelli wird sich das oft gefragt haben. Er ist immer ausgegrenzt | |
| worden in seiner Karriere. Als er bei Inter spielte, zu Beginn seiner | |
| Karriere, sangen Juve-Fans in ganz Europa: „Non esistono negri italiani.“ | |
| Es gibt keine schwarzen Italiener. Sie sangen es, als ihre Mannschaft gegen | |
| Bayern spielte und gegen Bordeaux, und es war klar, wen sie meinten. | |
| Seine Trainer haben ihn häufig nicht geschützt. Er sei kompliziert, | |
| divenhaft, hochbegabt, aber irgendwie auch, na ja, unreif. Der muss erzogen | |
| werden. Francesco Totti hätte ihm nach einer Inzaghi-Gedächtnis-Schwalbe | |
| gern „den Arsch versohlt“, Mancini ihm „aufs Maul gehauen“, weil er nach | |
| Toren nicht lächle. Paolo Berlusconi, damals Vizepräsident des AC Mailand, | |
| nannte ihn nach seiner Verpflichtung 2013 „den kleinen schwarzen Jungen der | |
| Familie“. | |
| Nach dem Tor, nach dem Jubel gegen Deutschland verwandelten sich die | |
| Sportseiten in Feuilletons; die Pose musste ausgedeutet werden. Er habe | |
| „das Trikot von sich geworfen, das ihn zur Nummer machte und ihn für eine | |
| Nation vereinnahmt, in der es eine große Anzahl von Menschen gibt, die | |
| einen Menschen schwarzer Hautfarbe verachten“ ([1][taz]), er habe sich in | |
| ein „Kriegerdenkmal“ verwandelt und gezeigt, dass er „sich nicht für die | |
| Kategorien bürgerlichen Anstands und europäischer Manieren interessiert“ | |
| (Welt), seine Pose sei „Urzeit“ (SZ). Zum Frisör allerdings müsse er | |
| nichtsdestotrotz dringend, denn sein ausgebleichter Iro sehe „irgendwie | |
| affig“ aus (tagesschau.de). Und dann: „Affig – ohne Hintergedanken.“ Is | |
| klar. | |
| ## Er jubelt nur selten | |
| Keine der Exegesen kam ohne den Hinweis auf Mario Balotellis Hautfarbe aus; | |
| keine löste sich vom Augenschein. Außer jener von Mario Balotelli selbst. | |
| Tatsächlich jubelt er noch heute nach Toren nur äußerst selten; und wenn | |
| doch, dann nur sehr reduziert. Schließlich, sagte er einst, juble ein | |
| Müllmann auch nicht, wenn er seine Arbeit erledige. | |
| Inzwischen spielt Mario Balotelli in Nizza, in 30 Ligaspielen hat er 20 | |
| Tore gemacht. An der Peripherie des europäischen Spitzenfußballs ist er | |
| wieder zu sich gekommen. | |
| 19 Nov 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frederic Valin | |
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