# taz.de -- Kolumne Helden der Bewegung: Sein Spiel hat Bauch | |
> Fußballspieler Christian Tiffert agiert gemütlich und gönnt sich | |
> Päuschen. In wichtigen Momenten hat er Sahne im Fuß. | |
Bild: Er sieht, was die Mitspieler nicht sehen: Christian Tiffert | |
Christian Tifferts Spiel hat Bauch. Es ist gekennzeichnet von einer | |
gewissen gemütlich wirkenden Behäbigkeit, selbst wenn er in den Sprint | |
geht, wirkt es, als würde er schlurfen. In ihm lebt der Geist des lange | |
schon zu Grabe getragenen Mittelfeldregisseurs weiter, der vor allem gönnen | |
können muss: sich selbst hin und wieder mal ein Päuschen. Und den | |
Mitspielern hin und wieder mal ein Pässchen. | |
Im körperbetonten Fußball moderner Prägung wirkt Christian Tifferts Spiel | |
wie ein Zitat aus vergangenen Zeiten. 90 Minuten lang sieht man, was er | |
alles nicht besonders überragend kann, und dann kommt eine dieser vier bis | |
acht Szenen im Spiel, da sieht man auch: Der Mann hat Gold unterm Scheitel | |
und Sahne im Fuß. In den 60ern wäre er sicher Nationalspieler geworden. | |
Und heute? Heute scheint keiner so recht zu wissen, wohin mit diesem | |
Christian Tiffert. Das drückt sich in seiner Karriere aus, die ihn weit | |
herumgeführt hat: Halle, Tennis Borussia Berlin, Salzburg, Duisburg, | |
Lautern, Seattle, Bochum und, ganz zum Schluss, an die Peripherie des | |
deutschen Profifußballs, zu Erzgebirge Aue. Und es zeigt sich auch in all | |
den Positionen, die er schon gespielt hat: Begonnen hat er einst als | |
Stürmer, wurde dann aber, wie er sich selbst einmal ausdrückte, wegen | |
anhaltender Torungefährlichkeit auf die Außenbahn gestellt, bis er da dann | |
zu langsam war. | |
Also hat man ihm einen Platz in der Mitte freigemacht. Man könnte meinen, | |
Christian Tiffert sei das Gegenteil eines polyvalenten Spielers: Exakt das, | |
was er zu diesem oder jenen Zeitpunkt nicht (mehr) konnte, definierte, wo | |
auf dem Feld ein Platz für ihn gefunden wurde. Jetzt, wo er die | |
Zweikampfhärte im Mittelfeld nicht mehr gut verträgt, hat man ihn etwas aus | |
der Sonne gespielt: Diese Saison scheint er mitunter zentral in der | |
Dreierkette eingeplant. Möglich bis wahrscheinlich, dass er das als Libero | |
interpretiert, als freier Mann. | |
## Sein Spiel ist wie Hitchcock | |
Das passt zum Anachronismus des Tiffert’schen Fußballs. Es ist eine ganz | |
andere Art der Spannung, die sein Spiel erzeugt: nicht die auf Dynamik und | |
Rasanz, Intensi- und Explosivität ausgelegte Bombastik. Es ist eher eine | |
Spannung mit Raffinesse, eine intellektuellere Form der Dramatik. Der | |
Gegenpressing-Fußball hat seine Entsprechung im modernen Actionfilm seit | |
John McTiernan: Es muss hin und wieder krachen und bummen, und manchmal | |
fällt eine lustige Punchline (wenn Marcel Schmelzer wieder zum Einwurf | |
sprintet und dann minutenlang nicht weiß, wohin mit dem Ball, zum | |
Beispiel). | |
Christian Tifferts Erzählweise ist psychischer. Alfred Hitchcock sagte | |
einst über das Stilmittel des Suspense, wenn eine Bombe unter einem Tisch | |
hochgehe, an dem ein paar Leute säßen, dann sei das ein | |
Überraschungseffekt. Wenn aber der Zuschauer wisse, dass da eine Bombe | |
liege, und auch wisse, dass sie ticke, das sei dann Spannung. Dabei ist | |
völlig unerheblich, ob die Bombe dann tatsächlich hochgeht oder nicht, | |
wichtig ist, dass der Zuschauer um die Bombe weiß, die Personen im Bild | |
aber nicht. Und so ähnlich verhält es sich auch mit Christian Tifferts | |
Fähigkeiten: Man hat doch die Ahnung, dass da noch Verborgenes in seinem | |
rechten Fuß schlummert, das sich jederzeit manifestieren kann. | |
Aber es gibt da keinen Zwang, keine überstrahlende Notwendigkeit. Das ist | |
überhaupt die Devise im Spiel Christian Tifferts: Alles kann, nichts muss. | |
Und am Ende passt es halt eben doch. | |
19 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Frederic Valin | |
## TAGS | |
Fußball | |
Taktik | |
Alfred Hitchcock | |
Fußball-Bundesliga | |
Kevin-Prince Boateng | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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