# taz.de -- Kolumne Helden der Bewegung: Der verworfene Prinz | |
> Gute Geschichten leben davon, dass sich ihr Protagonist auch mal | |
> verschätzt. Die Karriere von Kevin-Prince ist ein reizvoller Roman. | |
Bild: Weigert sich, langweilig zu spielen: Kevin-Prinz Boateng | |
Es ist so eine Sache mit den Gefühlen im Fußball. Ständig soll die | |
Leidenschaft kochen und brutzeln, das Feuer brennen und verzehren, bei | |
vollem Herz und leerem Kopf. Der Wille, der absolute, der soll sich Bahn | |
brechen, das Herz, das große, das soll entscheidend sein. | |
Im Körper des Fußballers lebt die mittelalterliche Idee einer Anatomie | |
weiter, die auf den griechischen Arzt Galen zurückgeht: die körperliche | |
Überlegenheit des Mannes wird bedingt durch seine höhere Körpertemperatur. | |
(Als Beweis wurde hier unter anderem der Samen aufgeführt, der als | |
gekochtes Blut interpretiert wurde.) Der Körper des Fußballers | |
transportiert ein althergebrachtes Männlichkeitsideal; er hat, wie Niko | |
Kovac wahrscheinlich vier mal die Woche sagt, heiß zu sein. | |
Außer eben es wird eng, dann hat man kühlen Kopf zu bewahren, selbst wenn | |
einem eine chiellineske Nase wächst darüber. Wenn man, zum Beispiel, gerade | |
in der Nachspielzeit den Ausgleich gegen Borussia Dortmund erzielt hat: | |
dann darf, ich reize die Metapher noch ein bisschen aus, nichts mehr | |
anbrennen. Däumchen drehen statt am Rad. | |
Fußball ist ein eher spannungsarmer Mannschaftssport, nur selten | |
kondensiert das Spiel zum Ende hin auf zwei, drei entscheidende | |
Situationen; und wenn doch, hat meist die spielverhindernde Partei das | |
letzte Wort. Gelingt ihr das nicht, will sie zu nah an die Sonne, killt sie | |
ihre Hybris. | |
## Eine melancholische Analyse | |
Zwei Situationen haben die Frankfurter ausgemacht, [1][um die Niederlage in | |
Dortmund] zu erklären: einen Abschlag von Hradecky in die Mitte, der zum | |
spielentscheidenden Gegentor führte; und, kurz zuvor, ein Einwurf von | |
Kevin-Prince Boateng, den er nicht absichernd ausführte, sondern offensiv. | |
Dann: Ballverlust, Gegenangriff, Tor Batshuayi. | |
Kleinigkeiten, sicherlich. Und doch entscheidend. Interessanter als die | |
Fehler selbst stellen sich allerdings die Erklärungen dar, die die | |
Frankfurter nachreichten. | |
Da war, zum einen, die – um bei Galen zu bleiben – melancholische Analyse | |
Niko Kovacs. Ein solcher Abschlag dürfe nicht passieren, der müsse | |
siebeneinhalb Meter seitlicher, da dürfe man Cleverness erwarten, sang | |
froid, Überlegung. Darf nicht, soll nicht, ärgerlich. | |
Und da war zum anderen die sanguinische Sicht Boatengs, der seinen Einwurf | |
und den sich daraus entwickelnden Ballverlust so erklärte: gewinnen habe er | |
wollen, da sei er eben ins offensive Risiko gegangen, und dann habe | |
schlussendlich das Glück gefehlt. Es ist also ein Fehler aus Leidenschaft | |
gewesen. | |
## Sein Karriereweg mäandert | |
Kovac wird immer wieder mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht, es wäre | |
ein nächster Schritt auf der Trainerkarriereleiter. Erst RB Salzburg, dann | |
die kroatische Nationalmannschaft, jetzt Frankfurt und morgen dann | |
deutscher Abonnementmeister: in Kommentaren würde man das, sollte es so | |
kommen, als „Erfolgsgeschichte“ bezeichnen. Tatsächlich ist es eine Liste. | |
Die reine Aufzählung lässt wenige Fragen offen, es geht immer ein Stückchen | |
nach oben, das versteht sich von selbst: man kann die Leerstellen mit | |
Gemeinplätzen füllen, es ist dies wohl die herausragendste Eigenschaft | |
sogenannter Erfolgsgeschichten: sie sind langweilig. | |
[2][Boatengs Karriere] hingegen ist ein Roman: Hertha, Tottenham, Dortmund, | |
Portsmouth, wo er gegen Michael Ballack das meistdiskutierte Foul seit | |
Norbert Siegmann beging; AC Milan, Schalke, Las Palmas, nun Frankfurt. | |
Keine dieser Stationen erklärt sich aus sich heraus, sein Karriereweg | |
mäandert. Sicher, es hätten mehr Titel sein können, sicher, die Liste der | |
Erfolge könnte länger sein. Aber Listen sind für Bürokraten; darauf kann | |
sich berufen, wer keine Fantasie hat. Träumen lassen einen nur Geschichten, | |
und sie leben davon, dass sich ihr Protagonist verschätzt, verrechnet und | |
verwirft; kurz vor Schluss, bei eigenem Ballbesitz. | |
Freilich hätte Boateng den Ball verwalten können. Frankfurt hätte einen | |
Punkt mehr. Das wäre reiner Erfolg gewesen, und in einem Wort: langweilig. | |
16 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kicker.de/news/fussball/bundesliga/spieltag/1-bundesliga/2017-18… | |
[2] http://www.kicker.de/news/fussball/bundesliga/vereine/1-bundesliga/2017-18/… | |
## AUTOREN | |
Frederic Valin | |
## TAGS | |
Kevin-Prince Boateng | |
Eintracht Frankfurt | |
Borussia Dortmund | |
Fußball | |
Fußball | |
Kevin-Prince Boateng | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Helden der Bewegung: Sein Spiel hat Bauch | |
Fußballspieler Christian Tiffert agiert gemütlich und gönnt sich Päuschen. | |
In wichtigen Momenten hat er Sahne im Fuß. | |
Rassismus im Fußball: Die Zeit des Wegduckens ist vorbei | |
Kevin-Prince Boateng fordert einen Videobeweis gegen Rassisten im Stadion. | |
Immer mehr Spieler wehren sich – Vorbild sind US-Sportler. |