# taz.de -- Altersarmut in Italien: Äußerst magere Jahre | |
> Sie erhalten keinen Lohn, kein Übergangsgeld, kein Arbeitslosengeld und | |
> keine Rente. Das ist eine Reform mit staatlich verordneter Armut. | |
Bild: Von gesichertem und beschaulichem Lebensabend kann nicht mehr die Rede se… | |
ROM taz | „Ich bin der alleinige Verdiener in der Familie. Bei mir und | |
meiner Frau lebt auch meine 24-jährige Tochter, Studentin, und ihr | |
vierjähriger Sohn – und mir teilt der italienische Staat trocken mit, dass | |
ich für dreieinhalb Jahre ohne jedes Einkommen dastehen werde!“ | |
Fassungslos ist der 59-jährige Emilio De Martino, bis letzten Dezember | |
Leitender Angestellter bei der Post: Fassungslos darüber, dass die | |
Regierung unter Mario Monti ihn mit der Rentenreform einfach durch den Rost | |
der sozialen Sicherungssysteme fallen lässt. | |
Keinen Lohn mehr, kein Übergangsgeld, keine Arbeitslosenunterstützung – und | |
keine Rente: Dieses Schicksal droht in den nächsten Jahren Hunderttausenden | |
Arbeitern und Angestellten in Italien. Schuld ist die im Dezember 2011 Hals | |
über Kopf verabschiedete Rentenreform. Da beschloss die gerade erst ins Amt | |
getretene Regierung Monti einen radikalen Schnitt. | |
Mit einem Schlag wurde das Renteneintrittsalter für Männer auf 66, ab 2020 | |
auf 67 Jahre, für Frauen auf 62 Jahre erhöht; für Frauen sind weitere | |
Anpassungsschritte auf 63,5 Jahre im Jahr 2014, auf 65 Jahre im Jahr 2016 | |
und dann auf 66 Jahre im Jahr 2018 vorgesehen. Und zugleich wurden die | |
Möglichkeiten, vor Erreichen dieser Altersgrenzen auszuscheiden, radikal | |
eingeschränkt. | |
## Verträge, die nichts mehr wert sind | |
Dumm nur, dass Personen wie De Martino, ermuntert von ihren Unternehmen und | |
vom Staat, vorher schon Auflösungsverträge unterschrieben hatten – | |
Verträge, die auf einmal nichts mehr wert sind. Stefania Venturi, 56 Jahre | |
alt, war Informatikerin bei einer Firma, die für die Staatsbahnen | |
arbeitete. Am 30. April schied sie aus, drei Jahre lang wurde ihr das | |
sogenannte „Mobilitätsgeld“ zugesichert – 700 Euro im Monat. Danach wäre | |
sie noch eineinhalb Jahre ohne Unterstützung arbeitslos – und dann in Rente | |
gegangen. | |
Verkraftbar, dachte sie, schließlich arbeitet ihr Mann. Jetzt wird sie erst | |
mit 67 in den Ruhestand gehen können, also neun Jahre schier nichts | |
erhalten. „Wir haben zwei 15-jährige Kinder“, erzählt sie, „das Brot ka… | |
ich noch kaufen, aber wir haben äußerst magere Jahre vor uns.“ | |
Bloß 65.000 Arbeitnehmer seien betroffen und die würden durch Hilfen | |
aufgefangen, hatte Arbeitsministerin Elsa Fornero immer wieder behauptet, | |
doch vor einigen Tagen legte die Rentenkasse präzise Zahlen vor. | |
Fast 400.000 Personen werden teils über Jahre hinweg ohne Einkommen | |
dastehen. „Und das, obwohl die Gewerkschaften die Firmenvereinbarungen zum | |
Personalabbau seinerzeit im Arbeitsministerium unterschrieben haben, unter | |
Zusicherung der Regierung, dass der Staat die von ihm eingegangen | |
Verpflichtungen – Übergangsgelder und Frühverrentungen – einhält“, ere… | |
sich Sandro Del Fattore, Rentenexperte bei der CGIL, dem größten | |
italienischen Gewerkschaftsbund. | |
## Kein Geld | |
Ministerin Fornero hat jetzt zwar nachgebessert und Geld für | |
Übergangsregelungen locker gemacht, die weiteren 55.000 Betroffenen Schutz | |
gewähren – doch immer noch bleiben 270.000 außen vor. „Kein Geld“, | |
erwiderte sie im Parlament trocken auf kritische Nachfragen. „Ein | |
Aberwitz“, entgegnet der Gewerkschafter, „die Rentenreform hat ein | |
Einsparvolumen von 120 Milliarden in den nächsten zehn Jahren – und da soll | |
kein Geld da sein, um ohne eigenes Verschulden Betroffene aufzufangen!“ | |
Emilio De Martino, dem Postangestellten, wird ein einziger Monat zum | |
Verhängnis. Er kann nach der Reform erst zum Juli 2017 in Rente gehen, | |
während früher, bei Abschluss seines Aufhebungsvertrags, der 1. Januar 2014 | |
anvisiert war. Schade für ihn: Die Übergangsregelungen der Ministerin | |
Fornero greifen bloß für die, die bis zum 1. Dezember 2013 verrentet | |
werden. De Martino darf selbst schauen, wie er sich so lange über Wasser | |
hält. | |
„Mit 60 Jahren Arbeit zu finden ist jetzt unmöglich“, bilanziert er. „Und | |
die Post nimmt mich bestimmt nicht zurück. Dort werden in den kommenden | |
Monaten weitere 12.000 Stellen abgebaut.“ Seine einzige Hoffnung ist, dass | |
die Regierung bei dieser „Reform mit der Axt“ – wie er sagt – endlich | |
nachbessert. | |
6 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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