| # taz.de -- Deutsch-französische Freundschaft I: „So weit auseinander sind w… | |
| > Vor 50 Jahren begruben Deutschland und Frankreich ihre lange | |
| > Erbfeindschaft. Der Politologe Henri Ménudier über das Duo Merkel/ | |
| > Hollande, überwundene Krisen und Schuld. | |
| Bild: Man kann auch mal gemeinsam lächeln: Angela Merkel und Francois Hollande. | |
| taz: Herr Ménudier, seit dem Machtwechsel in Frankreich sind die | |
| Unterschiede deutlicher als die Gemeinsamkeiten. Leben sich Merkel und | |
| Hollande aufgrund finanzpolitischer Konflikte auseinander? | |
| Henri Ménudier: Nur weil es Meinungsverschiedenheiten gibt, ist die | |
| deutsch-französische Zusammenarbeit noch lange nicht in Gefahr. Denn über | |
| das Hauptziel ist man sich einig: Berlin und Paris wollen Europa weiter | |
| aufbauen und die Eurokrise beheben. Die Divergenzen betreffen die dazu | |
| nötigen Mittel. Das lässt sich überwinden. Wichtiger als solche Differenzen | |
| ist die Tatsache, dass ein fast permanenter Dialog zwischen Berlin und | |
| Paris existiert. Bei dieser Abstimmung der Standpunkte geht es nicht nur um | |
| die EU-Treffen, sondern auch um internationale Gipfel wie G 20, Nato etc. | |
| Dieser Dialog ist mit dem Wechsel des französischen Präsidenten nicht | |
| unterbrochen worden. Das beinhaltet die Chance zur Verstärkung der | |
| deutsch-französischen Zusammenarbeit. | |
| Sind Sie da nicht sehr optimistisch? Es scheint, dass sich Gräben vertieft | |
| haben seit dem Ende der Ära „Merkozy“. Mit Hollande hat sich das Verhältn… | |
| doch sehr abgekühlt. | |
| Diese Distanz ist insofern verständlich, weil Frau Merkel mit dem | |
| vorhergehenden Präsidenten Sarkozy sehr eng zusammenarbeiten konnte. Der | |
| Wechsel ist nicht nur personeller Natur, sondern auch politischer. Mit | |
| einem konservativen Präsidenten konnte sich die Christdemokratin Angela | |
| Merkel leichter verständigen als mit dem Sozialisten Hollande. Beide | |
| brauchen ein bisschen Zeit. Nach den Diskussionen am EU-Gipfel kennt man | |
| die Positionen gegenseitig besser. So weit auseinander sind wir gar nicht. | |
| Ich würde nicht von Gräben sprechen. Neu ist mit Hollande, dass er diese | |
| Kooperation etwas ausgeglichener gestalten möchte. Man hatte den Eindruck, | |
| dass Merkel das Sagen hatte und Sarkozy allem zustimmte. | |
| Das ist wohl nicht Hollandes alleiniges Verdienst, ihm wurde in der | |
| Eurokrise von Italien und Spanien sekundiert … | |
| Positiv finde ich dabei, dass wir da ein bisschen aus der zu exklusiven | |
| Zweierbeziehung herauskommen und so die Partner, nicht nur Spanien und | |
| Italien, vermehrt einbeziehen in den Dialog. Das ist neu. Während früher | |
| die ganze Vorbereitung direkt und ausschließlich zwischen Merkel und | |
| Sarkozy lief, waren dieses Mal Italien und Spanien maßgeblich beteiligt. | |
| Hat sich demgegenüber Merkel mit ihrem Pochen auf Haushaltsdisziplin nicht | |
| isoliert und ist so letztlich schuld, wenn sich Deutschlands Einfluss in | |
| der EU verringert? | |
| Ich würde nicht unbedingt von Schuld reden. Aber sie hat eine sehr harte | |
| Position vertreten, die den Dialog mit Frankreich belastet hat. Das hat | |
| aber nicht verhindert, dass in Brüssel ein Kompromiss erzielt wurde, bei | |
| dem sie wesentliche Punkte durchgesetzt hat. | |
| In den Debatten ist ein grundsätzlicher Unterschied in der Konzeption der | |
| Union deutlich geworden. Frankreich wünscht mehr Solidarität, Deutschland | |
| mehr politische Integration in Richtung eines föderalistischen Europas. | |
| Kann sich Frankreich an die Idee gewöhnen, dass mehr Europa weniger | |
| nationale Souveränität heißt? | |
| Das fällt Frankreich schwer. Mit dieser Schwierigkeit leben wir seit | |
| Langem. Viele Anläufe zu einer politischen Integration sind in der | |
| Vergangenheit gescheitert. Letztlich ist Frankreich bei de Gaulles „Europa | |
| der Vaterländer“ von 1962 geblieben. Der letzte Versuch war der von Jacques | |
| Chirac und Gerhard Schröder sehr geförderte Verfassungsentwurf. Der ist | |
| jedoch bekanntlich wegen der Ablehnung Frankreichs in der Volksabstimmung | |
| vom Mai 2005 misslungen. | |
| So beschränkt man sich vorerst darauf, mit kleinen Schritten die gemeinsame | |
| Währung zu retten. Ist das Ihrer Meinung nach wenigstens erfolgreich | |
| geschehen? | |
| Da ich mich seit jeher als Wissenschaftler und Bürger für die europäische | |
| Integration eingesetzt habe, mag ich die Analyse der Schwarzmaler nicht | |
| teilen. So heftig die Krise auch ist, sind wir nun, wie ich meine, über den | |
| Berg. Die Krise hat es uns auch erlaubt, eine Reihe von Instrumenten zu | |
| entwickeln. Und wir haben gelernt, wie man auf solche Situation reagieren | |
| kann. Damit sind wir besser gewappnet, um gegen solche Krisen vorzugehen. | |
| Ich sehe es als Zeichen der Hoffnung, dass eine Mehrheit der EU-Bürger den | |
| Euro behalten will. | |
| Am Sonntag treffen sich Merkel und Hollande in Reims zu einer historischen | |
| Feier aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der deutsch-französischer | |
| Versöhnung und Freundschaft. Ist das mehr als eine Geste, um Zwist zu | |
| überspielen? | |
| Ja, diese Veranstaltung verdeutlicht, dass Deutschland und Frankreich mehr | |
| verbindet als der gemeinsame Kampf zur Rettung des Euro und der EU. Das | |
| Treffen damals im Juli 1962 zwischen Adenauer und de Gaulle in der | |
| Kathedrale von Reims war von großer historischer Bedeutung. In Reims wurden | |
| die französischen Könige gekrönt, und in beiden Weltkriegen wurde die | |
| Kathedrale bombardiert. Sie ist ein Symbol unseres gemeinsamen | |
| historischen, religiösen und kulturellen Erbes, das wir zu verwalten haben. | |
| Natürlich ist es auch eine Ironie der Geschichte – und zugleich ein | |
| Ausdruck der europäischen Vielfalt, dass nun die Protestantin Merkel in | |
| diese katholische Kathedrale kommt, um mit dem Atheisten und Sozialisten | |
| Hollande dieses gemeinsame Erbe zu pflegen. | |
| 8 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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