# taz.de -- Deutsch-französische Freundschaft II: „Symbiose? Schlecht für E… | |
> Warum „Merkozy“ nicht gut war und was der Vorteil des neuen Duos bei der | |
> Krisen-Bewältigung ist, sagt die Chefin des Berlinbüros des European | |
> Council on Foreign Relations. | |
Bild: „Wenn wir wirklich mehr Europa wollen, dann sollten wir der europäisch… | |
taz: Frau Guérot, muss man sich Sorgen um das deutsch-französische | |
Verhältnis machen, wenn Angela Merkel jetzt auf Eurorettungsgipfeln von | |
François Hollande ausgetrickst wird? | |
Ulrike Guérot: Nein. Die Taktiererei in Brüssel letzte Woche war natürlich | |
nicht so gut für die Emotion. Für Europa aber ist es gut, wenn das | |
deutsch-französische Paar sich streitet. Eine zu enge Symbiose – wie bei | |
„Merkozy“ – ist auf jeden Fall schlecht für Europa, weil diese bei allen | |
anderen als Diktat ankommt. Deutsch-französischer Streit hat immer erst den | |
Kompromiss möglich gemacht, der auch den kleinen Ländern Platz ließ. | |
Was aber bedeutet es für die weitere Eurorettung, wenn das | |
deutsch-französische Gespann aus politischen Gegnern besteht? | |
Die Parteipolitik hat nie eine Rolle gespielt – im Gegenteil, die Kanzler | |
und Präsidenten nach Adenauer und de Gaulle waren stets parteipolitisch | |
über Kreuz. Darin bestand genau die Stärke der Verbindung. Auch bei Merkel | |
und Hollande wird diese Besetzung es erst ermöglichen, aus der aktuellen | |
europäischen Krise herauszukommen. Die zwei müssen im Grunde genommen nun | |
die Grundlagen für einen neuen europäischen Gesellschaftsvertrag legen, der | |
das Verhältnis von Staat und Markt und von Kapital und Arbeit | |
gesamteuropäisch neu definiert. | |
Zeigt uns das Spektakel um den Euro nicht gerade, wie mühsam auch kleinste | |
Schritte zu mehr Europa sind? | |
Genau. Es zeigt uns aber auch, dass wir die Währung nur retten, wenn wir | |
den Euro zu Ende denken: Wir sind jetzt Euroland, ein aggregierter | |
Wirtschaftsraum, der sich darauf einigen muss, wie er gemeinsam für seine | |
Währung bürgt und wie er gemeinsam sein Geld ausgibt. Dazu bedarf es einer | |
großen politischen Kraftanstrengung – wenn wir es wirklich wollen. Die Zeit | |
für rein technische Lösungen ist jedenfalls vorbei. Wir brauchen mehr | |
Ehrlichkeit in dieser Debatte. Wir müssten eine europäische Republik | |
denken. Dazu müssten sich als Erstes Deutschland und Frankreich einigen – | |
und einen Kompromiss zwischen einem eher exekutiven Modell wie in | |
Frankreich und einem eher parlamentarisches Modell wie in der | |
Bundesrepublik Deutschland für die europäische Demokratie finden. | |
Wie wollen Sie die grundgesetzverliebten Deutschen davon überzeugen, wie | |
großartig es ist, einen starken Präsidenten zu haben? | |
Ich bin nicht naiv, ich weiß, was dem alles entgegensteht. Aber wir werden | |
das Erreichte nicht halten können, wenn wir die Krise jetzt nicht nutzen, | |
um eine europäische Demokratie und Innenpolitik zu entwerfen. Die EU wird | |
sich sonst wie ein Wollpulli aufribbeln: erst die Währung, dann der | |
Binnenmarkt, dann Schengen – von einer europäischen Außenpolitik gar nicht | |
zu reden. | |
Ist angesichts all dieser Verwerfungen die ganze deutsch-französische | |
Freundschaftssymbolik nicht einfach überzogen und neben der Spur? | |
Darum sind jenseits der Symbolik konkrete Vorschläge für ein neues Europa | |
jetzt umso wichtiger, etwa die kursierende Idee einer europäischen | |
Arbeitslosenversicherung. Dazu muss man den Deutschen sagen, dass sie keine | |
Groß-Schweiz in Europa sein können. Deutschland würde weder trocken noch | |
heil am nationalen Ufer ankommen, wenn der Euro platzt. Man hat in den | |
vergangenen Wochen aber auch gesehen, wie wenig die Franzosen sich auf das | |
deutsche Argument einer politischen Union einlassen wollten. | |
Das heißt, der Impuls müsste von Deutschland ausgehen? | |
Finanzminister Wolfgang Schäuble hat die Idee eines Referendums ja bereits | |
ventiliert. Wir werden mehr europäische Staatlichkeit brauchen, und der Weg | |
dahin führt über eine gesamteuropäische Volksabstimmung. Dazu muss man den | |
Franzosen bei der nächsten Gelegenheit, etwa dem 50. Jahrestag des | |
Élysée-Vertrags im Januar, ein Dokument vor die Nase legen und sagen: „So | |
viel politische Union wollen wir – und ihr?“ Es geht jetzt um das Herz der | |
europäischen Demokratie. Wenn wir wirklich mehr Europa wollen, dann sollten | |
wir der europäischen Republik den Gang durch die Vordertür ermöglichen und | |
nicht weiter versuchen, sie nanoschrittchenweise auf dem Schleichweg | |
einzuführen. Genau das führt zu Populismus. | |
8 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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