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# taz.de -- Jahrestag der Anschläge in Norwegen: „Man spürt eine angestaute…
> Ein Jahr nach den Anschlägen von Utøya gibt es neue rassistische Debatten
> in Norwegen. Es fehle eine Diskussion über die Motive des Attentäters,
> sagt die Politikerin Rebekka Borsch.
Bild: Insel des Terrors: Utøya am Tag vor dem Anschlag.
taz: Frau Borsch, am 22. Juli jähren sich die Anschläge in Oslo und auf
Utøya zum ersten Mal. Was hat sich seitdem in der norwegischen Gesellschaft
verändert?
Rebekka Borsch: An der Art und Weise, wie die Leute ihr Leben leben, hat
sich fundamental nichts geändert. Aber es wird deutlich, dass die Menschen
mit diesem Ereignis längst nicht fertig sind.
Woran machen Sie das fest?
Das Bild ist sehr gemischt. Es ist jetzt eine gewisse Angespanntheit, eine
Art angestaute Aggression zu spüren. Der Osloer Bürgermeister hat vor
Kurzem in einem längeren Interview gesagt, es müsse erlaubt sein,
öffentlich zu sagen, dass man Breivik hasst. Gleichzeitig haben wir hier in
den letzten zehn Tagen eine sehr hitzige Debatte über 200 Roma und Sinti,
die in Oslo in einem Camp wohnen.
Wie reagieren die Norweger darauf?
Das hat eine sehr hässliche Debatte im Internet ausgelöst, wo die Leute mit
rassistischen Ausfällen gekommen sind. Ich und auch viele andere Politiker
waren fassungslos und haben gesagt: Das kann doch nicht wahr sein. Gerade
jetzt, wo der Jahrestag ansteht und wir uns im vergangenen Jahr versprochen
haben, zusammenzustehen, für mehr Offenheit und weniger Rassismus und
Schubladendenken einzutreten. Und genau jetzt bricht das alles hervor.
Vor Beginn des Prozesses fürchtete man, dass Breivik Raum in einem Forum
gegeben werde, und man fragte sich, ob das den Opfern zuzumuten sei. Wie
ist Ihre Bilanz?
Es war sehr wichtig, dass der Prozess so breit durchgeführt wurde. Viele
haben zwar sehr gelitten, aber man musste das so durchziehen, um der Sache
gerecht zu werden. Dabei war sehr interessant, zu beobachten, wie sich ein
Rechtsstaat daran abarbeitet, so eine Tat sachlich und neutral zu
behandeln. Denn das ist ja fast nicht möglich. Der Streit darüber, ob
Breivik unzurechnungsfähig und welches Gutachten das richtige ist, hat
meiner Meinung nach zu viel Platz eingenommen. Viele haben ihre
Aggressionen an den Psychiatern ausgelassen, und dadurch ist die
Hauptperson in den Hintergrund gerückt.
Was ist zu kurz gekommen?
Es fehlt leider immer noch eine grundsätzlichere Debatte über Breiviks
politische Motive und darüber, wie viele andere Menschen diese Gedanken
stützen.
Derzeit wird diskutiert, die Terrorgesetze zu verschärfen …
Die Regierung hat eine entsprechende Liste vorgelegt. Einige Vorschläge
bedeuten ganz klar eine Einschränkung persönlicher Rechte, eine verstärkte
Überwachung, dass man Leute festnehmen und bestrafen kann, bevor sie eine
strafbare Handlung begangen haben.
Was halten Sie davon?
Kritiker, zu denen auch meine Partei gehört, monieren, dass man sich da in
eine Grauzone begibt. Wir warnen davor, dass hier Gesetze durchgedrückt
werden sollen, die den Sinn haben sollen, Terroristen leichter aufzuspüren,
aber von der Polizei überhaupt nicht praktisch anwendbar sind. Es ist für
den Rechtsstaat schwierig, Einzelpersonen auf der Grundlage einer eher
dünnen Beweislage umfassend zu überwachen. Für mich und meine Partei wirkt
das wie ein Art Symbolpolitik. Ich glaube nicht, dass das alles so
durchkommt. Vieles wird fallen gelassen werden.
Nach einem Absturz in den Umfragen legen die Rechtspopulisten jetzt wieder
zu. Wie erklären Sie das?
Im vergangenen Jahr haben wohl viele begriffen, dass diese Partei den
Bodensatz für eine Gesinnung bietet, wo solche Menschen wie Breivik
gedeihen können. Jetzt hat sich das wieder relativiert. Viele sagen ganz
offen, dass sie gegen Einwanderer sind. Dabei ist es geradezu unglaublich,
wie die Fortschrittspartei diese Debatte über die Roma für sich ausnutzt.
In dieser Woche hat die Parteichefin gesagt, man solle diese Leute einfach
deportieren. Trotzdem befürchte ich, das die Fortschrittspartei bei den
Wahlen im nächsten Jahr wieder mehr Stimmern einsammeln wird, als man noch
vor einem halben Jahr gelaubt hätte.
20 Jul 2012
## AUTOREN
Barbara Oertel
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