# taz.de -- Anders Breiviks Korrespondenz: Der Terrorist als Netzwerker | |
> In Norwegen werden die Grenzen der Meinungsfreiheit diskutiert, weil | |
> Anders Breivik viele Briefe schreibt. Auch Beate Zschäpe vom NSU soll | |
> Post von ihm bekommen haben. | |
Bild: Breiviks Korrespondez wird natürlich kontrolliert. | |
STOCKHOLM taz | Jeden Tag acht bis zehn Stunden verbringe der norwegische | |
Terrorist Anders Breivik in seiner Zelle mit Korrespondenz, sagt seine | |
Anwältin Vibeke Hein Bæra. Er beantworte die Briefe, die er erhalte – rund | |
600 sollen es mittlerweile gewesen sein –, schreibe aber auch an vermutete | |
Gesinnungsgenossen. | |
Beate Zschäpe und der diese Woche schuldig gesprochene rassistische | |
schwedische Heckenschütze Peter Mangs sollen schon Post von Breivik | |
bekommen haben. Inhalt dieser Briefe laut der Tageszeitung VG: Er berichtet | |
von einem Netzwerk, das er zusammen mit Gleichgesinnten aufbauen wolle, | |
bitte um Unterstützung, Blogabschriften und Hilfe für das Briefporto. | |
„Alarmierend und erschreckend“ findet Jenny Klinge, justizpolitische | |
Sprecherin der in Oslo mitregierenden Zentrumspartei, dass Breivik nun | |
andere aus dem Knast heraus „motivieren und beeinflussen kann: Zumal er ja | |
selbst sagt, dass dies eines seiner Ziele war.“ Und sie hofft, dass die | |
Kontrolle seiner Kommunikation auch wirklich streng genug ist. | |
Kontrolliert wird natürlich. Laut norwegischem Strafvollzugsrecht darf kein | |
Brief passieren, wenn er „Informationen über die Planung oder Begehung | |
einer strafbaren Handlung“ enthält oder über Handlungen, die „die | |
öffentliche Sicherheit und Ordnung stören“ könnten. Und das | |
Justizministerium hat die Gefängnisverwaltung angewiesen, jeden Brief im | |
Zusammenhang mit Breiviks „Manifest“ zu sehen, in dem er auf 1.500 Seiten | |
Pläne für seine „konservative Revolution“ niedergelegt hatte. | |
## Darf er Teil der öffentlichen Debatte sein? | |
Er glaube zwar nicht, dass diesen „elenden Massenmörder mit mangelnder | |
Selbsteinsicht viele ernst nehmen“, meint André Oktay Dahl von der | |
konservativen Oppositionspartei Høyre, doch wenn er nun versuche ein | |
„Netzwerk zu bauen und zu neuen Terrorhandlungen aufzufordern“, müsse man | |
natürlich aktiv werden, und zwar auch über die Einschränkung der | |
Meinungsfreiheit, fordert Per Edgar Kokkvold, Generalsekretär des | |
norwegischen Presseverbands (Norsk Presseforbund). Jemand, der wie Breivik | |
Menschen ermorde, deren Meinung er nicht mag, habe „das Recht verwirkt, als | |
Gleichberechtigter an der öffentlichen Debatte teilzunehmen“. | |
Die NGO Antirassistisches Zentrum sieht das so ähnlich: Für jemanden, der | |
77 unschuldige Menschen getötet habe und sich selbst die Rolle eines | |
Ideologen zuschreibe, müssten besondere Regeln gelten, meint die | |
Vorsitzende Kari Helene Partapuoli: „Er hat sich selbst das Recht genommen, | |
sich politisch zu äußern.“ | |
Über konkrete Begrenzungen der Meinungsäußerungsfreiheit von Breivik könne | |
man sicher reden, meinen andere Kommentatoren, doch eine generelle | |
Einschränkung öffne einen gefährlichen Weg. So fragt die christliche | |
Zeitung Dagen: „Heute ist es ein Massenmörder. Und wer ist es morgen?“ Und | |
Tor Bach von der antirassistischen Webpublikation Vepsen fragt: „Warum soll | |
Breivik nicht twittern?“ Von Breivik sei bislang kein eigenständiger | |
Gedanke bekannt. | |
Die Cut-and-paste-Produktion eines Massenmörders mache ihn bestimmt zu | |
keiner potenziell gefährlichen Führungspersönlichkeit, ein Verbot hingegen | |
eher zum Märtyrer. Alles, was über die übliche Briefzensur eines | |
Gefängnisses hinausgehe, sei in einer Demokratie nicht akzeptabel: „Mehr | |
Kontrolle, mehr Überwachung, mehr Aushöhlen von Freiheiten im Gefolge des | |
22. Juli: Damit würden wir zerstören, was wir verteidigen wollen.“ | |
Kari Helene Partapuoli überzeugt das nicht. Sicherlich seien es nicht | |
viele, die in Breivik einen großen ideologischen Führer sehen: „Aber er hat | |
seine Anhänger und seine Bewunderer.“ Partapuoli findet: „Breivik hat | |
gesagt, er ist noch nicht fertig. Da sollten wir sagen können: Doch, du | |
bist fertig!“ | |
27 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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