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# taz.de -- Prozess gegen Breivik: Ende eines traurigen Dokudramas
> Die Verteidigung hält Anders Breivik für voll schuldfähig – und fordert
> Freispruch. Der letzte Verhandlungstag hinterlässt offene Fragen und
> Kritik an der Prozessführung
Bild: Ob sein Mandant zurechnungsfähig ist, entscheiden andere: Breiviks Anwal…
STOCKHOLM taz | Welche Strafe beantragt man als Verteidiger für einen
Mandanten, der acht Menschen getötet und 69 regelrecht hingerichtet hat –
und auch voll geständig ist? „Prinzipiell“ für Freispruch wegen „Notweh…
hilfsweise für eine ins Ermessen des Gerichts gestellte möglichst milde
Haftstrafe plädierte Geir Lippestad, Verteidiger von Anders Behring Breivik
am letzten Prozesstag am Freitag im Osloer Terroristenprozess.
In seinem fast dreistündigen Plädoyer zeigte er sich einig mit der
Einschätzung der Staatsanwaltschaft, dass Breivik am 22. Juli 2011 eine
nahezu unvorstellbar grausame Terrorhandlung begangen habe: „Ein
Gewaltinferno.“ Für dieses sei er aber – entgegen der Auffassung der
Anklagebehörde – in vollem Umfang verantwortlich, weil schuldfähig. Sein
Mandant habe eine bewusste Wahl getroffen, diese Gewalttaten zu
vollbringen.
Man könne in ihm gern einen zynischen Terroristen sehen, eine von
gewaltbesessene psychotische Person sei er nicht. Schon die Tatsache, dass
er weder vor dem Tag des Blutbads noch danach durch gewaltsame Handlungen
aufgefallen sei, bekräftige das von ihm behauptete Motiv: „Seine extremen
politischen Ansichten.“
## Es droht ein „nationales Trauma“
Jedenfalls was die Einschätzung Breiviks als zurechnungsfähig angeht,
dürfte die Linie der Verteidigung in Norwegen breite Zustimmung finden.
Nach dem entgegengesetzten Votum der Staatsanwaltschaft am Tag zuvor
zeigten zwar die meisten Medienkommentare Verständnis dafür, dass die
Anklagebehörde so habe agieren „müssen“, doch warf man ihr gleichzeitig
vor, den Prozessverlauf und das Auftreten Breiviks im Prozess nicht
genügend berücksichtigt zu haben. Sie habe „den Kopf in den Sand gesteckt�…
kommentiert beispielsweise die linke Tageszeitung Klassekampen. Sollte das
Gericht der Einschätzung der Schuldunfähigkeit folgen, drohe ein
„nationales Trauma“ vergleichbar mit dem, das die mangelhafte Aufarbeitung
der Nazi-Kollaboration nach 1945 verursacht habe.
Ein Urteil, das den Terroristen für seine Taten nicht verantwortlich mache,
verführe auch dazu, die Frage der Verantwortung der Gesellschaft für die
Taten unter den Teppich zu kehren, warnt der Historiker Terje Emberland.
Diese Verantwortung sei im Prozess sowieso viel zu kurz gekommen,
kritisiert der Schriftsteller Jan Kjærstad. Nach dem zehnwöchigen
Gerichtsverfahren verstehe man das, was am 22. Juli geschehen sei, nicht
besser: „Einsichten für die Zukunft sind nicht vermittelt worden.“
## Nicht vom Himmel gefallen
So sei die Frage nach dem Warum und die, wie eine solche Tat in Zukunft
verhindert werden könnte, nicht beantwortet worden. Zwar sei man sich
mittlerweile weithin einig, dass Breiviks Ideen der „modernen
faschistischen, rechtsradikalen Gedankenwelt entsprungen“ seien, doch
seltsamerweise habe man sich weniger mit dieser rassistischen Ideologie und
ihren äußersten Konsequenzen beschäftigt als mit der Frage, wie es bei
Breivik vom Wort zur Handlung habe kommen können. Dabei zeige die
Geschichte zur Genüge, dass es solche „unvorstellbaren Taten“ immer wieder
gegeben habe. Und dass sie nicht vom Himmel fallen. Wegen der Ausrichtung
auf die Psychiatrie statt auf die Politik sei der Prozess nun „ein
kolossales Dokudrama“ geworden. Die erforderliche politische Aufarbeitung
des Blutbads vom 22. Juli habe nicht stattgefunden.
Das letzte Wort hatte am Freitag der Angeklagte. Vor seinem Auftreten
verließen mehrere Opferangehörige demonstrativ den Raum. Breivik
wiederholte seine Begründung, er habe die Menschen angesichts der Bedrohung
durch das „multikulturelle Experiment“ wachrütteln wollen. Zu seinen
„barbarischen Handlungen“ habe ihn „die Liebe zum norwegischen Volk“
getrieben. Das Urteil soll am 24. August ergehen.
22 Jun 2012
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