# taz.de -- Breivik vor Gericht: Prototyp eines fanatischen Rassisten | |
> Im Prozess gegen Anders Breivik haben verschiedene Gutachter ihre | |
> Einschätzungen abgegeben. Die Mehrheit kommt zu dem Schluss, Breivik sei | |
> keineswegs verrückt. | |
Bild: Die faschistisch motivierte Tat hat die Norweger verändert. | |
STOCKHOLM taz | Der Breivik-Prozess in Oslo befindet sich in seiner | |
Schlussphase. Bis Anfang kommender Woche steht eine Debatte der | |
rechtspsychiatrischen Gutachten auf dem Programm, am 21. und 22. Juni | |
sollen dann die abschließenden Plädoyers folgen. | |
In Norwegen hat man sich von dem Gerichtsverfahren auch eine Erkenntnis | |
darüber erhofft, wer dieser 33-Jährige ist, der 77 Menschen getötet und 69 | |
davon regelrecht abgeschlachtet hat. Puzzleteile einer Antwort lieferten | |
Historiker, Religionswissenschaftler und Terrorismusexperten. | |
Geladen waren sie als „sachverständige Zeugen“ der Verteidigung, die | |
belegen wollte, dass Breivik nicht unzurechnungsfähig ist. Die | |
Sachverständigen bestätigten im Großen und Ganzen das Bild von einem | |
fanatischen Rassisten, der um die Zukunft der „germanisch-nordischen | |
Rasse“, „der „blonden, blauäugigen Norweger“ fürchtet. | |
Kein „Mysterium“, sondern ein Faschist ist Breivik für Mattias Gardell, | |
Religionswissenschaftler an der Universität Uppsala. Die Ideen, die Breivik | |
in seinem 1.500-seitigen Manifest vertritt, stünden in langer | |
faschistischer Tradition. Nur seien Juden gegen Muslime ausgetauscht | |
worden, ohne dass der Antisemitismus verschwunden sei. | |
Damit zusammengerührt habe Breivik ein Gebräu „aus Kulturkonservatismus, | |
antimuslimischen und antifeministischen Elementen, aufgekocht mit ’White | |
Power‘-Argumenten und christlich-fundamentalistischen Ideen, wie sie auch | |
in der ’Tea Party‘-Bewegung heimisch sind“. | |
## „Das kleine Ich wird durch ein titanisches Wesen ersetzt“ | |
Der Terrorist aus der Mittelklasse, gut ausgebildet und infolge äußerer | |
Ereignisse oder persönlicher Krisen oft „entgleist“, baue sich ein neues | |
Weltbild auf, analysierte der norwegische Historiker und | |
Terrorismusforscher Nikolai Brandal: ein Weltbild, in dem alles in ein | |
Schwarz-Weiß-Muster eingepasst wird. Es komme zu einer Art „Alice im | |
Wunderland“-Syndrom: eine Veränderung der Wahrnehmung, Verschiebung der | |
Perspektive. Der Terrorist erlebe sich als großer Krieger, der glaube, | |
seine Taten würden bedeutende Konsequenzen haben. | |
„Das kleine normale Ich wird durch ein titanisches, heroisches Wesen | |
ersetzt“, erklärt Brandal. „Für den Faschisten sind Morde wie die | |
begangenen nicht Barbarei, sondern heilige, liebevolle Handlungen im | |
Interesse der Nation“, sagt auch der Historiker Henrik Arnstad. | |
Der Philosoph Einar Øverenget, Verfasser eines Buches über Hannah Arendt, | |
bemühte den Vergleich mit Naziärzten, „die tagsüber bedenkenlos grausamste | |
Menschenversuche durchführten und sich nach Feierabend hinsetzten, um | |
glühende Liebesbriefe zu schreiben.“ Das ideologische Weltbild Breiviks | |
gebe Raum für solch „selektive Empathie“. | |
Es habe ihn von seinem Standpunkt aus rational handeln lassen und sei vor | |
allem eines nicht: verrückt. „Es wäre sehr gefährlich, eine psychische | |
Erkrankung der Art ’politischer Extremismus‘ zu diagnostizieren und damit | |
einen Menschen, der solche Taten begangen hat, als dafür nicht | |
verantwortlich einzustufen.“ | |
Der Religionswissenschaftler Lars Gule erklärte, er selbst bewege sich bei | |
seinen Forschungen viel auf ausländerfeindlichen und islamkritischen | |
Websites und habe im Nachhinein festgestellt, dass er dabei auch mit | |
Breivik debattiert hatte: „Er hat sich nicht von anderen Leuten da | |
unterschieden.“ Menschen, die seine Ansichten teilen, gebe es in Norwegen | |
etwa 15.000, in Europa sicherlich eine Million. | |
13 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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